Ans Herz gelegt. Clemens Sedmak
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DIE VIELEN SPRACHEN DER LIEBE
Eine Sprache zu lernen verlangt nach Demut, nach Ausdauer und Geduld, aber ebenso nach Selbstvergessenheit. Das sind auch wichtige Elemente in unserem Bemühen, einen Menschen zu lieben. Einen Menschen zu lieben ist wie das Erlernen einer Fremdsprache. Da braucht es die Anerkennung, dass da jemand ist, der von mir unabhängig ist; da ist jemand, der nicht von meinem Willen abhängt, sondern ein Eigenleben hat. Einen Menschen zu lieben heißt entdecken, dass da ein Gegenüber ist.
Einen Menschen zu lieben ist wie das Erlernen einer Fremdsprache. Diesen Gedanken kann man bei Iris Murdoch finden; sie ist schließlich auch jene Philosophin, die einmal geschrieben hat: „Liebe ist die extrem schwierige Anerkennung, dass etwas anderes als ich existiert.“ Diese Worte hat sich Iris Murdoch, die einen brillanten Geist und einen großen Sinn für Unabhängigkeit hatte, abgerungen; Lieben heißt, dass da jemand ist, der sich deiner Kontrolle entzieht; lieben heißt sehen, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unabhängig von dir ist. Für Iris Murdoch, die mit „Bindung“ und „Loslassen“ ihre Schwierigkeiten hatte, waren dies schwer erkämpfte Einsichten.
Bleiben wir bei diesem Gedanken: Einen Menschen zu lieben ist wie das Erlernen einer Fremdsprache; Gary Chapman hat diesen Gedanken auch verfolgt: Du musst die Muttersprache des geliebten Menschen lernen, wenn du mit ihm zusammensein willst. Und wenn wir mit verschiedenen Menschen liebevoll umgehen wollen, dann müssen wir viele Sprachen lernen. Denn jeder Mensch, so scheint es, will auf je eigene Weise geliebt werden.
Manche Menschen liebst du dadurch, dass du langsam sprichst; andere Menschen liebst du dadurch, dass du wenig sprichst; wieder andere dadurch, dass du viel erzählst, schnell redest … Die Liebe kennt viele Sprachen. Und das ist auch gut so. Denn wir alle sind verschieden; es gibt sie nicht, die „eine, wirkliche Sprache der Liebe“. Eine nüchterne Hebamme liebt eine gebärende Frau anders als ein behutsamer Seelsorger einen Sterbenden, dem er die Hand hält; Eltern lieben ihr zweijähriges Kind auf andere Weise, als sie Jahre später dasselbe Kind in seinen Pubertätsjahren lieben werden. Und das ist gut so.
Viele Menschen, viele Sprachen der Liebe – wer mit vielen Menschen oder auch mit einem Menschen in verschiedenen Lebenssituationen umgeht, muss vielsprachig sein, muss viele Sprachen der Liebe beherrschen; man könnte das geradezu als Lebensziel ansehen: vielsprachig werden in Sprachen der Liebe, „polyglott“ zu sein in der Liebe.
Man könnte das Bemühen um ein gutes Leben in dieser Anstrengung gipfeln lassen: Ein gutes Leben führt, wer in den vielen Situationen des Lebens stets Sprachen der Liebe zu sprechen vermag; es ist ja einigermaßen bemerkenswert, dass so viele Religionen und spirituelle Traditionen darin übereinstimmen: Der Weg des Menschen ist die Liebe; der Weg zur Menschlichkeit ist die Liebe; der Weg, der über das bloß Menschliche hinausführt, ist die Liebe.
DIE LIEBE ALS SPRACHE
Bleiben wir bei diesem Bild – die Liebe als eine Sprache: Eine Sprache ist eine Einrichtung, mit der wir unser Verhalten und unsere Interessen auf das Verhalten und auf die Interessen anderer Menschen abstimmen können. Eine Sprache hat einen Wortschatz, sie hat eine Grammatik, und Menschen entwickeln einen je eigenen Stil, wenn sie sich eine Sprache aneignen.
Die Liebe ist wie eine Sprache, die „mein“ mit „dein“ zusammenbringt; zwei Menschen, die einander lieben, gehen eine Verbindung ein, die „mein“ Leben und „dein“ Leben aufeinander abstimmt und aufeinander hin ausrichtet.
Die Liebe spricht viele Sprachen – in Ingeborg Bachmanns Gedicht Erklär mir, Liebe heißt es, „dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein“. Immer neue Sprachen eignet sich die Liebe an.
Die Liebe spricht viele Sprachen und jede Sprache hat einen Wortschatz. Der Wortschatz der Liebe, das sind die Bedeutungseinheiten, in denen sich die Liebe ausdrückt; das kann der besorgte Blick sein, der Blick des Kindes auf die demenzkranke Mutter oder der Blick des Vaters auf das fiebrige Kind; das kann eine zärtliche Geste sein, über die Wange streicheln, die Hand nehmen, auf die Stirn küssen; das kann das sorgsam ausgesuchte Geburtstagsgeschenk sein, ein langsam geschriebener Brief, ein Abendgebet. Dieser Wortschatz ist bei jedem einzelnen Menschen anzupassen; das kann man sehr schön an Geschenken sehen, die Freude machen sollen; ein vierzehnjähriges Mädchen freut sich in der Regel nicht mehr über eine Puppe, eine Krawatte mag den Rektor der Universität Salzburg freuen, nicht aber ein Mitglied einer Punkrockband. Es ist gut, den Wortschatz zu erweitern, über ein breites Repertoire an Ausdrucksformen zu verfügen.
Eine Erweiterung des Wortschatzes kann man auch lernen – ähnlich wie man sich die Sprache zur Beurteilung von Wein aneignen kann und dann geschliffen von „vielschichtigem Bukett“, „präsenter Struktur“ oder „holzbetontem Rückgeruch“ reden kann. Den Wortschatz der Sprachen der Liebe kann man ausbauen; man kann lernen, Verlässlichkeit zu zeigen, man kann lernen zu überraschen, man kann lernen, einen Brief zu schreiben … Natürlich gibt es auch „Grundvokabeln“ einer jeden Sprache der Liebe, das sind etwa die Ausdrucksformen und Absichten, die wir mit den Worten „Bitte“, „Danke“ oder „Entschuldigung“ ausdrücken. Wer diese Vokabeln beherrscht, hat schon viel gewonnen.
Die Liebe hat auch eine Grammatik, folgt bestimmten Regeln; diese Regeln haben grundsätzliche Ähnlichkeiten (jeder Mensch will mit Achtung und Aufmerksamkeit behandelt werden), aber auch Eigenarten. Meine Tante, geboren mit Trisomie 21 (Down-Syndrom), wurde vor allem dadurch geliebt, dass man sie zum Lachen brachte; meine Großmutter väterlicherseits hätte dies möglicherweise als Anmaßung empfunden; in einer Sprache der Liebe gilt, „du darfst den anderen Menschen berühren“, in einer anderen Sprache ist die Regel zu respektieren: Liebe zeigt sich im höflichen „Sie“. Kinder kommen in ein Alter, in dem sie nicht mehr in der Öffentlichkeit von den Eltern liebkost werden wollen. Das sind Regeln – die sich wandeln, über die man sich auch unterhalten kann, die geändert werden können, die aber dennoch binden und ordnen.
Schließlich will nicht nur jeder Mensch auf je eigene Weise geliebt werden, es hat auch jeder einzelne Mensch einen je eigenen Stil in der Liebe wie im Leben; manche Menschen sind impulsiv, andere überlegt; manche sind zögerlich, andere entscheidungsfreudig; König Herodes musste seine Liebe (oder das, was er für Liebe hielt) zu Herodias dadurch ausdrücken, dass er ihrer Tochter den Kopf des Johannes auf einer Schale übergab (ich beeile mich hinzuzufügen, dass wir uns noch überlegen werden müssen, ob wir bereit sind, dies „Ausdruck von Liebe“ zu nennen). Es gibt viele Weisen, einen Heiratsantrag zu machen; es gibt viele Weisen, einen 80. Geburtstag zu feiern; es gibt viele Weisen, Freundschaft zu einem Menschen anzubahnen. Das ist auch eine Frage des persönlichen Stils. Erich Kästner zeichnet Dr. Johann („Justus“) Bökh als Schularzt, der die Kinder dadurch liebt, dass er sie mit großem Respekt behandelt, ihnen pfeifenrauchend zuhört, Zeit schenkt und für sie da ist – und einen tiefen Sinn für Gerechtigkeit hat (deswegen der Spitzname „Justus“). Liebe ist also auch eine Frage des persönlichen Stils.
EIN KURS ÜBER DIE SPRACHEN DER LIEBE?
Wie wäre es nun, wenn wir einen Kurs über die vielen Sprachen der Liebe anbieten würden? Einen Kurs mit allem Drum und Dran, der es den Teilnehmenden erleichtern soll, im Alltag und in außergewöhnlichen Lebenssituationen liebevolle und liebenswürdige Menschen zu sein. Ähnlich wie Helen Schucmans Kurs in Wundern wäre es ein Kurs, der das Leben der Menschen von Grund auf verändern, sie zu einer neuen Lebensausrichtung bringen sollte.
Am Anfang eines solchen Kurses stünde natürlich eine Grundentscheidung: Will ich in der Liebe wachsen? Will ich mein Leben in den Dienst der Liebe stellen? Will ich mein Leben nach der Kunst der Liebe ausrichten?
Dann bräuchte es ein Verständnis von Sprache und es bräuchte bestimmte Hilfsmittel. Eine Sprache hat, wie wir gesehen haben, einen Wortschatz, Regeln der Grammatik und jede Sprecherin, jeder Sprecher hat einen