Dr. Daniel Staffel 10 – Arztroman. Marie Francoise

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Dr. Daniel Staffel 10 – Arztroman - Marie Francoise Dr. Daniel Staffel

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mich in Ruhe«, grummelte Dr. Scheibler und wollte gehen, doch als er sich umdrehte, sah er sich ganz unvermittelt Dr. Daniel gegenüber.

      »Jeff hat vollkommen recht«, meinte nun auch er. »Sehen Sie, Gerrit, durch meine Arbeit in der Praxis und Klinik bekomme ich hier zwangsläufig nicht alles mit, aber sogar ich habe gemerkt, wie distanziert Sie sich Bernd Köster gegenüber verhalten.«

      Dr. Scheibler seufzte tief auf, dann gestand er: »Ich habe ein verdammt schlechtes Gewissen. Ich möchte mich diesem armen Kerl gegenüber gar nicht so streng und kalt zeigen, aber… ich kann mit ihm einfach kein wirkliches Mitleid haben. Jedesmal, wenn ich neben ihm stehe, packt mich die Wut, weil er sich selbst in eine solche Lage manövriert hat. Ich muß mich dermaßen beherrschen, ihn nicht laut anzubrüllen… ihm nicht meine ehrliche Meinung über sein rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr zu sagen.«

      Dr. Daniel betrachtete ihn und erkannte, daß ihm seine Gefühle wirklich zu schaffen machten.

      »Tun Sie es«, riet er dem Chefarzt schließlich. »Wenn er einigermaßen beschwerdefrei sprechen kann, sollten Sie ihn mit Ihrer Meinung konfrontieren, dann werden Sie sehen, was er dazu zu sagen hat.«

      *

      Dr. Scheibler hatte einige Bedenken, Dr. Daniels Rat zu befolgen, doch dann sagte er sich, daß zwischen Arzt und Patient ein gewisses Vertrauensverhältnis einfach bestehen mußte. Das war aber nur möglich, wenn man gegenseitig ehrlich zueinander war, und gerade auf Ehrlichkeit dem Patienten gegenüber hatte Dr. Scheibler immer viel Wert gelegt. So würde er es auch diesmal halten.

      »Ich glaube, es ist dringend nötig, daß wir uns mal ausführlich miteinander unterhalten«, meinte Dr. Scheibler, als er an diesem Morgen an Bernds Bett trat.

      Der junge Mann lag noch immer auf der Intensivstation, aber sein Zustand hatte sich mittlerweile gebessert, wenn ihm auch beim Atmen und Sprechen noch immer Brust und Rachen ziemlich weh taten.

      »Sie sind unheimlich sauer auf mich«, vermutete Bernd leise.

      »Sauer ist der falsche Ausdruck«, entgegnete Dr. Scheibler, zögerte einen Moment und setzte sich dann auf die Bettkante, damit Bernd, der noch immer im Gipskorsett lag, ihn gut sehen konnte. »Normalerweise lebe und leide ich mit meinen Patienten, aber bei Ihnen kann ich kein Mitgefühl aufbringen und dafür schäme ich mich, weil es Sie nämlich wirklich böse erwischt hat.«

      Bernd schluckte schwer. »Es ist ganz allein meine Schuld, daß ich hier liege.«

      Dr. Scheibler nickte. »Daran besteht nicht der geringste Zweifel.«

      Der Chefarzt sah, wie Bernds Augen feucht wurden, und wandte den Blick ab.

      »Was ist?« fragte der junge Mann leise. »Können Sie nicht hart bleiben, wenn ich weine?«

      »Es würde mir jedenfalls schwerfallen«, gestand Dr. Scheibler, dann seufzte er. »Im Grunde möchte ich ja gar nicht hart bleiben. Sonst wäre ich jetzt bestimmt nicht hier.« Er stützte sich mit einer Hand über Bernds Körper hinweg auf der anderen Bettseite ab. »Ich wüßte gern, was an jenem Abend in Ihrem Kopf vorgegangen ist.«

      »Gar nichts«, flüsterte Bernd, dann atmete er tief durch, doch dabei zeichneten sich Schmerzen auf seinem Gesicht ab. »Werden mir die Rippen noch lange weh tun?«

      Dr. Scheibler nickte. »Es wird sicher seine Zeit dauern.«

      Bernd zögerte, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, vermutlich nicht.« Er schwieg kurz. »Zu meiner Entschuldigung kann ich nur vorbringen, daß ich so etwas nie zuvor getan habe. Ich bin nämlich kein verantwortungsloser Raser – ganz im Gegenteil. In den zwölf Jahren, seit ich meinen Führerschein habe, bin ich immer unfallfrei gefahren.« Wieder machte er eine Pause. »Es war mein Geburtstag. Ich hasse Geburtstage – vor allem meine eigenen, aber dieser dreißigste war mit Abstand der schlimmste. Alle waren da – meine Eltern, Geschwister, Freunde, Verwandte. Ich habe für sie gekocht, alle außer mir waren in Bombenstimmung. Es war schon ziemlich spät, als sie aufbrachen. Dann war ich auf einmal allein. Ich fühlte mich so schrecklich einsam, und dieser Einsamkeit wollte ich entfliehen, also fuhr ich los – einfach so, ohne Ziel. Ich landete auf der Autobahn und da merkte ich plötzlich, wie gut es mir tat, schnell zu fahren. Es verlangte meine ganze Konzentration. Ich hatte keine Zeit mehr, an meinen Geburtstag zu denken… an die dreißig Jahre, die ich jetzt alt war… an meine Einsamkeit. Ein Stau bremste mich, aber ich wollte jetzt nicht im Schrittempo dahinkriechen. Zum ersten Mal in meinem Leben sehnte ich mich nach Geschwindigkeit, nach Gefahr – ausgerechnet ich, der immer auf Nummer Sicher gegangen war. Bei der nächsten Ausfahrt verließ ich die Autobahn und trat wieder aufs Gas. Es war spät, die Landstraße wirkte wie ausgestorben. Ich erkannte mich selbst nicht mehr… war wie im Rausch. Ich nahm die Kurven zu schnell, und… o Gott, ich hätte auf dieser Strecke mindestens zehn Unfälle bauen können. Dann war vor mir plötzlich dieses Auto. Ich sah es ziemlich spät, aber noch hätte ich bremsen können, doch ich war wie gelähmt. Ich brachte den Fuß nicht vom Gas… ich…« Jetzt begann er wirklich zu schluchzen. »Das war das Schrecklichste an allem… die Gewißheit, daß ich andere mit in mein ganz persönliches Elend hineinreißen würde. Ich wollte das nicht… ich schwöre Ihnen, daß ich das nicht gewollt habe…« Vor Weinen konnte er nicht mehr weitersprechen, und dabei wurde ihm besonders deutlich bewußt, daß er sich nicht bewegen konnte… daß er nicht einmal in der Lage war, sich die Tränen wegzuwischen.

      Dr. Scheibler stand auf, und als er seinem jungen Patienten jetzt über den Kopf streichelte, bemerkte er plötzlich eine Veränderung in sich. Jetzt konnte er Mitgefühl für ihm empfinden. Bernd Köster war eben doch nicht der gewissenlose Raser, für den er ihn trotz der Worte seines Bruders insgeheim gehalten hatte. Er war nur einfach todunglücklich gewesen – und war es immer noch. Vielleicht hatte er da auf dieser Landstraße sogar ein kleines bißchen gehofft, nach diesem Unfall nicht mehr aufzuwachen. Sicher hatte er es nicht bewußt gedacht, aber tief in seinem Innern hatte er wohl gehofft, der Unfall könnte seiner Einsamkeit ein Ende setzen.

      Bernds hilfloses Schluchzen verebbte langsam. Als seine Augen wieder einigermaßen klar sahen, bemerkte auch er, daß sich Dr. Scheiblers Einstellung geändert hatte.

      »Bisher habe ich es Ihnen nicht gesagt«, meinte der Chefarzt, »aber das will ich nun schnellstens nachholen. Der jungen Frau, die in dem anderen Auto saß, ist nicht viel passiert. Sie konnte vor zwei Wochen wieder entlassen werden.«

      Bernd atmete auf. »Das hat mich die ganze Zeit am meisten belastet. Diese Ungewißheit… und ich konnte nichts fragen…« Er wich Dr. Scheiblers Blick aus. »Irgendwann habe ich mich auch nicht mehr getraut zu fragen.« Jetzt sah er ihn wieder an. »Sie haben mich ganz schön leiden lassen.«

      Dr. Scheibler seufzte leise, dann setzte er sich wieder auf die Bettkante. »Ich fürchte, Ihnen steht noch mehr Leid bevor… Leid, für das ich nicht verantwortlich bin, aber das ich Ihnen auch nicht ersparen kann.« Er schwieg kurz. »Es geht um Ihre Verletzung. Sie haben sich bei dem Unfall einen Wirbelbruch zugezogen.«

      Bernd erschrak zutiefst. »Ich bin also doch gelähmt?«

      »Nein, ich habe Sie damals nicht belogen. Die Querschnittslähmung konnte ich abwenden, aber… der Bruch ist instabil.« Wie schon seinen Eltern und Geschwistern erklärte Dr. Scheibler nun auch ihm, was das für seine Zukunft bedeuten konnte. Seine Worte trafen Bernd wie ein Schlag.

      »Das heißt… ich werde künftig mit einem Bein im Rollstuhl stehen«, brachte er nach Sekunden des entsetzten Schweigens stockend hervor.

      Dr. Scheibler nickte. »Das ist die eine Möglichkeit. Die andere

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