Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 8 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Читать онлайн книгу Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 8 – Arztroman - Patricia Vandenberg страница 14
»Können Sie Gedanken lesen?«, fragte die Klinikchefin. »Oder sind Sie einfach nur ein Engel?«
»Weder noch. Sie sehen einfach so aus, als ob Sie eine Stärkung dringend nötig haben.«
Elena zwinkerte der Chefin zu und machte sich auf den Weg, um ihr Versprechen einzulösen, nichtahnend, wie recht sie mit ihrer Einschätzung hatte.
Nicoles Auftauchen in der Klinik, die Wunden der Vergangenheit, die aufgerissen worden waren, ihr desolater Zustand … All das machte Jenny Behnisch mehr zu schaffen, als ihr lieb war. Ihre Nerven lagen blank, als sie die Intensivstation betrat, und am liebsten wäre sie schreiend davon gelaufen, als sie sah, wer vor Nicoles Zimmer bereits auf sie wartete.
Roman hielt eine Tüte in den Händen, mit der er lächelnd durch die Luft wedelte.
»Frühstück für die müde Ärztin!«, verkündete er sichtlich stolz über seine Idee. »Mir scheint, dass es mir diesmal gelungen ist, früher als du aufzustehen.«
Doch Jenny konnte weder lachen noch sich freuen. Ablenkung war das letzte, was sie im Augenblick brauchte.
»Danke, aber Schwester Elena bringt mir gleich ein Tablett«, lehnte sie Romans Einladung unfreundlich ab.
Die Miene des Architekten erstarrte, und er ließ den Arm sinken. Jenny wusste, dass sie ihn vor den Kopf gestoßen hatten. Doch sie konnte es nicht ändern, und kein Wort der Entschuldigung kam über ihre Lippen.
»Schön.« Roman erinnerte sich an seinen Vorsatz, nicht zu streng mit seiner Lebensgefährtin zu sein. »Dann frühstücke ich eben mit Daniel und Fee. Sie haben uns eingeladen. Vielleicht hast du ja Lust, später zu uns zu stoßen?«
»Ich glaube nicht.« Wie um sich zu schützen, verschränkte Jenny die Arme vor dem Oberkörper. »Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mich auch nützlich machen und ein paar Sachen abarbeiten. Mein Schreibtisch bricht demnächst zusammen.« Im Gegensatz zu Roman schien sie jeden guten Vorsatz vergessen zu haben.
Der Architekt antwortete nicht sofort auf diesen neuerlichen Korb.
»Ich weiß, dass dich die Geschichte mit deiner Cousine ziemlich mitnimmt, und möchte dich auf keinen Fall zu irgendwas drängen«, machte er einen letzten Versuch, sie zur Vernunft zu bringen. »Aber denkst du nicht, dass du ein bisschen Erholung bitter nötig hast?«
»Vielen Dank für den Hinweis!« Jenny brachte es nicht fertig, Roman in die Augen zu sehen. »Aber ich glaube, ich weiß selbst am besten, was ich brauche.« In diesem Moment hasste sie sich selbst für ihre Hartherzigkeit. Und doch konnte sie es nicht ändern. »Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst. Ich möchte endlich nach Nicole sehen.« Mit diesen Worten ließ sie Roman stehen und ging an ihm vorbei ins Zimmer ihrer Cousine.
Einen Moment lang starrte er ihr nach und fragte sich, ob er verletzt, enttäuscht, traurig oder wütend sein sollte. Schließlich entschied er sich für alle vier Möglichkeiten auf einmal und verließ die Intensivstation, ohne sich noch einmal umzudrehen.
*
Unterdessen trat die Klinikchefin ans Bett ihrer Cousine. Mit weit geöffneten Augen lag Nicole da und starrte sie an.
»Hey, du bist ja wach«, begrüßte Jenny sie betont munter. »Wie fühlst du dich?«
Doch Nicole dachte nicht daran, das freundliche Lächeln zu erwidern.
»Zumindest scheine ich überlebt zu haben«, antwortete sie und musterte ihre Cousine abschätzend. »War das dein Mann?«
Jenny gefiel diese Frage nicht.
»Mein Lebensgefährte«, erwiderte sie knapp und konzentrierte sich auf die Aufzeichnungen des Apparates, der neben Nicoles Bett stand und unaufhörlich Daten speicherte.
»Dachte ich mir. Dein Tonfall kam mir gleich so bekannt vor.«
»Eigentlich sind deine Werte ganz gut«, beschloss Jenny, diese Bemerkung zu ignorieren, und drehte am Knopf des Tropfs, um die Flüssigkeitsmenge zu regulieren. »Ich denke, wir können dich heute auf die normale Station verlegen.«
Doch Nicole dachte nicht daran, sich vom Thema ablenken zu lassen.
»Findest du es eigentlich richtig, wie du mit ihm umspringst?«
Allmählich verlor Jenny die Geduld.
»Ich glaube nicht, dass dich das was angeht«, fauchte sie und machte Anstalten, das Zimmer wieder zu verlassen, als ihre Cousine sie unvermittelt an der Hand packte.
»Er scheint ein ziemlicher Dummkopf zu sein, wenn er sich diese Behandlung gefallen lässt«, zischte sie, und Jenny fühlte, wie sich ihr Magen vor Ärger zusammen zog.
Nur mit Mühe konnte sie sich beherrschen.
»Roman ist kein Dummkopf. Ganz im Gegenteil. Er weiß, dass ich einen anstrengenden Beruf habe.«
»Das ist noch lange kein Grund, ihn fertig zu machen«, konterte Nicole erbarmungslos. »Aber offenbar kannst du nicht anders. Das musste auch schon Uritz erfahren.«
Als sie den Namen ihrer Jugendliebe hörte, zuckte Jenny unwillkürlich zusammen, und schlagartig erinnerte sie sich wieder an die Frage, die sie Nicole gestellt und auf die sie keine Antwort bekommen hatte.
»Was ist denn jetzt mit Uritz und dir? Seid ihr noch zusammen?«
Nicole antwortete nicht sofort. Ihr Blick glitt an Jenny vorbei aus dem Fenster. Mit einem Mal war alle Härte aus ihrer Miene verschwunden und hatte einer tiefen Trauer Platz gemacht.
»Wir waren es bis zum bitteren Ende«, sagte sie schließlich.
»Was heißt das?« Eine eiskalte Hand hatte nach Jennys Herz gegriffen und erbarmungslos zugepackt. »Sag schon! Was ist mit Uritz?« So viele Jahre hatte sie nicht mehr an den jungen Mann von damals gedacht, hatte sich noch nicht einmal mehr an sein Gesicht erinnern können. Und nun stand es plötzlich vor ihrem geistigen Auge, so klar, als wäre sie ihm tags zuvor zum letzten Mal begegnet.
Mit der Fassung ringend wartete Jenny auf eine Antwort.
»Uritz ist vorgestern vor drei Jahren gestorben. Deshalb hab ich am Straßenrand wahrscheinlich auch nicht so aufgepasst wie sonst«, berichtete Nicole endlich mit tonloser Stimme. »Er hat sich immer Vorwürfe gemacht, dass wir beide wegen ihm keinen Kontakt mehr hatten. Das hat ihn sehr mitgenommen.« In Andenken an den geliebten Mann huschte ein Lächeln über Nicoles Gesicht. Dann kehrten ihre Augen wieder zurück zu Jenny, und ihr Ausdruck wurde erneut hart und kalt. »Aber dich hat das natürlich nicht interessiert. Du bist zuerst nach Afrika abgehauen, um Entwicklungshilfe zu leisten. Später hast du dann diesen Klinikchef geheiratet und deine Familie aus deiner Erinnerung gestrichen. Wie es uns mit dieser Geschichte ergangen ist, hat dich wahrscheinlich keine Sekunde lang interessiert.«
Diese Anschuldigungen waren fast mehr, als Jenny verkraftete.
»Entschuldige mal, was erwartest du eigentlich von mir? Du warst doch diejenige, die mir Uritz damals ohne mit der Wimper zu zucken ausgespannt hat«, beschuldigte sie ihre Cousine mit gepresster Stimme. Zum Glück waren sie allein im Zimmer. Wenn Jenny ihr Gesicht nicht verlieren wollte, durfte kein Mitarbeiter etwas von dieser Auseinandersetzung erfahren. »Warum hast du mir das angetan? Du