Wenn sie mich finden. Terri Blackstock
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Irgendwann werde ich Casey wieder eine Mail schicken müssen, damit wir unseren Kenntnisstand abgleichen können. Wenn ich sie dazu bringen kann, mir zu vertrauen, sagt sie mir vielleicht sogar, wo sie steckt.
Ganz genau. Und Schweine können fliegen. Ich weiß, dass ich gerade fantasiere.
Als ich meine Wohnung betrete, klingelt das Telefon. Ich schaue aufs Display und seufze. Meine Mutter. Ich überlege, einfach nicht dranzugehen, aber vor dem vierten Klingeln nehme ich den Anruf an. „Hey, Mom.“ Ich weiß, dass meine Stimme matt klingt.
„Du hast mich seit Wochen nicht angerufen. Ich wollte nur wissen, ob du vielleicht tot bist.“
„Nein, Mom, ich bin nicht tot.“
„Man sollte doch denken, du würdest dich öfter mal melden, nachdem du so lange so weit fort warst. Es ist ja nicht so, als hättest du so viel anderes zu tun.“
„Doch, hab ich, Mom“, sage ich. „Ich habe gearbeitet.“
„Gearbeitet? Wer hat dich eingestellt?“
Ich möchte nicht zu deutlich werden. „Ich habe den Auftrag, der Polizei bei einem Kriminalfall zu helfen. Ich war viel unterwegs.“
„Wissen sie von deinem Problem?“
Ich hasse es, wie sie dieses Wort ausspricht – als stünde es in Anführungszeichen.
„Ja, Mom. Also, wie geht’s dir?
„Gut. Ich bin nur neugierig, wieso du Zeit hast, unterwegs zu sein, aber nie, um mich zu besuchen.“
Ich koche. „Du hast mich rausgeworfen.“
„Ich hab dich nicht rausgeworfen. Wir hatten einen kleinen Streit, sonst nichts.“ Ihre Worte klingen verwaschen. „Ich hab doch nicht gemeint, dass du nicht mehr zurückkommen kannst.“
Ich schlucke ein leises, bitteres Lachen hinunter. „War sowieso Zeit für mich, mir was Neues zu suchen.“ Ich kann mir nur einen einzigen Grund vorstellen, warum sie anruft. Sie hat es mehr als deutlich gemacht, dass ihr nicht viel daran liegt, mich zu sehen, und dass es sie, wenn sie mich doch sieht, sehr stört, dass ich nicht die Version meiner Selbst bin, die sie gern hätte.
„Brauchst du Geld, Mom? Rufst du deshalb an?“
„Nein“, knurrt sie. „Ich wollte nur wissen, ob du von Brent Pace gehört hast. Wurde umgebracht, der Arme.“
Ich möchte mit ihr ebenso wenig über Brent sprechen wie über mich selbst. „Ja, natürlich hab ich davon gehört. Aber es ist schon Monate her.“
„Wenn man bedenkt, wie viel Aufmerksamkeit dieser Junge von allen bekommen hat, und dann passiert so was. Er muss in irgendetwas Dunkles verwickelt gewesen sein.“
„War er nicht.“
„Woher weißt du das? Und die ganze Zeit haben sie auf mich herabgeschaut, als ob so etwas nur meinem Kind passieren könnte, weil ich eine so schreckliche Mutter bin. Aber ihnen natürlich nicht.“
Mein Gesicht glüht. „Und du meinst, es geschieht ihnen recht, hm?“
„Das habe ich nicht gesagt. Aber nun, jetzt hast du es gesagt …“ Ihre Stimme verliert sich, als würde sie wissen, dass diese Bemerkung abscheulich ist. Jedenfalls hoffe ich, dass ihr noch dieser letzte Rest an Gewissen geblieben ist.
„Nächstes Wochenende kommt dein Onkel mit seiner Familie zu Besuch. Ich habe ihm gesagt, du wirst hier sein, wenn du dich aus dem Bett schälen kannst.“
Ich befeuchte meine Lippen. Warum ist mein Mund plötzlich so trocken? „Das schaffe ich wahrscheinlich nicht. Ich bin schon wieder auf dem Sprung.“
„Und was soll er denken, wenn du nicht kommst?“
Jetzt brennt mir die Galle überall in meinen Gedärmen. „Dass ich einen Nervenzusammenbruch hatte und jetzt in einer Zwangsjacke stecke?“
„Das denkt er nicht.“
„Als ich das letzte Mal mit ihm telefoniert habe, hat er mir eine Standpauke gehalten und mir gesagt, ich solle mich endlich zusammenreißen. Ich sei eine Schande für die Familie und solle endlich erwachsen werden.“
„Er hat eben hohe Maßstäbe.“
Der kleine Bruder meiner Mutter hat keinen einzigen Tag seines Lebens im Dienst für sein Land verbracht, aber er hat klare Ansichten über Leute, die das getan haben. „Ich habe ebenfalls hohe Maßstäbe, Mom.“ Ich räuspere mich. „Es tut mir leid, aber du hättest ihm nicht sagen sollen, dass ich da bin, ohne mich vorher zu fragen. Ich kann nicht kommen.“
Ich sage ihr nicht, dass meine Therapeutin mir geraten hat, vorerst auf Abstand zu meiner Familie zu gehen. Leute, die nicht verstehen, was eine posttraumatische Belastungsstörung ist – oder eine ganz normale menschliche Schwäche –, sollten keine Gelegenheit haben, meinen Heilungsfortschritt zu behindern.
Ich habe ein dickes Fell und bei den meisten Menschen kann ich Ignoranz ertragen, aber bei Menschen, die einem eigentlich nahestehen sollten, ist das schwerer.
„Was soll ich deinem Dad sagen?“
„Sag ihm, ich bin aufgestanden.“
„Er hat wieder das ganze Geld im Spielsalon gelassen. Ich weiß nicht, wovon wir die Rechnungen zahlen sollen.“
Aha. Ich wusste es doch. „Wie viel?“
„Hundertfünfzig.“
„Gib mir die Kontonummer. Ich rufe die Bank an und zahle die Rechnung.“
„Ich weiß sie nicht auswendig. Schick mir einfach das Geld, dann begleiche ich die Rechnung.“
Ich weiß es besser. Meine Eltern sind beide Alkoholiker. Mein Dad hat bereits eine so schlimme Leberzirrhose, dass er Blut spuckt. Sie vertrinken jeden Cent ihrer Unterstützung, bevor die Rechnungen fällig werden. Ich könnte sagen, ich schicke ihnen kein Geld mehr, aber dann werden sie ausfallend und ich würde die nächsten paar Tage nur damit zubringen, mir deswegen Vorwürfe zu machen, statt über Casey Cox nachzudenken. Also verspreche ich, Geld zu schicken, damit ich das Gespräch beenden kann.
Manchmal ist eine Familie ein Minenfeld.
6
Dylan
Auf der Hantelbank schaffe ich jetzt die 250 Pfund, obwohl ich seit meiner Entlassung aus der Armee Gewicht verloren habe. Meine Therapeutin meint, ich solle mich in jeder Hinsicht um meine Gesundheit kümmern. Zuerst hatte ich überhaupt keine Lust auf Sport. Ich wollte am liebsten im Bett bleiben und die Kacheln an der Decke zählen – in meinem Schlafzimmer sind es übrigens 196 Stück –, aber mein Kumpel Dex hat mich sozusagen sanft gezwungen, mit ihm ins Fitnessstudio zu gehen. Dex hat wie ich einen Sprengstoffanschlag überlebt, bei dem fünf von unseren Jungs, die an diesem Tag mit im Konvoy waren, ums Leben gekommen sind. Er ist so stur wie ein Ziegenbock und er war total aufgebracht, dass ich