Dr. Norden Box 10 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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An diese Möglichkeit hatte Fee noch gar nicht gedacht.
»Das könnte natürlich auch sein. Diese Alternative wäre mir bedeutend lieber. Tuberkulose hat eine bessere Prognose als die anderen beiden.«
Daniel hatte genug gesehen. Sein Magen knurrte, als er sich aufrichtete und seiner Frau dabei zusah, wie sie den Computer herunterfuhr und ausschaltete.
»Endgültige Gewissheit bekommt ihr erst, wenn ihr das Nervenwasser des jungen Mannes unter die Lupe nehmt«, erklärte er.
»Ich werde diese Untersuchung gleich morgen früh anordnen«, erwiderte Fee und schob den Stuhl an den Schreibtisch. Mit einem letzten Blick vergewisserte sie sich, dass alles in Ordnung war. »Und jetzt werde ich mit dir nach Hause fahren, um dich vor dem sicheren Hungertod zu bewahren.«
Sie ahnte nicht, dass sie mit dieser Ankündigung die Pläne ihres Mannes durchkreuzte.
»Nach Hause? Das überlebe ich nicht. Gibt es keine andere Möglichkeit?«, fragte Daniel und setzte eine Unschuldsmiene auf, die Fee sofort durchschaute.
»Moment mal. Hat nicht hier in der Nähe ein spanisches Lokal eröffnet?«, erinnerte sie sich an eine seiner Bemerkungen neulich.
»Wirklich?«, spielte Daniel den Ahnungslosen. Doch das Funkeln in seinen Augen verriet ihn. »Das hatte ich ja ganz vergessen.«
Felicitas stand an der Tür und wartete auf ihn.
»Gib dir keine Mühe. Du bist ein schlechter Lügner!«
»Wirklich?« Daniel legte den Arm um ihre Schultern und wartete, bis sie die Tür von außen geschlossen und abgesperrt hatte. »Du bist aber die einzige, die mich durchschaut.«
»Wer weiß, vielleicht kannst ja nicht nur du meine, sondern ich auch deine Gedanken lesen«, lächelte sie ihn an. »Und ich glaube, ich weiß, was du nach dem Essen mit mir vorhast.«
Seite an Seite waren sie auf die Straße hinausgetreten. Die Dämmerung war der Dunkelheit gewichen, und die Straßenlaternen wiesen ihnen den Weg zum Wagen.
»Dann weißt du mehr als ich«, erwiderte Daniel. Doch auch auf diese neuerliche Lüge fiel Felicitas nicht herein.
»Du weißt, dass auf Lügen schwere Strafen stehen«, erinnerte sie ihren Mann, während sie darauf wartete, dass er ihr die Beifahrertür aufhielt.
»Ich kann’s kaum erwarten.« Daniels Lachen war rau, und er schlug die Wagentür zu, ehe seiner Frau ein passender Kommentar eingefallen war.
*
Auch an diesem Abend fiel die Tür der Zelle wieder hinter Urs Hansen ins Schloss. Doch diesmal sorgte dieses Geräusch nicht für Beklemmungen und Panikattacken. Endlich hatte er einen Plan, ein Ziel vor Augen.
Sein Mithäftling Lothar lag auf seinem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und sah Urs dabei zu, wie er die Straßenkleidung gegen einen Trainingsanzug tauschte. Als er begann, Liegestütze zu machen, wurde Lothar ungeduldig.
»Mann, jetzt sag schon! Wie ist es gelaufen?«
Urs drückte sich hoch und sank wieder hinunter, auf und ab, ohne Pause, bis sein Atem schneller ging und feine Schweißperlen auf seine Stirn traten. Lothar machte Anstalten, sich auf seinem Bett aufzusetzen.
»Alles im Lot. Sie hat es gefressen«, verkündete Urs, kurz bevor sein Mitbewohner die Geduld verlor, und Lothar sank auf die Matratze zurück.
»Scheint, als hättest du eine Glückssträhne, was? Zuerst der Job als Schlosser draußen, damit du Freigänger werden kannst. Und jetzt auch noch freundschaftliche Kontakte zu einem Arzt.«
Doch Urs wollte sich nicht zu früh freuen.
»Noch hab ich kein Rezept in der Tasche. Ich muss den Alten erstmal überreden, mir das zu geben.«
»Ach, das wird schon«, winkte Lothar ab. »Den Husten nimmt dir jeder ab. Der Doc kann gar nicht anders, als dir das Zeug zu verschreiben. Sonst kannst du nicht arbeiten gehen.«
Urs rappelte sich vom Boden auf, griff nach dem Handtuch, das über der Stuhllehne hing, und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Dein Wort in Gottes Ohr«, erwiderte er und ging zur Tür, um zu horchen. Als kein Geräusch an sein Ohr drang, ging er zu seinem Bett. Er schob es ein Stück zur Seite und kniete nieder. An einer Stelle löste er die Fußbodenleiste, und ein kleines Loch kam zum Vorschein, in dem Urs ein Päckchen versteckt hatte. Seine Finger zitterten, als er eine der Pillen aus der Alufolie schälte und in den Mund steckte. In Windeseile verstaute er das Päckchen wieder an seinem Platz und schob das Bett zurück an die Wand. »Wenn die Wärter mich nicht jeden Morgen beim Ausgang durchsuchen würden, wär’s einfacher.« Der junge Mann tat es seinem Mitbewohner gleich und legte sich auch auf’s Bett.
»Das Leben ist nun mal kein Ponyhof«, lachte Lothar. »Aber so, wie ich dich kenne, steckst du den Doc locker in die Tasche. Dann hast du erst mal ein paar Rationen, bis du eine andere Quelle aufgetan hast.«
Urs lag auf dem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und starrte an die Decke. Die Pille tat ihre Wirkung und ließ seinen Kopf zu Watte werden. Es gab nichts auf der Welt, was er mehr liebte als dieses Gefühl.
»Die andere Quelle hab ich schon. Die Alte, diese Fee, arbeitet in ´ner Klinik«, erklärte er mit Reibeisenstimme und lachte. »Ich brauch nur noch ein bisschen Zeit, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Dann kann ich da rein und raus spazieren, wie es mir gefällt.«
»Und mitnehmen, was dir gefällt«, stimmte Lothar in sein Lachen mit ein.
»Wahnsinn!« Urs wusste selbst nicht, warum er nicht mehr aufhören konnte zu lachen. Es kam einfach über ihn und er lachte und lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen und die Feuchtigkeit durch sein Shirt drang. Es fühlte sich kühl und unangenehm an. Trotzdem konnte er nicht aufhören und lachte, bis er keine Luft mehr bekam.
*
In dieser Nacht wurde Fee Norden von einem Geräusch geweckt, das sie nicht recht einordnen konnte. Zuerst dachte sie, es wäre der Wecker, der sie unbarmherzig aus dem Schlaf riss. Ihr Mann Daniel lag dicht neben ihr. Sein Kinn kratzte an ihrer Schulter und sein Arm lag quer über ihrem Bauch, sodass sie sich erst befreien musste, ehe sie die Hand nach dem Wecker ausstrecken konnte. Als sie ihn aber zu sich heranzog, stellte sie fest, dass es erst kurz nach drei war. In diesem Augenblick begriff Felicitas, dass es ihr Handy war, das in der Tasche klingelte, die sie auf dem Sessel neben dem Schrank abgelegt hatte.
»Müssen wir schon aufstehen?«, brummte Daniel, als er den Lufthauch bemerkte, der ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
»Mein Handy klingelt«, wisperte Fee und tastete sich durch die Dunkelheit in der Hoffnung, sich nirgendwo anzuschlagen.
»Seit wann ruft die Klinik auf deinem Handy an?« Daniel zog die Decke über die Schulter und drehte sich um.
»Keine Ahnung«, gestand Fee. Ohne Unfall hatte sie den Sessel erreicht und setzte sich. Das Klingeln hatte inzwischen aufgehört,