Der kleine Fürst Jubiläumsbox 6 – Adelsroman. Viola Maybach
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Inhalt
Schön, aber total durchgeknallt…
Im Schatten der schönen Schwester
»Charly, kannst du mir mal helfen, Eduard wieder einzufangen?«, rief Bernhard von Isebing einer Gestalt zu, die im Blaumann unter einem alten Auto lag, um es zu reparieren. »Er ist schon wieder abgehauen, und allein kriege ich ihn nicht.«
Ein Brummen antwortete ihm, dann schob sich eine schlanke junge Frau mit wilder blonder Lockenmähne unter dem Wagen hervor und sprang mit einem Satz auf die Füße. »Ich kriege ihn allein«, sagte sie und lief mit langen Schritten über den Hof des Familienguts. Der junge Hammel mit Namen Eduard hatte sich wieder einmal trickreich von der nahe gelegenen Weide entfernt – sie wussten noch immer nicht, warum er das so gerne tat und welches Schlupfloch er dafür benutzte. Mindestens zwei Mal pro Woche mussten sie ihn wieder einfangen. Das war ausgesprochen mühsam – nur wenn Charlotta sich einschaltete, ging es in der Regel ohne Probleme.
Bernhard folgte seiner jüngeren Schwester gemächlich. Gleich darauf schüttelte er lächelnd den Kopf: Sie hatte Eduard bereits erwischt, und es sah nun so aus, als führte sie mit ihm ein Tänzchen auf. Sie hielt ihn bei den Hörnern gepackt, er bockte, sie schob, aber schon jetzt war klar, wer gewinnen würde. Auch Eduard wusste das, und so gab er schließlich nach und ließ sich von Charlotta auf die Weide zurückbringen.
Mit einem eleganten Satz setzte sie über den Zaun und bedachte ihren Bruder mit einem breiten Lächeln. »Ich weiß wirklich nicht, warum ihr nicht mit ihm fertig werdet«, sagte sie.
»Ich auch nicht«, erwiderte Bernhard nachdenklich. »Ich bin auf jeden Fall stärker als du, aber ich schwöre dir, dass er sich von mir keinen Zentimeter bewegen lässt, da kann ich machen, was ich will.«
Sie lachte hellauf. Es war ein überraschend weiblich klingendes Lachen, dachte Bernhard, das eigentlich gar nicht zu Charlotta passte. Nicht umsonst hieß sie in der Familie und bei ihren Freunden nur »Charly«. Ihre weiblichen Reize, von denen sie eine Menge besaß, versteckte sie am liebsten unter ihrer Lieblingsbekleidung: dem blauen Overall, den sie gerade trug, mit den derben Stiefeln und dem ölverschmierten T-Shirt.
Die Schule hatte sie nach der Mittleren Reife verlassen, weil es ihr dort nicht gefiel und sie ständig Ärger mit den Lehrern gehabt hatte. Danach hatte sie drei verschiedene Lehrstellen ausprobiert, aber nirgends war sie geblieben. Das war eine harte Zeit gewesen, sowohl für Charlotta als auch für die Eltern, die verlangt hatten, dass sie eine ordentliche Ausbildung machte. Die hatte sie bis heute nicht.
Aber sie arbeitete hart auf dem Gut, härter als mancher Mann, und sie selbst bezweifelte nicht, dass sie von allen sieben Geschwistern am ehesten das Zeug dazu hatte, das Gut eines Tages von den Eltern zu übernehmen. Sie konnte einen Motor ebenso reparieren wie einen Rasenmäher, sie kannte sich mit Schafen und Kühen aus, eine erstklassige Reiterin war sie sowieso, und selbst draußen auf den Feldern ließ sie sich von niemandem etwas vormachen. Doch ohne Ausbildung, das hatte ihr Vater ganz klar gesagt, würde er ihr keinerlei Verantwortung übertragen.
Bernhard war der älteste Sohn der Familie Isebing, und eigentlich war er damit der Gutserbe, aber seine Eltern wussten, dass er andere Wünsche hatte. Er half gern mit, wenn er zu Hause war, aber noch lieber kehrte er an die Universität und zu seinen Bücher zurück – er träumte von einer Laufbahn als Archäologe, was in der Familie für lebhaftes Erstaunen sorgte. Immerhin hatte er bereits eine Stelle als Dozent ergattert mit seinen knapp achtundzwanzig Jahren, und jetzt arbeitete er an seiner Promotion. »Die Hauptsache ist, dass ihr glücklich werdet«, hatte seine Mutter gesagt, und für diesen Satz liebte er sie noch mehr.
Charlotta riss ihn aus seinen Gedanken. »Es kommt doch nicht auf körperliche Kraft an«, bemerkte sie kopfschüttelnd. »Du musst ihm deinen Willen aufzwingen, Bernd. Er muss dich als Chef anerkennen, sonst macht er natürlich, was er will.«
»Aha, und wie mache ich das?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Wenn du es nicht weißt, ich kann’s dir nicht erklären«, sagte sie. »Du, ich muss jetzt wieder an den Wagen gehen, sonst werde ich nicht fertig. Papa und ich wollen nachher noch auf den Viehmarkt…« Sie lief bereits zurück zu dem Auto, und gleich darauf war sie erneut darunter verschwunden, nur ihre langen Beine waren noch zu sehen.
Auch Bernhard machte sich wieder an die Arbeit – auf einem Gut gab es immer jede Menge zu tun. Er wohnte nicht mehr zu Hause, kam aber regelmäßig an den Wochenenden, weil er gern mit seinen Eltern und Geschwistern zusammen war und auch, weil ihm die körperliche Arbeit eine willkommene Abwechslung zu seinen Studien bot.
Nach einer weiteren Stunde rief Luise, die Haushälterin, die Familie zum Essen. Bernhard war sehr hungrig und beeilte sich daher, dem Ruf zu folgen. Charlotta jedoch rührte sich nicht, sie blieb unter ihrem Wagen liegen.
»Hast du Luise nicht gehört, Charly?«, fragte Bernhard.
»Zu überhören ist sie wahrhaftig nicht«, erklärte seine Schwester. »Ich komme nach, Bernd, gerade habe ich den Fehler gefunden, ich will jetzt nicht aufhören, sonst dauert es hinterher bloß länger.«
»Du weißt, dass vollzähliges Erscheinen bei den Mahlzeiten erwünscht ist.«
»Ich komme ja – nur ein paar Minuten später!« Charlottas Stimme klang jetzt gereizt, und so machte er sich ohne sie auf den Weg ins Haus.
»Wo ist Charly?«, fragte seine Mutter sofort.
»Sie liegt noch unter dem Wagen, Mama, aber sie kommt gleich, hat sie gesagt.«
Marianne von Isebing stieß resigniert die Luft aus. »Immer das Gleiche mit Charly!«, murmelte sie.
Bernd ging zu ihr und nahm sie in die Arme. »Nimm es locker, Mama. Die paar Minuten, die sie später kommt…«
Sie befreite sich unwillig aus der Umarmung. »Darum geht es doch gar nicht, Bernd! Und du musst sie nicht ständig in Schutz nehmen – Charly ist zwanzig, allmählich könnte sie erwachsen werden.«
»Aber das ist sie doch! Sie arbeitet hier auf dem Gut sehr verantwortungsbewusst…«
»Ja, und so sieht sie auch aus! Wie ein Gutsarbeiter! Man muss ja zweimal hinsehen, bis man erkennt, dass sie weiblichen Geschlechts ist. Wo soll denn das hinführen? Ich will nicht, dass meine hübsche Tochter als verbitterte, einsame alte Frau endet, nur weil sie jetzt denkt, dass sie niemanden braucht…«
»Du übertreibst, Mama. Wie du selbst gesagt hast: Sie ist zwanzig. Da hat sie wirklich noch viel Zeit.«
»Mag sein«, gab Marianne zu, und damit war das Gespräch erst einmal beendet, denn nun kamen aus allen Richtungen