Mami Staffel 12 – Familienroman. Sina Holl
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*
»Kommt Susi heute abend?« fragte Alex eine Woche später.
»Ja, ich bin froh, daß sie kurzfristig Zeit hat, um heute abend auf euch aufzupassen.«
»Warum hat dich der neue Richter zum Essen eingeladen? Macht der das mit allen Rechtsanwältinnen?«
Silvia lächelte, während sie versuchte, ihren Ohrring zu schließen. »O nein, mein Schatz, da hätte er aber viel zu tun. Ich habe dir doch erzählt, daß Stefan und ich alte Bekannte sind.«
»Magst du ihn?« bohrte Alex weiter.
Die Frage kam so unverhofft, daß Silvia aufsah. »Wie meinst du das?«
Alex zuckte die Achseln. »Würdest du ihn heiraten?«
Silvia dachte an das Gespräch mit den Kindern, nachdem sie Robert mit seiner Freundin entdeckt hatten. Sie hatte ihnen damals versprochen, die Zukunft alleine mit ihnen zu verbringen. »Du kommst vielleicht auf komische Ideen, Alex! Nein, ich würde ihn nicht heiraten, weil er längst eine Frau hat.«
»Aber warum lädt er dich dann zum Essen ein?«
»Junge, du kannst einem aber auch Löcher in den Bauch fragen. Ich habe dir doch gesagt, daß wir uns von früher kennen und uns viel zu erzählen haben – außerdem wird Sonja auch dabei sein. Zufrieden?«
Alex nickte strahlend und schoß davon, weil in diesem Moment die Türglocke anschlug. Das konnte nur Susi sein, ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft, der Silvia vertrauen konnte. Die Kinder mochten sie, und Susi freute sich, wenn sie ihr Taschengeld mit dem Babysitten aufstocken konnte.
»Oh, Frau Kirstein, Sie sehen aber hübsch aus!« rief die rundliche Susi bewundernd, als Silvia schließlich die Treppe herunterkam.
»Danke für das Kompliment«, gab diese lächelnd zurück. »Susi, vergiß bitte nicht, daß die Kinder spätestens um halb neun im Bett liegen müssen.«
»Natürlich, Frau Kirstein. Soll ich später noch mal mit Tobi Gassi gehen?«
»Das wäre sehr nett. So, jetzt muß ich mich aber sputen, sonst bekomme ich keinen Parkplatz vor dem Fürstenhof mehr.«
»Oh, in so einem feinen Restaurant würde ich auch gern mal essen«, sagte Susi bewundernd.
»Willst du nicht lieber ein paar Kilo abnehmen?« fragte Alex respektlos und grinste frech.
»Na warte!« Susi lief kichernd hinter Alex her, der vor Freude kreischte.
Silvia sah den beiden lächelnd nach und gab Jana einen Kuß. »Bis später, mein Engel.«
»Viel Spaß, Mami«, erwiderte Jana.
Als die Mutter fort war, ging sie nachdenklich zu den anderen in die Küche. Seit Silvia diesen Stefan Winter auf dem Gartenfest getroffen hatte, war sie verändert, fand Jana. Schon mehrmals hatte sie ihre Mutter ziellos auf einen unsichtbaren Punkt starrend vorgefunden. Sehr glücklich sah sie nie dabei aus – ob er ihr etwas bedeutete? Wenn es so war, war das sehr schlimm, denn Stefan Winter hatte ja bereits eine Frau. Arme Mami!
*
»Sonja läßt sich entschuldigen«, sagte Stefan, nachdem Silvia das Restaurant erreicht hatte. »Sie bekam plötzliche Kopfschmerzen und rief mich in meinem Büro an – gerade, als ich gehen wollte.«
»Schade«, sagte Silvia und meinte dies ernst. In Sonjas Gegenwart hätte sie sich auf jeden Fall sicherer gefühlt.
»Ich hoffe, es stört dich nicht, daß du nun mit mir alleine vorlieb nehmen mußt?«
»Aber nein, ganz im Gegenteil.«
Er schob ihr den Stuhl zurecht und berührte dabei zufällig mit seinem Arm ihre Schulter. Diese leichte Berührung allein reichte aus, daß ihr Herz schneller pochte und ihre Beine zitterten. Sie war froh, daß sie sich setzen konnte.
»Erinnerst du dich noch an die kleine Kneipe, in der wir immer Frikadellen mit Kartoffelsalat gegessen haben?« fragte Stefan, nachdem er sich zu Silvia gesetzt hatte.
Sie lächelte. »Und ob. Etwas anderes konnten wir uns mit unserem schmalen Geldbeutel auch gar nicht leisten. Die Kneipe gibt es übrigens noch immer.«
»Tatsächlich?«
»Ja, ich fahre jeden Morgen auf dem Weg zur Kanzlei daran vorüber.«
»Ob die Frikadellen noch immer so gut sind?«
Sie grinste. »Keine Ahnung, ich war schon seit Ewigkeiten nicht mehr dort.«
Der vornehm gekleidete Ober war mit den in weinrotem Leder gebundenen Menükarten im Anmarsch, als Stefan sich zu Silvia hinüberbeugte und ihr zuraunte: »Ist dir plötzlich auch so nach Frikadellen mit Kartoffelsalat?«
»Ja – jetzt, wo du es sagst…«
Stefan nahm Silvia bei der Hand und zog sie hoch. »Worauf warten wir dann noch?«
Der Ober sah den beiden lachenden Gästen kopfschüttelnd nach. Ein Benehmen hatten die vornehmen Leute manchmal – erst bestellten sie einen Tisch und dann gingen sie einfach ohne ein Wort der Erklärung.
In der Lindenklause herrschte Hochbetrieb. Der Wirt hatte gewechselt, aber das Mobiliar war noch dasselbe wie vor zehn Jahren. Silvia fühlte sich in ihre unbeschwerte Studentenzeit zurückversetzt und vergaß für ein paar Stunden, daß sie und Stefan längst kein Paar mehr waren.
Als sie zu vorgerückter Stunde aufbrachen, fragte Stefan: »Wo steht dein Wagen?«
Sie kicherte albern. »Noch immer vor dem Fürstenhof. Hast du vergessen, daß wir mit deinem Wagen hierhergefahren sind?«
Stefan sah sich orientierungslos um und fuhr sich durchs Haar. »Und wo steht mein Auto?«
»Da vorne. Aber ich denke, ich werde dich nach Hause fahren. Du hast etwas getrunken, und bis zum Fürstenhof sind es nur ein paar Meter zu Fuß.«
»Du meinst wohl ein paar Kilometer«, murrte er, ließ sich jedoch von Silvia mitziehen.
»Ach, jetzt stell dich nicht so an! Ein kleiner Spaziergang und die frische Luft wird Ihnen guttun, Herr Richter.«
Auch auf dem Weg zu Silvias Wagen schwelgten beide in Erinnerungen an vergangene Tage.
»Ich habe mich heute abend köstlich amüsiert«, meinte Stefan schließlich. »Vielleicht ist es ganz gut, daß Sonja nicht mitkommen konnte. Ich denke, sie hätte kein Verständnis, daß wir leichte Hausmannskost einem luxuriösen Mahl vorgezogen haben.«
Silvia nickte lachend. Sie stellte fest, daß sie die Freundin überhaupt nicht an diesem Abend vermißt hatte.
Stefan dirigierte Silvia zu der Straße, in der er wohnte. Vor einem eleganten Mehrfamilienhaus sagte er: »Hier ist es.«
Mit einem Schlag war Silvias Heiterkeit verschwunden, und die graue Wirklichkeit hatte sie wieder. Hier würde Stefan also bald mit seiner geliebten Anke leben!
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