Eine Geschichte von zwei Städten. Charles Dickens
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Читать онлайн книгу Eine Geschichte von zwei Städten - Charles Dickens страница 18
Mr. Cruncher war nicht in der besten Stimmung, als er sich endlich zum Frühstück niedersetzte. Das Gebet, das Mrs. Cruncher leise vor sich hin sprach, erregte bei ihm besonderen Anstoß.
»Nun, Ekel, was tust du? Schon wieder dabei?«
Sein Weib entgegnete, daß sie nur einen Segen gesprochen habe.
»Das läßt du mir bleiben!« rief Mr. Cruncher, indem er umherschaute, als erwarte er, daß unter der Wirksamkeit von seines Weibes Gebet der Laib vom Tische verschwinden werde. »Ich will nicht von Haus und Herd weggesegnet werden. Das segnet mir am Ende alle meine Lebensmittel vom Tisch. Ruhig also.«
Grämlich und mit ungemein roten Augen, als sei er die ganze Nacht auf und in einer Gesellschaft gewesen, in der es nichts weniger als gesellschaftlich zuging, würgte Jerry Cruncher sein Frühstück hinunter und brummte dazu wie nur irgendein vierfüßiger Menagerie-Insasse. Gegen neun Uhr glättete sich sein rauhborstiges Wesen. Er übertünchte sein natürliches Ich, so gut er konnte, mit einem Anstrich von Achtbarkeit und Geschäftseifer und trat seinen Tagesberuf an.
Man konnte diesen kaum ein Gewerbe nennen, obschon Mr. Cruncher es liebte, sich selbst als »ehrlichen Geschäftsmann« zu bezeichnen. Sein Geschäftsinventar bestand bloß in einem Schemel, gefertigt aus einem Stuhl, dessen zerbrochene Lehne abgesägt worden, und diesen hatte der junge Jerry jeden Morgen unter das zunächst an Temple Bar grenzende Bankhausfenster zu tragen, wo der Aushelfer mit ein paar Strohwischen als Zugabe, die er einem vorüberfahrenden Fuhrwerk ausraufte und mit denen er die Füße gegen Nässe und Kälte schützte, sein Standquartier aufschlug. Auf diesem seinem Posten war Mr. Cruncher der Fleetstraße und dem Temple so bekannt wie die Bar selbst und sah fast ebenso übel aus.
Um drei Viertel auf neun, also noch in guter Zeit, um vor den uralten Männern, wenn sie bei Tellsons eingingen, an den dreieckigen Hut zu greifen, bezog Jerry an jenem windigen Märzmorgen seinen Posten, und der junge Jerry nahm an seiner Seite seinen Stand, wenn er nicht gerade Streifzüge durch das Bar machte, um körperliche und geistige Verletzungen der wehtuendsten Art an vorübergehenden Knaben zu üben, die für seinen liebenswürdigen Zweck klein genug waren. Während Vater und Sohn, mit ihren Köpfen so nahe beieinander, wie bei jedem die Augen standen, schweigend dem Morgentreiben in der Fleetstraße zusahen, nahmen sie sich bei ihrer großen Ähnlichkeit auf und nieder wie ein paar Affen aus. Auch geschah dem Vergleich kein Abtrag durch den Umstand, daß der reife Jerry stets Stroh zerbiß und ausspie, während die zwinkernden Augen des jugendlichen Jerry aufmerksam auf ihm hafteten wie auf irgend etwas in der Fleetstraße.
Der Kopf eines regelmäßigen Hausdienstboten von Tellfons Etablissement tauchte durch die Tür auf und entsandte das Schlagwort:
»Portier, herein!«
»Heda, Vater! Schon ein frühes Geschäft zum Anfang!«
Nachdem der junge Jerry seinen Vater auf diese Weise ermutigt hatte, nahm er Platz auf dem Schemel, der in dem von seinem Vater gekauten Stroh ihm anwartschaftliches Interesse bot, und machte sich Gedanken.
»Immer rostig! Seine Finger sind immer rostig!« murmelte der junge Jerry. »Wo bringt nur mein Vater all den Eisenrost her? Es gibt doch hier keinen!«
*
Zweites Kapitel. Ein Spektakel.
»Ihr seid ohne Zweifel gut in Old Bailey bekannt?« sagte einer der Ältesten im Bankbureau zu Jerry, dem Aushelfer.
»Ja, Sir«, entgegnete Jerry brummig, »ich kenne mich aus in der Bailey.«
»Recht so. Und Ihr kennt auch Mr. Lorry?«
»Den Mr. Lorry, Sir, kenne ich viel besser als die Bailley. Viel besser«, fuhr Jerry in der Art eines unfreiwilligen Zeugen fort, der in der fraglichen Anstalt vernommen wird, »als ich, der ich ein ehrlicher Geschäftsmann bin, mit der Bailey bekannt zu werden wünsche.«
»Schön. Sucht die Tür auf, durch die man die Zeugen einläßt, und gebt dem Pförtner dieses Billett an Mr. Lorry. Man wird dann auch Euch einlassen.«
»In den Gerichtssaal, Sir?«
»In den Gerichtssaal.«
Mr. Crunchers Augen schienen noch enger zusammenzurücken und aneinander die Frage zu richten: »Was hältst du davon?«
»Muß ich im Gerichtssaal warten, Sir?« Diese Frage schien das Ergebnis der eben genannten Konferenz zu sein.
»Das sollt Ihr sogleich erfahren. Der Pförtner wird das Billett Mr. Lorry zufertigen, und Ihr macht Euch Mr. Lorry durch eine Gebärde bemerkbar, damit er weiß, wo Ihr steht. Dann habt Ihr weiter nichts zu tun, als dort zu warten, bis er Euch braucht.«
»Sonst nichts, Sir?« Mr. Cruncher sah schweigend zu, wie der alte Kontorist bedächtig daß Billett faltete und es überschrieb. Erst als endlich das Löschpapier zur Verwendung kam, erlaubte er sich die Bemerkung:
»Ich denke, man verhandelt diesen Morgen Fälschungen?«
»Hochverrat.«
»Darauf steht Vierteilen«, sagte Jerry. »Barbarisch!«
»So lautet das Gesetz«, entgegnete der alte Kontorist, erstaunt seine Brillengläser auf ihn richtend – »das Gesetz.«
»Es ist hart von dem Gesetz, einen Menschen so zuzurichten, denk ich. Es ist schon hart, einem das Leben zu nehmen, aber sehr hart, einen zu zerstückeln, Sir.«
»Durchaus nicht«, erwiderte der alte Kontorist. »Sprecht nicht uneben von dem Gesetz. Sorgt für Eure Brust und Eure Stimme, mein guter Freund, und laßt das Gesetz für sich selbst sorgen. Ich rate Euch dies wohlmeinend.«
»Es ist die Feuchtigkeit, die meiner Brust und meiner Stimme zusetzt«, sagte Jerry. »Ihr mögt selbst beurteilen, durch was für eine feuchte Hantierung ich meinen Unterhalt erwerben muß.«
»Na, schon gut, jeder muß sich auf seine eigene Art durch die Welt bringen. Bei dem einen ist der Weg feucht, beim andern trocken. Hier ist das Schreiben. Macht, daß Ihr weiter kommt.«
Jerry nahm das Billett und sagte mit weit weniger innerlicher Unterwürfigkeit, als er nach außen zur Schau stellte, zu sich selbst: »Jawohl, alter Knasterbart.« Dann machte er seinen Bückling, unterrichtete im Vorbeigehen seinen Sohn von dem ihm erteilten Auftrag und ging seines Weges.
Man hängte in jenen Tagen die Verbrecher zu Tyburn; die Straße von Newgate hatte also damals noch nicht die traurige Berühmtheit erlangt, die sie jetzt besitzt. Immerhin aber war das Gefängnis ein abscheulicher Platz, an dem Ausschweifungen und Schurkereien fast aller Art geübt und wo schlimme Krankheiten ausgebrütet wurden, die mit den Gefangenen in den Gerichtssaal kamen und bisweilen von dem Verbrecherverschlag aus geradewegs sogar auf den Lord Oberrichter zustürzten und ihn von der Bank herunterrissen. Mehr als einmal war es vorgekommen, daß der Richter in dem schwarzen Käppchen mit dem Urteilspruch über den Gefangenen selbst den Tod in sich aufnahm und sogar noch vor dem letzteren starb. Im übrigen stand die alte Bailey weit und breit im Rufe als eine Art Totenwirtshaus, von dessen Hof her man unaufhörlich bleiche Reisende auf Karren die Fahrt in die andere Welt antreten sah. Sie war ferner berühmt wegen des Prangers, einer weisen Einrichtung, die eine Strafe auferlegte, deren Ausdehnung niemand