Sonderlinge, Außenseiter, Femmes Fatales. Michaela Lindinger

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Sonderlinge, Außenseiter, Femmes Fatales - Michaela Lindinger

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der Textilbranche. Hing über einem unauffälligen Eingang ein Schild mit der harmlosen Aufschrift »Kleidersalon«, konnte man davon ausgehen, dass es sich um ein »toleriertes Haus« – also ein Bordell – handelte.

      In den Wirtshäusern Neulerchenfelds hatte es die ausgesprochen übel beleumundeten, sogenannten »Nackten Bälle« gegeben, Veranstaltungen, die in den 1850er-Jahren polizeilich verboten worden waren. Die »liederlichen Weibspersonen« fanden umgehend anderweitig Ersatz, sie traten nun als Männer verkleidet auf Maskenbällen auf, was ebenfalls polizeilich untersagt war. Gestattet war lediglich, dass sich Männer als Frauen ausgaben. Besonders gut besucht waren die nicht ganz jugendfreien »Lumpenbälle« und die bis heute legendären »Wäschermädelbälle«. Sie hießen so, auch wenn kaum ein wirkliches Wäschermädel dort anzutreffen war. Die versierten Ballkenner suchten in Hernals, Lerchenfeld und Ottakring ohnehin kein rotarmiges, dralles Geschöpf, sondern »Frauenspersonen mit Absichten«, wusste Stadtreporter Eduard Pötzl. Ein Wäschermädelkostüm war durchaus willkommen: »kurzes Röckchen, steif gebügelt, eine Schürze, Brusttuch und Kopf-tüchel«. Dazu eine kecke, herausfordernde Haltung, »um dem Ideal des Wäschermädels« zu entsprechen. Das männliche Gegenstück zu dieser resoluten Maskerade war der »fesche Bua« mit grellem Halstuch, Kappe nach der Seite, Haare mit Brillantine zur Tolle gedreht, gewissermaßen das Urbild des »G’schupften Ferdl«. Seinem Wäschermädel schrie er das angeblich von ihm erfundene obligate »Ob’s’d herrrgehst!« zu. Der Ausdruck wurde bald eine allgemein verstandene Bezeichnung für »Demimondlerinnen«.

      In diesem Umfeld trieben sich auch Leute wie Johann Nestroy herum, auf der Suche nach Typen für seine Satiren. Oder der Säufer und Vorstadtpoet Ferdinand Sauter, Stammgast in der traditionsreichen »Blauen Flasche« in Neulerchenfeld. Von ihm stammt der Ausspruch: »Verkauft’s mei G’wand, i fahr’ in Himmel.« Das tat er selbst frühzeitig, denn er war das erste Opfer der Choleraepidemie von 1854, die in den von Hygienemaßnahmen weitgehend verschonten Vororten ausgebrochen war. Von den Literaten wurde der typische Lerchenfelder folgendermaßen charakterisiert: Auf jeden Fall ist er der Inbegriff und sinnliche Idealtypus des urwüchsigen männlichen Wieners. Er neigt zu Grobheit und derbem Witz, hält viel von überschwänglicher Gemütlichkeit und verfügt über einen instinktmäßigen Hang zum Alkohol. Seine Hauptbeschäftigungen sind Trinken und Nichtstun. Das alles in einer Sphäre des Aufbegehrens, des Widerstands und der beständigen, aber meist trost-und erfolglosen Suche nach dem Glück.

      »Kennen Sie Mansfeld? Fräulein Antonie Mansfeld?«

      Frauen waren bis in die 1860er-Jahre vom »Brettl« ausgeschlossen. Offiziell durften sie erst ab 1871 in Volkssängergesellschaften auftreten. Man sagte ihnen vieles nach, beileibe nicht nur musikalische Künste. Der Ort ihres Wirkens, das »Brettl« oder die »Pawlatschenbühne«, wurde ursprünglich unter freiem Himmel oder eben in den Vorstadt-Wirtshäusern errichtet, aus Holzresten oder Fässern. Das Podium war leicht auf- und abzubauen und gut transportierbar. Die »Pawlatsche« leitet sich vermutlich vom tschechischen Wort »pavlač« (= offener Gang) ab. Da die Vorschrift des Frauenverbotes nicht übermäßig rigoros befolgt wurde, waren etliche Sängerinnen schon früher erfolgreich und populär. Das Hineinschmuggeln von Frauen gehörte überhaupt zu den beliebtesten Vortragsnummern. Stimmungsmacherinnen wie Antonie Mansfeld stiegen in dieser früheren Männerdomäne zu richtigen Primadonnen auf. Volkssänger und Volkssängerinnen waren vielseitig begabte Unterhaltungsprofis. Singen zu können allein reichte bei Weitem nicht aus. Sie waren Schauspieler, Gesangskomiker und Kabarettisten in einer Person, oft noch mit einer zusätzlichen »Spezialität«, wie Pfeifen oder Jodeln. Sie lasen auch Zeitungen, um mit den Ereignissen in Wien und der Welt vertraut zu sein, denn viele Liedinhalte waren tagesaktuell und wurden ständig angepasst. Die Konkurrenz war enorm. Man kämpfte ohne Unterlass um die Gunst des Publikums, das in Wien aus einem sehr reichhaltigen Angebot wählen konnte. Veranstalter schalteten teure Zeitungsinserate mit Superlativen wie »sensationelles, kolossales Programm«. Das für Werbung ausgegebene Geld musste allnächtlich wieder erwirtschaftet werden. Theodor Herzl, damals als Journalist tätig, stellte die korrekte Frage: »Das Erlangen der allgemeinen Gunst ist immer etwas Zufälliges, Unberechenbares. Wie lange findet das Publikum Gefallen an der Maske, die es hervorgerufen hat?«

      Der Pechfabrikant Haberlandter war in Wien als Talentsucher unterwegs. Er verstand sich als Volkssänger-Mäzen und gab in seinem großen Haus in der Matzleinsdorferstraße Soireen, in deren Rahmen er junge Künstlerinnen präsentierte. Viele spätere Berühmtheiten gaben dort ihr Debüt. Nach dem Vortrag ging Haberlandter mit einem Küchensieb herum und sammelte die Spenden ein. Seine Abende erhielten viel Zuspruch und auch der Stern der Antonie Mansfeld ging dort auf. Sie wurde die erste bedeutende Wiener Volkssängerin. »Lokalsängerin«, wie sie sich selbst nannte, denn das klang viel nobler. Auf der Straße zu singen war verboten. Als Volkssänger musste man registriert sein, also eine Lizenz besitzen, die dazu berechtigte, diesen Beruf als Haupterwerb auszuüben. Aus diesem Grund war der in der ganzen Monarchie bekannte Josef Bratfisch kein Volkssänger, denn er war als Fiaker zugelassen. Da er aber so ausgezeichnet sang und pfiff, nannten er und seinesgleichen sich »Natursänger«.

      Als junge Künstlerin konnte man der Charakteristik des eigenen Auftritts nicht genug Aufmerksamkeit widmen. Es war wichtig, sich von den anderen abzuheben, etwas Eigenes darzustellen, unverwechselbar zu sein. Ein Markenzeichen bzw. ein »Alleinstellungsmerkmal« zu haben war das Um und Auf. Antonie Mansfeld gab die Melancholische. Mit ihrem züchtigen Äußeren, aber frivolem Repertoire begeisterte sie sogar die vornehme Gesellschaft. Aristokraten und Geldmagnaten kamen zu ihren Aufführungen. Zum Cancan sang sie Zoten in eindeutig-zweideutiger Textierung, auf dem Klavier begleitet von ihrem Freund Ferdinand Mansfeld, der ihr die Lieder auf den Leib schrieb. Das Wort Zote war damals im alltäglichen Sprachgebrauch, auch Sigmund Freud beschäftigte sich im Rahmen seiner Forschungen über Witze damit. Der Kontrast zwischen dem seriös-schüchternen Auftreten der Mansfeld, stets in einem schwarzen, hochgeschlossenen Seidenkleid, und ihrem Vortrag derber obszöner Späße und Pikanterien, die durchaus gegen den »guten Geschmack« verstießen, war reizvoll und machte sie berühmt. Sie trug nie Schmuck und wirkte wie die personifizierte strengste Sittsamkeit, eine »pikante Erscheinung«, meinten die Bewunderer. Zu ihrem raffinierten Programm gehörten zum Beispiel eine gesungene Bearbeitung von Verhaltensregeln, wie sie in den Empfangssalons der Wiener Puffs aushingen, oder die Preislisten der Angebote von Straßenhuren. Ihre Gebärdensprache, laszive Mimik und Ausdruckskraft taten das Übrige. Antonie Mansfeld stieg kometenhaft auf. In kurzer Zeit war sie eine Garantin für volle Säle. Die Zuhörer jubelten. Natürlich sang sie auch die von Kronprinzessin Stephanie so despektierlich erwähnten »sentimental-ordinären Schlager«, also impertinente Gassenhauer, die jeder Straßenbub mitsingen konnte. Auch andere Volkssänger und -sängerinnen setzten die Zote gegen die Hochkultur, entlarvten in der erotischen Rede die gängige bürgerliche Doppelmoral. Ihre Sprache unterschied sich deutlich von der der Wiener Gesellschaft. Viele Lieder und Couplets identifizierten den angeblich so großen Unterschied zwischen »reiner Liebe« und »schmutzigem Sex« als Heuchelei und führten die Männer als Nutznießer und die Frauen als Opfer der bourgeoisen Scheinwelt vor.

      Stadtbekannt war, dass der Liederdichter und Komponist Ferdinand Mansfeld der Geliebte der Mansfeld war, doch sie gab ihn als Bruder aus. In Wirklichkeit hieß sie Antonie Montag, hatte keinen musikalischen Bruder und war auch nicht verheiratet. Ihre Mutter war tatsächlich ein Wäschermädel gewesen und auch sie selbst entsprach dem Klischee, hatte sie doch den Beruf der Näherin erlernt und in einer Seidenfabrik am Schottenfeld gearbeitet. Wie so viele Mädchen der Unterklasse träumte sie von einer Bühnenkarriere. Sie sang passabel und wurde als Choristin an diversen Wiener Theatern engagiert, zum Beispiel am Meidlinger Theater, am Theater in der Josefstadt und im Neulerchenfelder Theater (Thalia Theater). 1868 gab sie ihre Premiere als Solistin. Friedrich Schlögl, ein bekannter Feuilletonist, sah ihre Auftritte und schrieb überzeugt: »Sie hat Talent!« Er betonte auch, dass ihr Publikum nicht nur aus den »ordinären, bierduseligen« Vorstadtproleten bestehe: »Die Anhänger der Künstlerin kommen selten zu Fuß, eine ganze Wagenburg von Fiakern hält vor jenen Etablissements, und aus den Fiakern springen alte und junge Herren in tadelloser Toilette,

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