Die Tochter des Granden. Karl May

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Die Tochter des Granden - Karl May

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Alfonzo!« – »Ich bitte dich, nach deinem Zimmer zurückzugehen. Die Ärzte haben die Gegenwart anderer streng verboten!« – »Die meinige lasse ich mir nicht verbieten, wenigstens jetzt nicht. Es ist noch lange nicht elf Uhr!« – »Papa hat befohlen, daß die Operation bereits jetzt vorgenommen werde, und eine solche ist nicht für Damenaugen.« – »Ich muß noch vorher mit ihm sprechen.« – »Es geht nicht. Man beginnt bereits ...«

      Diese letzten Worte hatten nicht mehr den rücksichtsvollen Klang wie die vorhergehenden. Sie hatten einen scharfen, ungeduldig-abweisenden Ton, als meine der Bruder, die Angelegenheit hiermit beendet zu haben. Dies regte, anstatt abzuschrecken, die Gräfin nur noch mehr auf.

      »Alfonzo«, rief sie streng, »ich verlange Zutritt, und den darfst du mir nicht verwehren. Ich habe das Recht und die Pflicht, vorher den Vater zu sprechen!« – »Er wünscht es nicht. Übrigens habe ich jetzt keine weitere Zeit zu einer Unterhaltung bei verschlossener Tür. Gehe fort, denn dein Klopfen ist nutzlos.« – »So öffne ich selbst!« – »Versuche es!«

      Diese beiden Worte wurden mit einem häßlichen Lachen gesprochen; dann hörte man, daß der Sprecher sich entfernte.

      »Mein Gott, was soll ich tun?« fragte Rosa ihren Begleiter.

      Dieser lächelte überlegen, zögerte aber zu antworten, da er auf etwas zu horchen schien, was jetzt in den verschlossenen Räumen vor sich ging.

      »Gnädige Condesa«, meinte der Diener, indem er in demütiger Haltung näher trat, »ich bin überzeugt, daß man nicht öffnen wird. Haben Sie die Gnade, dieses Vorzimmer zu verlassen ...« – »Schweigen Sie!« unterbrach sie ihn mit einer gebieterischen Handbewegung.

      Sie hätte dieser Zurechtweisung des Lakaien vielleicht noch einige erregte Worte hinzugefügt, aber Sternau winkte ihr, das Ohr an die Tür zu halten. Sie tat es und hörte, wie aus der Ferne, die Stimme ihres Vaters in regelmäßigen Zwischenräumen zählen:

      »Fünf – sechs – sieben – acht – neun – zehn – elf ...« – »Was ist das?« fragte sie, noch mehr als vorhin erbleichend. »Sein Zählen soll das Fortschreiten der Betäubung markieren.« – »So wird man wirklich schneiden?« – »Allerdings.« – »Das darf nicht geschehen, das darf nicht geschehen!« rief sie in höchster, in entsetzlicher Angst. »Señor, helfen Sie mir!« – »Geben Sie mir Erlaubnis zur Gewalt?« – »Ja – aber handeln Sie sofort!«

      Da schritt Sternau zu der Tür und erhob den Fuß, ein lautes Krachen erscholl, und der Eingang war frei. Der starke Mann hatte die feste, hohe Tür mit einem einzigen Fußtritt aus dem Schloß getreten. Jetzt stand er mit der Gräfin im Empfangszimmer des Grafen. Dieses war leer, aber weiterhin ertönten laute Stimmen, und der nebenanliegende Raum wurde geöffnet. Graf Alfonzo und einer der Ärzte traten ein.

      »Was ist das?« rief der erstere. »Ich glaube gar, du wagst es, Gewalt anzuwenden!«

      Er übersah es in seiner zornigen Überraschung, daß Rosa nicht allein vor ihm stand. Wer ihn jetzt so erblickte, mit den drohend blitzenden Augen und den stark angeschwollenen Zornesadern an der zwar niedrigen, aber sehr breiten Stirn, der konnte ihn recht gut auch einer gewaltsamen Tat für fähig halten.

      Graf Alfonzo war nicht etwa ein häßlicher, abscheuerregender Mann, nein, ein jeder einzelne Teil seines Gesichts and ein jeder Zug desselben war im Zustand der Ruhe vielleicht schön zu nennen, doch jetzt, wo der Grimm ihn beherrschte, war der Eindruck, den er machte, nur ein abstoßender. Er glich einem jener Satansbilder, bei denen der Meister den Teufel nicht mit Pferdefuß und Hörnern darstellt, sondern das Diabolische dadurch zu erreichen sucht, daß er die an und für sich schönen Züge des bösen Geistes zueinander in Widerspruch bringt.

      »Wagen?« fragte die Gräfin, indem sich ihr schönes Angesicht wieder vor Indignation über den unhöflichen Empfang ihres Bruders rötete. »Ich glaube, eine Gräfin Rodriganda-Sevilla hat zu jeder Zeit das Recht, sich den Zutritt in die Zimmer ihres Vaters zu verschaffen. Nicht auf meiner Seite liegt das Wagnis, sondern gerade ich selbst bin es, die Rechenschaft darüber verlangt, daß man es wagt, eine lebensgefährliche Operation an dem Vater ohne mein Wissen vorzunehmen.« – »Wir haben es so beschlossen, und dabei bleibt es. Entferne dich!« – »Nicht eher, als bis ich den Vater gesehen und gesprochen habe. Wo ist er?« – »Im Nebenzimmer. Dein unvorsichtiges Auftreten kann ihm das Leben kosten. Eine jede Aufregung, selbst die allergeringste, wird von unausbleiblichen Folgen für ihn sein. Ah, wer ist dieser Mensch hier?« – »Es ist Señor Sternau, ein berühmter Arzt, den ich aus Paris zu mir gebeten habe, um sein Gutachten über die Krankheit des Vaters zu vernehmen. Ich erwarte, daß seine Anwesenheit auch dir willkommen sein wird!«

      Der mit eingetretene Arzt zog die Stirn in halb mißmutige und halb verächtliche Falten. Der Graf aber brauste auf:

      »Ein Arzt? Wer hat dir das erlaubt? Dies ist eine Eigenmächtigkeit sondergleichen! Ich hoffe, meinen Willen respektiert zu sehen! Du hast dich augenblicklich zurückzuziehen und diesen Menschen zu entlassen!«

      Bei dieser beleidigenden Rücksichtslosigkeit nahm das Angesicht der Gräfin die Blässe des Todes an, und sie mußte sich einige Augenblicke der Sammlung gönnen, ehe sie antworten konnte. Dann aber schien ihre herrliche Gestalt zu wachsen, sie streckte ihren Arm gebieterisch aus, und ihre Stimme klang hoheitsvoll, wie diejenige einer Königin, als sie entgegnete:

      »Vergiß nicht, mit wem du sprichst! Hier hat nur der Graf de Rodriganda zu gebieten, und wenn er daran verhindert sein sollte, so besitze ich ganz dasselbe Recht wie du, an seiner Stelle zu befehlen. Die Operation wird nicht stattfinden, bevor dieser Señor den Kranken nicht genau untersucht hat; ich will es so und werde verstehen, diesem Willen Nachdruck zu verschaffen!«

      Die Züge des jungen Grafen wurden schärfer; seine Stirnadern schwollen noch mehr, und seine Stimme erhielt einen geradezu heiseren Klang, als er, die Hand drohend erhoben, hart an die Schwester herantrat und ihr antwortete:

      »Du, du willst hier befehlen? Du, ein Mädchen? Pah! Die Operation findet statt, und dich werde ich durch die Dienerschaft entfernen lassen, wenn du nicht freiwillig gehst, und zwar augenblicklich. Ich bin gewohnt, nur das zu tun, was mir beliebt, das merke dir!«

      Dann wandte er sich an Sternau und fuhr diesen an:

      »Wer hat diese Tür eingetreten?« – »Ich«, antwortete der Gefragte ruhig. – »Mit welchem Recht? Unverschämter!« – »Mit dem Recht, das mir die verehrte Condesa Rodriganda gab. Mein Gehorsam ist also nicht im mindesten eine Unverschämtheit gewesen, vielmehr erkläre ich sehr gern, sehr aufrichtig und zugleich auch sehr ernst, daß ich noch hundert Türen eintreten würde, wenn die Gräfin es wünschen sollte!« Sternaus hohe, breite Gestalt schien sich bei diesen Worten noch zu vergrößern, und seine großen, ehrlichen Augen maßen den Grafen mit einem so milden, nachsichtigen Blick, als habe es der riesige Deutsche mit einem Schulknaben zu tun, mit dem man lind verfahren müsse. Das aber brachte diesen nur in einen noch höheren Grimm, er wandte sich von der Schwester ab, trat auf Sternau zu und drohte:

      »Fort, sage ich! Oder soll ich Sie vom Schloß hetzen lassen?«

      Sternau lächelte überlegen.

      »Ich bin auf den Ruf der Gräfin Rodriganda hier erschienen«, erwiderte er sehr gelassen, »um den Grafen, Ihren Herrn Vater, zu sehen. Das werde ich tun, trotz allen Widerspruchs und trotz aller Hunde, die man auf mich hetzen möchte. Ich verstehe ebenso gut mit Hunden, wie mit Menschen umzugehen, und lasse es darauf ankommen, ob man mich zwingen wird, mich gegen beide mit ganz der nämlichen Waffe zu verteidigen!« – »Elender!« brüllte Alfonzo, indem er seine Faust wie zum Schlag erhob. – »Señor de Rodriganda, sind

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