Ans Herz gelegt. Clemens Sedmak

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Ans Herz gelegt - Clemens Sedmak

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mein Licht, sein“ – und Jahre später, nach einem Besuch: „Du bist immer noch überall bei mir. Wenn mir etwas Schönes einfällt – eine Melodie oder ein Vers von Puschkin oder Burns oder ein Gemälde –, denke ich stets an Dich und habe Dein Gesicht und Deine Augen vor mir.“

      Um eine Reise zur Liebe in Briefen geht es in diesem kleinen Buch. Es sind Briefe aus Liebe und Briefe über die Liebe; Briefe an die Nächsten der Familie, Briefe an Lehrerinnen und Meister der Kunst der Liebe, schwierige Briefe und kurze Briefe. Die wichtigsten Anhaltspunkte werden in einem abschließenden Wörterbuch gesammelt. So sollen Pflastersteine für einen Weg zu Sprachen der Liebe zusammengetragen werden. Es ist vor allem eine Einladung, das Erlernen dieser Sprachen ernst zu nehmen und die „Liebe zur Liebe“ zu entdecken.

I. BRIEFE AN NÄCHSTE

      „ICH KANN MEIN GLÜCK

      KAUM FASSEN“

      

An Ehefrau Maria

      Liebste,

      immer schon: habe ich Dich geliebt – in jener Suche nach Hafen und Halt, die stets Dir gegolten hat, auch wenn ich es noch nicht wusste; immer schon hab ich sie getragen – die Liebe zu Dir – in einem zerbrechlichen Gefäß, das fest und behutsam gehalten werden will. Das ist der eine Satz, an dem ich mich festhalte: „Immer schon“. Immer schon warst Du gemeint als die Liebe meines Lebens. Auch auf den Lernwegen in diesem „Immer schon“.

      „Immer schon“ – das erste Wort, an dem ich mich festhalte. Und ein zweites – der Satz: „Ich kann mein Glück kaum fassen.“ Hier bräuchte ich ein Wort für das freudige, anfängerhaft ungläubige Staunen darüber, dass es wahr ist, dass es sich so zugetragen hat; ein Wort für das Gegenteil von Selbstverständlichkeit. Denn es ist ganz und gar unselbstverständlich, dass wir einander gefunden haben. Und doch: Ich suche auch nicht das Wort für das Gegenteil von Selbstverständlichkeit, weil die vertraute, vertrauende und alltagsschaffende Liebe ja an dem baut, was unausgesprochen bleibt und doch klar ist, also an Selbst-Verständlichem.

      „Ich kann mein Glück kaum fassen“ ist dann ein Satz, der nicht nur atemlos und überwältigt gesprochen wird, sondern auch ruhig und gelassen; es ist nicht zu fassen, nicht auszuschöpfen und nicht auszuloten, dass und warum wir einander gefunden haben; das Glück ist, sozusagen, mit Händen greifbar, aber unfassbar.

      Das war meine Erfahrung, als wir uns kennengelernt haben; und das ist sie immer noch. Unfassbares Glück. Dich zu lieben heißt für mich neu anzufangen. Immer wieder neu. Den Zauber des Anfangs nicht zu vergessen, den Zauber des Aufbrechens einer neuen Welt. Den Zauber auch, scheu an der Schwelle zu stehen. Dich zu lieben heißt für mich, zögernd an der Schwelle zu heiligem Boden zu stehen. Und dieser heilige Boden macht alles neu.

      Per Andersson hat eine wunderschöne Liebesgeschichte aufgeschrieben: Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr, um dort seine große Liebe wiederzufinden. Es ist die wahre Geschichte von Pikay und Lotta, er: indischer Porträtzeichner, sie: schwedische Weltreisende. Sie begegnen einander in Neu-Delhi; sie reist nach Schweden zurück, sie sind getrennt und dann begibt er sich auf die abenteuerliche 7000-Kilometer-Reise nach Schweden – mit dem Fahrrad. Ein Abenteuer, das ihn auch nach Österreich führt, nach Wien mit seinen massiven Häusern, sauberen Straßen, ordentlich gekleideten Menschen und der beherrschten Ruhe. So erlebt er es wenigstens.

      Irgendwo in diesem Buch steht der Satz „,Du hast mich an Gott glauben gemacht‘, hatte sie zu ihm gesagt.“ Der Satz erinnert mich an den Grundgedanken in Yann Martels Buch Life of Pi, deutsch: Schiffbruch mit Tiger; im Vorspann zu diesem mit dem Booker-Preis ausgezeichneten und auch aufwändig verfilmten Buch heißt es: „Ich habe eine Geschichte, die Ihnen den Glauben an Gott geben wird.“ Diese schlichte Aussage ist eine ungeheure Ankündigung am Anfang einer Geschichte, die einen an den Rand der Vorstellungskraft bringt, eine Geschichte von einem Schiffbruch mit Tiger. Die Geschichte hat die Kraft, den Glauben an das, woran nur geglaubt werden kann, zu stärken.

      So geht es mir mit unserer Liebe – „einen Menschen zu lieben heißt, das Antlitz Gottes zu sehen“, hatten wir schon bald erkannt. Pikay hat die Liebe erfahren als das, was dir die Kraft gibt, zu vergeben. Seit er Lotta gefunden hat, hat er, der Kastenlose, der so oft in seinem Leben gedemütigt worden war, keine Rachegefühle mehr verspürt. Einen Menschen zu lieben heißt, vergeben zu können.

      Pikays Vater hat auch wichtige Gedanken über die Liebe – er sagt feierlich zu seinem Sohn: „Sorge dafür, dass sie niemals Grund hat zu weinen.“ Und: „Wenn doch einmal Tränen über ihre Wangen laufen, dann lass nie zu, dass diese Tränen auf den Boden fallen“ – das bedeutet: Du musst immer zugegen sein, um deine Frau zu trösten. Einen Menschen zu lieben heißt, die Tränen des geliebten Menschen aufzufangen. Wir beide wissen, dass das eine erlittene Einsicht sein kann.

      Das sind tiefe Gedanken, die natürlich nicht vergessen lassen sollen, dass unsere Liebe vor allem auch mitAlltag zu tun hat, mit aufregenden Dingen wie kaputten Kaffeemaschinen, verstopften Toiletten, Autoreparaturen, Wäschewaschen und Schuldenbezahlen. Alles ist auf seine Weise Ausdruck von Liebe, von Bindung, von „Wir“, von gemeinsamem und geteiltem Leben. „Alles Gewöhnliche, aber nicht auf gewöhnliche Weise“ (omnia communia sed non communiter), so steht es im Tagebuch von Papst Johannes XXIII., der sich als Vertreter des Vatikans in Bulgarien recht verloren vorkam, einsam war und sich vor allem auch mit gewöhnlichen Tätigkeiten tröstete. Dich zu lieben heißt für mich auch: Alltag bauen und Alltag durchtragen. Geschirr und Gedecke, Wäsche und Reifenwechsel.

      Durch die Weite und Festigkeit des Alltags finde ich einen dritten Ankersatz: „Maria, du bist es.“ Das ist der dritte Satz, an dem ich mich festhalte; im Evangelium werden ja die Apostel nachts im Boot mit der Einsicht beschenkt: „Fürchtet euch nicht, ich bin es!“ (Matthäus 14,27). Ich erfahre das Leben mit Dir als die beglückende Einlösung des Satzes „Freu dich, ich bin es“. Du bist es, die, auf die ich zugegangen bin; die, mit der ich gehen darf.

      Im Japanischen gibt es ein schönes Bild für die Liebe zwischen zwei Menschen – sich unter einem gemeinsamen Schirm finden. Ai-ai-gasa ist ein Begriff, der auf die Zeit zurückgeht, in der Mann und Frau einander in der Öffentlichkeit nicht nahe sein und nahekommen konnten; eine der seltenen Gelegenheiten, ein wenig Körperkontakt zu haben, war das Zusammenrücken unter einem Schirm an einem Regentag. Einen Schirm zu teilen wurde dann zum Symbol für die Liebe.

      Einen Menschen zu lieben heißt, ihm Schutz unter einem Schirm anzubieten, mit ihm einen Schirm zu teilen, der vor Regen schützt. Ich habe einmal gehört, wie jemand einem Kind erklärt hat: „Ein Schirm ist ein Dach aus Stoff mit einem Stock daran.“ Das ist vielleicht keine geschliffene Definition, aber eindrücklich und verständlich. Ein aufgespannter Schirm gibt ein Dach über dem Kopf, schützt vor einer gewissen Form der „Obdach-Losigkeit“, der Schutzlosigkeit.

      Liebe schützt; Liebe hält Regen ab, Liebe lässt zwei Menschen zusammenrücken; wenn wir unter einem Schirm gehen, spüre ich Dich, wir müssen eng nebeneinander gehen, um unter einem Schirm Platz zu finden. Das Gehen unter einem gemeinsamen Schirm kann nur dann gelingen, wenn wir gemeinsam Rhythmus und Takt suchen. Dann bleiben wir im Trockenen. Ich habe Deinem Vater versprochen, Dich nach Kräften vor Nässe und Kälte zu schützen – auch vor der Nässe von Tränen, die nicht zu Boden fallen dürfen.

      Dich liebend, Dein Mann

      „MICH AUFWECKEN

      LASSEN“

      

An meine

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