Die Tochter des Granden. Karl May
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Die Züge dieses unvergleichlich schönen Wesens ließen sich weder mit dem Pinsel, noch mit Worten wiedergeben. In ihnen sprach sich die unentweihte Unschuld des Kindes ebenso, wie das ungestillte Sehnen der reifen Jungfrau aus; in ihnen vereinigte sich die reine Unberührtheit einer Raffaelischen Madonna mit der verheißungsvollen Glut eines Frauenkopfes von Correggio. Und wer in die großen, von dunklen Wimpern beschatteten Augen blickte, die in einem vollen, tiefen Blau erglänzten, der mußte aus dem frappanten Kontrast dieses Blaus mit der Rabenschwärze des Haares ahnen, daß diese hinreißende Schönheit aus einer innigen Vermählung des maurischen Blutes mit dem westgotischen entstanden ist.
Sternau hatte nicht schlafen können. Die Begegnung mit dem heißgeliebten Mädchen hatte sein Innerstes so aufgeregt, daß an Ruhe nicht zu denken war. Zwar kehrte er nach seinem Abschied von der Geliebten in seine Wohnung zurück, aber er wanderte während der ganzen Nacht in dem kleinen Stübchen auf und ab. Als er nach Anbruch des Tages bemerkte, daß sein Nachbar bereits munter sei, ging er zu diesem hinüber, um sich sein Maultier satteln zu lassen.
Er bestieg dasselbe und unternahm einen Morgenritt, ohne Richtung und Ziel, nur, um seinen Gedanken und Gefühlen Raum zu geben. Endlich sah er Manresa vor sich und bog in die nach Rodriganda führende Straße ein, die er gestern gekommen war.
Dort stand eine Venta, ein einsames Wirtshäuschen, vor dem ein gesatteltes Pferd angebunden war, ein Zeichen, daß sich schon ein Gast im Inneren befinde. Auch Sternau stieg ab. Er hatte seit gestern abend nichts zu sich genommen und wollte versuchen, ob er eine Tasse Kaffee erhalten könne. Als er eintrat, sah er einen nicht sehr fein gekleideten Herrn, vor dem ein chirurgisches Besteck lag, am Tisch sitzen. Es war, ohne daß Sternau es ahnte, der Manresaer Arzt, der bei der Operation des Grafen assistieren sollte.
Der Wirt, der neben ihm saß, setzte, als er der Bestellung Sternaus Gehör gegeben hatte, das durch den letzteren unterbrochene Gespräch fort:
»Also dem Grafen gilt Ihr Besuch, Señor Doktor?« – »Wie ich bereits sagte«, antwortete dieser. – »Wird es heute endlich zum Schnitt kommen?« – »Sicher.« – »Wann?« – »Schon um acht Uhr.« – »Aber die Condesa wird es wieder nicht zugeben!« – »Sie wird nicht gefragt. Es ist ihr gesagt worden, daß wir die Operation erst um elf Uhr beginnen.« – »Denken Sie, daß der arme Graf genesen wird?« – »Ja – und – nein – wer weiß es!«
Jetzt erhielt Sternau seinen Kaffee. Er hatte genug gehört. Er trank schleunigst aus, bezahlte und verließ die Stube, ohne mit einem Wort erkennen zu lassen, wie sehr er sich für die kurze Unterhaltung interessierte. In gestrecktem Galopp ritt er heim und langte eine halbe Stunde vor acht Uhr dort an.
Nachdem er sein Maultier dem Nachbarn wieder übergeben hatte, holte er seine Instrumente und eilte nach dem Schloß.
Es trieb ihn zu der Parkpforte, an der er gestern abend von der Geliebten Abschied genommen hatte. Jene stand offen, und er trat ein, wandte sich mit raschen Schritten der Richtung nach dem Schloß zu, eilte durch einen langen Laubengang und wollte nun einen kleinen freigelassenen Platz betreten, als er plötzlich in höchster Überraschung haltmachte. Vor ihm stand – Rosetta.
Sein erschrockenes Auge hing an ihr wie an dem Bild eines entzückenden Traums, aber sein Herz pochte wie unter einer unglückseligen Erkenntnis. Konnte diese Dame eine Gesellschafterin sein?
»Rosetta!« rief er, die Hände halb verlangend, halb abwehrend nach der Herrlichen ausstreckend. – »Señor Carlos!« antwortete sie. »Wie kommen Sie so früh in den Park?« – »Oh, mein Gott, träume ich? Ich ahne das Entsetzliche. Señorita, Dona, Sie sind nicht Rosetta, die Gesellschafterin, sondern...« – »Sondern?« fragte sie. »Fahren Sie fort, Señor.« – »Sie sind Condesa Rosa.« – »Ja, ich bin es; sie haben richtig geraten, Carlos«, erwiderte sie, indem sie ihm die Hände entgegenstreckte. »Können Sie mir vergeben?« – »Vergeben? O mein Gott, wie traurig ist das! Ja, nun weiß ich, warum wir scheiden müssen. Warum haben Sie mir das angetan, warum, Doña Rosa?«
Sie senkte die Lieder und gestand mit zitternder Stimme:
»Weil ich Sie liebte und einige Augenblicke glücklich sein wollte. Das ist nun aus, und um so härter ist die Strafe. Mein Vater – aber ich sehe Ihr Besteck, und Sie kommen so früh«, unterbrach sie sich erschrocken. »Hat dies einen Grund?« – »Einen Grund?« fragte er, immer noch wie halb im Traum. »Ach ja, ich vergesse fast das so furchtbar Wichtige. Gräfin, Ihr Vater befindet sich in höchster Gefahr!«
Über ihr schönes Antlitz zuckte ein tiefer Schreck.
»Mein Vater?« hauchte sie erbleichend. »Inwiefern?«
Er zog die Uhr, warf einen Blick auf dieselbe und antwortete:
»Mein Gott, die Zeit ist bereits da! Señora, man wird sogleich die Operation an Ihrem Vater beginnen.« – »Jetzt? Die wird ja erst um elf Uhr stattfinden!« – »Nein, man hat Sie getäuscht. Es ist ohne Ihr Wissen bestimmt worden, daß der Schnitt um acht Uhr vorgenommen wird. Ich traf auf meinem Morgenritt den Arzt aus Manresa, von dem ich es erlauschte, ohne mich zu erkennen zu geben.« – »Heilige Madonna! Man verfolgt böse Absichten, sonst würde man mich nicht zu hintergehen suchen. Kommen Sie, Señor, kommen Sie schnell, wir müssen diese Tat verhüten!«
Sie wandte sich und eilte in höchster Aufregung dem Schloß zu; er folgte ihr.
Als sie den Eingang erreichten, war man gerade beschäftigt, ein Pferd in den Stall zu ziehen. Sternau erkannte es als dasjenige des Arztes aus Manresa, der sich sehr gesputet haben mußte, um so schnell in Rodriganda sein zu können.
»Eilen Sie, Señorita!« mahnte der Deutsche. »Die Operateure sind bereits versammelt; wir haben nicht die mindeste Zeit zu verlieren.« – »Vorwärts! Schnell, schnell!« rief die Gräfin, indem sie die Freitreppe emporstieg und dann in einen mit kostbaren Teppichen belegten Korridor einbog, wo vor einer Tür ein Diener stand. »Ist der Graf erwacht?« fragte sie diesen. – »Ja, gnädige Condesa«, lautete die Antwort. – »Ist er allein?« – »Nein. Die Ärzte sind bei ihm.« – »Wie lange schon?« – »Zehn Minuten.« – »Ah, so kommen wir vielleicht noch nicht zu spät! Hinein, Señor!«
Sie wollte eintreten, doch der Diener schritt ihr entgegen und erklärte in einem zwar sehr höflichen, aber doch entschiedenen Ton:
»Verzeihung, Condesa, ich habe den strengen Befehl, jedermann bis auf weiteres den Zutritt zu verweigern.« – »Auch mir?« – »Besonders Ihnen.«
Ihr Gesicht nahm einen zornigen Ausdruck an. Sie warf das Köpfchen mit einer unnachahmlich stolzen Bewegung zurück und fragte:
»Wer hat Ihnen diesen Befehl erteilt?« – »Graf Alfonzo, der auch zugegen ist« – »Ah, also dieser! Machen Sie Platz!« – »Ich darf nicht! Verzeihung Condesa; ich kann nicht anders, denn ich habe den Befehl ...«
Der Diener konnte nicht weitersprechen, denn Sternau faßte ihn beim Arm, schob ihn wortlos, aber mit unwiderstehlicher Gewalt beiseite und öffnete die Tür.
Diese führte in das Vorzimmer des Grafen, in das sie eintraten. Der Diener folgte ihnen, wagte aber kein weiteres Wort des Widerspruchs. Von hier aus ging eine Tür nach dem Empfangszimmer des Schloßherrn. Gräfin Rosa fand dieselbe verschlossen und klopfte infolgedessen daran.
»Wer ist draußen?« fragte nach Wiederholung des Klopfens endlich eine