Eine Geschichte von zwei Städten. Charles Dickens

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Eine Geschichte von zwei Städten - Charles Dickens

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in einer eigentümlich wirren Weise, die man nie zuvor an ihm wahrgenommen, mit den Händen gegen den rasch vorgeschobenen Kopf, schien aber doch schon den bloßen Ton von seiner Tochter Stimme gern zu hören; denn er wandte sich demselben zu, sooft sie sprach.

      In der unterwürfigen Weise eines Menschen, der durch langen Zwang zu gehorchen gewöhnt ist, aß und trank er, was man ihm vorsetzte, und legte den Mantel und die Schals um, die man ihm gab. Auch ließ er sichs gerne gefallen, daß seine Tochter ihren Arm in den seinigen legte. Er faßte dann ihre Hand mit den seinigen und hielt sie fest.

      Sie begannen hinabzusteigen. Monsieur Defarge ging mit der Laterne voran, und Mr. Lorry bildete die Nachhut. Sie hatten auf der langen Haupttreppe noch nicht viele Stufen zurückgelegt, als er haltmachte und das Dach und die Wände anstarrte.

      »Entsinnt Ihr Euch dieses Platzes, Vater? Ihr werdet Euch erinnern, daß Ihr hier heraufgekommen seid.«

      »Was habt Ihr gesagt?«

      Aber ehe sie ihre Frage wiederholen konnte, murmelte er eine Antwort, als ob es schon geschehen sei.

      »Erinnern? Nein, ich erinnere mich nicht. Es ist schon gar so lange her.«

      Es war klar, daß er nicht wußte, wie er aus seinem Gefängnis in dieses Haus gekommen war. Sie hörten ihn murmeln: »Hundertundfünf, Nordturm«, und wenn er umherschaute, sah er sich augenscheinlich nach den starken Festungsmauern um, die ihn so lange umschlossen hatten. Wie sie im Hof unten anlangten, änderte er instinktartig seinen Tritt in der Erwartung einer Zugbrücke, und als diese nicht kam und er dafür in der Straße draußen den harrenden Wagen sah, ließ er die Hand seiner Tochter fallen und fuhr wieder nach seinem Kopf.

      Es war kein Gedränge um die Tür. An keinem der vielen Fenster ließ sich ein Menschengesicht blicken, und nicht einmal zufällig kam jemand durch die Straße. Es herrschte eine unnatürliche Stille und Verödung. Nur eine Person war um den Weg – Madame Defarge, die strickend an dem Türpfosten lehnte und nichts sah.

      Der Gefangene war eingestiegen und seine Tochter ihm gefolgt. Als aber Mr. Lorry nachfolgen wollte, wurde er auf dem Tritt durch eine in kläglichem Ton vorgebrachte Frage angehalten, wo das Schuhmacherwerkzeug und die halbfertigen Schuhe seien, Madame Defarge rief ihrem Gatten zu, daß sie das Vermißte holen wolle, und hatte sich fortstrickend rasch im Dunkel des Hofes verloren, kam aber bald wieder zurück und langte Schuhe und Werkzeug in den Wagen hinein. Dann nahm sie ihren Posten wieder an der Tür, strickte und sah nichts.

      Defarge lud den Koffer auf und gab das Zeichen: »Nach der Barriere!« Der Postillion knallte mit der Peitsche, und sie rasselten unter den mattblinkenden Straßenlaternen dahin.

      Unter den Laternen hin – die in den besseren Straßen immer heller und in den schlechteren immer trüber brannten –, an den beleuchteten Läden, fröhlichen Menschenhaufen, lichtstrahlenden Kaffeehäusern und Theatertüren vorbei nach einem der Stadttore. Hier Soldaten mit Laternen vor dem Wachhause. »Eure Papiere, Reisende!« – »Bitte, Herr Offizier«, sagte Defarge, indem er ausstieg und den Mann ernst beiseite nahm, »dies sind die Papiere des weißhaarigen Herrn im Wagen. Man übergab sie mir mit ihm auf dem –«

      Er dämpfte seine Stimme. Es fand nun ein hastiges Durcheinander unter den militärischen Laternen statt, und eine derselben drang an einem uniformierten Arm in den Wagen, um in dem weißhaarigen Herrn einen Anblick zu enthüllen, dem man nicht jeden Tag oder jede Nacht begegnete.

      »Es ist gut. Vorwärts!« rief die Uniform.

      »Adieu! Defarge.«

      Und so ging es aus dem spärlicher und spärlicher werdenden Geflimmer der Laternen hinaus unter die Unzahl flimmernder Sterne.

      Unter diesem Gewölbe mit seinen unbeweglichen ewigen Lichtern, von denen manche unserer kleinen Erde so fern sind, daß die Gelehrten uns versichern, es sei zweifelhaft, ob ihre Strahlen überhaupt schon als ein Punkt in dem Raum, in dem so viel Ringen und Leiden stattfindet, entdeckt seien – breiteten sich die Schatten der Nacht weit und dunkel hin. Während der ganzen kalten, ruhelosen Nachtfahrt bis zum dämmernden Morgen trieben sie wieder ihr Spiel mit Mr. Jarvis Lorry, der dem begraben gewesenen und nun ausgegrabenen Manne gegenübersaß, und flüsterten ihm, während er sich Gedanken über die vielleicht auf immer verlorenen und die vielleicht noch zu rettenden Geistesvermögen des Gefangenen machte, die alte Frage zu:

      »Ich hoffe, es ist Euch lieb, wieder ins Leben zurückgerufen zu sein.«

      Und die alte Antwort war: »Ich kann es nicht sagen.«

      *

      Erstes Kapitel. Fünf Jahre später.

      Tellsons Bank bei Temple Bar war schon im Jahr eintausendsiebenhundertachtzig ein altmodischer Platz, sehr klein, sehr dunkel, sehr häßlich und sehr unbequem. Man konnte sie aber auch einen altmodischen Platz mit Beziehung auf die moralische Eigentümlichkeit nennen, daß jeder der Geschäftsteilhaber stolz war auf das kleine Gebäude, stolz auf seine Dunkelheit, stolz auf sein garstiges Aussehen und stolz auf seine Unbequemlichkeit. Diese Eigenschaften schienen ihnen sogar hohe Vorzüge zu sein, denn sie lebten der zuversichtlichen Überzeugung, daß die Bank, wenn man weniger an ihr zu tadeln wüßte, auch weniger achtbar wäre. Dies war aber nicht bloß ein passiver Glaube, sondern eine aktive Waffe, die sie gern auf bequemer eingerichtete Geschäftshäuser schleuderten. Tellsons (sagten sie) brauchen keinen überflüssigen Raum, kein Licht, keine Verschönerung. Noakes & Komp. oder Gebrüder Snooks werden es nötig haben: aber Tellsons? Dem Himmel sei Dank, nein!

      Jeder von den Geschäftsteilhabern würde seinen Sohn enterbt haben, wenn dieser an einen Umbau von Tellsons gedacht hätte. In der Beziehung erging es dem Hause gerade wie England, das sehr oft seine Söhne enterbte, weil sie Verbesserungen in Gesetzen und Bräuchen beantragten, die nichts weniger als löblich, aber ebendeshalb nur um so achtbarer waren.

      So war es denn dahin gekommen, daß Tellsons die triumphierende Vervollkommnung der Unbequemlichkeit war. Nachdem man eine blödsinnig hartnäckige Tür knarrend gesprengt hatte, fiel man bei Tellsons ein paar Stufen hinab und kam in einem erbärmlichen Lädchen mit zwei kleinen Zahltischen wieder zur Besinnung, wo in den Händen der ältesten Männer der Wechsel eines Kunden wie im Wind zitterte, solange sie die Unterschrift an den schmutzigsten von allen Fenstern prüften, die von der Fleetstraße aus unter dem Einfluß eines stetigen Schlammregenbades standen und vor den eigenen eisernen Gittern und in dem tiefen Schatten von Temple Bar sich nur um so schmutziger ausnahmen. War jemand genötigt, geschäftehalber mit dem »Haus« zu verkehren, so wurde er an der Hinterseite in eine Art Verbrecherzelle gesteckt, wo er über ein übel zugebrachtes Leben nachdenken konnte, bis das Haus, die Hände in den Taschen, erschien, in dem unheimlichen Zwielicht aber sich kaum erkennen ließ. Die Geldbehälter, die der Ein- oder Auszahlung dienten, bestanden aus alten hölzernen Schubladen, aus denen beim Herausziehen oder Zurückschieben das Wurmmehl einem in Nase und Kehle flog. Die Banknoten hatten einen modrigen Geruch, als seien sie im Begriff, rasch sich wieder in Lumpen zu zersetzen. Das anvertraute Silbergerät wurde unter die übrigen Schutzsafes gestellt und hatte da so eine ungeschliffene Kameradschaft, so daß es schon in einem oder zwei Tagen seine feine Politur verlor. Die Urkunden fanden ein Unterkommen in aus Küchen und Spülplätzen entstandenen Verließen, und ihre Pergamente verloren in der Bankhausluft vor Ärger all ihr Fett. Leichtere Faszikel mit Familienpapieren gingen die Treppe hinauf nach einem Barmakidenzimmer, in dem stets ein großer Speisetisch stand, aber nie etwas zum Speisen gereicht wurde; und es war in dem Jahr eintausendsiebenhundertachtzig noch nicht lange her, daß man die Familienbriefe, die der Engländer statt dem Notar dem Bankier zu übergeben pflegt, von dem Schrecken befreit hatte, durch

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