Sonderlinge, Außenseiter, Femmes Fatales. Michaela Lindinger

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Sonderlinge, Außenseiter, Femmes Fatales - Michaela Lindinger

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als lockeren Anhang: »Da flimmerte es vor den Augen«, schrieb ein Augenzeuge in einem zeitgenössischen Bericht. Sie verfügte über schöne sprechende Beinamen wie »Gipfelpunkt der Verruchtheit« oder »Frau Venus von Wien«. Das Lieblingslied der »Milli«-Gefolgschaft hieß treffsicher Ich bin halt noch so unerfahr’n! und eine Strophe lautet:

      Wie i am Maskenball bin g’west,

      sagt einer: obs’d zu mir hergehst?

      Was i nur will, soll i begehr’n,

      Champagner und Fasan verzehr’n.

      Er lasst mei Hand gar nimmer aus,

      und sagt, er führt mi später z’Haus.

      Der Antrag macht mi ganz verleg’n,

      (…)

      Ich bin halt noch so unerfahr’n.

      Als Milli 1874 im Hafen der Ehe landete, berichtete die Wiener Zeitung erstaunt: »Alles im Leben ist vergänglich. Heute heiratet sie, die Königin der lärmenden Feste (…). Sie übernimmt ein gutes Fiakergeschäft. Sehr lobenswert!« Der Redakteur fragte hoffnungsvoll: »Sie legt das Jockeykostüm doch wohl für immer ab?« Davon konnte keine Rede sein. Sie und ihre »wilde Jagd« suchten weiterhin zielsicher zwielichtige Schuppen in den Vorstädten heim, wussten, wie man harmlos erscheinende Tanzveranstaltungen in »nächtliche Orgien« umfunktionierte und »durch zügelloses Treiben eine Ulkstimmung hervorrief«, so die Kritiker. Das Ende war absehbar. Die »viel umworbene Bringerin der Lust« wurde knapp vierzig Jahre alt. »Das wüste Leben rächte sich« in Form einer Leberzirrhose. »Leberentartung« sagte man, als Emilie Demel am 18. Mai 1889 auf dem Dornbacher Friedhof beigesetzt wurde.

      image Die »Fiaker-Milli« ganz seriös, um 1874

      Viel später, 1933, sollte die »Fiaker-Milli« wieder im Rampenlicht stehen, als Opernfigur im letzten gemeinsamen Werk von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss. Die Oper Arabella geht auf die 1910 erschienene Novelle Lucidor zurück, doch spielt die Geschichte im Wien das Jahres 1860. Es geht darum, die Scheinwelt der Reichen, Schönen und Eingebildeten zu entlarven. Beim Fiakerball tritt Milli gewissermaßen als Ballmaskottchen auf und krönt die Hauptfigur Arabella zur Ballkönigin. Um ihrem Ruf gerecht zu werden, flirtet sie anschließend hemmungslos mit dem Angebeteten von Arabella. Am Ende löst sich alles in Wohlgefallen auf.

      Showgirls

      Der kitschige und stark klischeebehaftete Ausdruck von »Glanz und Elend« passt perfekt auf die Berufsgruppe der Volkssängerinnen. Fast alle starben jung und/oder verarmt, oft in der Psychiatrie oder gleich in der Gosse. Einige begingen Selbstmord, wie die Schwester von Fanny Hornischer, Lori. Sie suchte die Gesellschaft der berüchtigtsten Frauen der Zunft, der »böhmischen Toni«, der »dicken Bernhardine« oder, am häufigsten, der »Fiaker-Milli«. Unzählige Liebhaber und Affären brachten ihr nur Unglück und nach einer besonders unerfreulichen Liebesgeschichte schoss sie sich ins Herz. Die heute bekanntere Fanny nutzte die sensationslüsterne Berichterstattung über ihre Schwester und wagte ebenfalls den Sprung aufs »Brettl«. Ihre geläufigste Nummer hieß »A frischer Aufmischer von der Hornischer«. Die Geschichte der Geschwister Hornischer kann man in der Erzählung eines anderen Wiener Selbstmörders nachlesen: Ferdinand von Saar, dessen Frau auch durch Suizid aus dem Leben schied, nahm für Die Geigerin (1887) die Skandalschwestern zum Vorbild. Bei ihm heißen sie übrigens Mensfeld, was wiederum die damals sehr berühmte Antonie Mansfeld in Erinnerung rufen sollte. Dem Moralisten Friedrich Schlögl gefiel die »unanständige« Fanny Hornischer so gar nicht: »Wie sie wie eine Ente im dicksten Zotensumpf herumplätschert und ihr die Jauche bis an die Stirn spritzt! Und wie bei solcher Produktion ihr und ihren Verehrern so kannibalisch wohl ist.« Im nächsten Couplet griff sie den selbsternannten Sittenwächter öffentlich an. Er hatte den Schaden, für den Spott brauchte er nicht mehr zu sorgen. Ein Oberleutnant aus ihrer Anhängerschaft heiratete die Hornischer und musste deswegen seinen Dienst quittieren. Er fand in der Folge keine Arbeit und lebte von den Einkünften der Sängerin. Fanny hatte dennoch mehr Glück als viele ihrer Kolleginnen. Sie brachte sich im Alter mit einem Zuckerlgeschäft in der Hofmühlgasse durch.

      Das Gegenteil der zurückhaltend und dezent auftretenden Antonie Mansfeld war die Sängerin Anna Ulke. Sie gebärdete sich wie eine Königin, stolzierte in prächtigen Roben auf das Podium und ließ sich die Schleppe von Lakaien in Livree nachtragen. Auch ihre Gage war sagenhaft: 1000 Gulden monatlich, obwohl sie einst in einem Bierschuppen begonnen hatte. Zu verdanken war der Riesenerfolg zu einem Teil ihrem Leibkomponisten und Begleiter Wilhelm Raab, der noch Kapellmeister der Rothschild’schen Hauskapelle werden sollte, bevor er ins »Irrenhaus« kam und dort starb. Das »Fräulein Ulke« wurde von Johann Strauß für die Hosenrolle des Prinzen Orlofsky in der Fledermaus engagiert, doch Theaterfachleute und Presse waren nicht begeistert: »So nimmt man sie (Anna Ulke, Anm.) aus dem sumpfigen Boden und verpflanzt sie direkt an den Garten der Musen.« Volkssängerinnen waren halt einfach nur »Sumpfblüten«. Es sollte nicht klappen mit dem Aufstieg vom »Brettl« zum ernsthaften Schauspiel. Anna Ulke starb bald. Sie wurde nicht einmal dreißig Jahre alt. Ihr Begräbnis war ein Ereignis, von dem ganz Wien noch lange sprach. Solange Neugier und Sensationslust nicht zu kurz kamen, bewiesen die Wiener ihre Anhänglichkeit. Die »schöne Leich« zeichnete sich in diesem Fall dadurch aus, dass der Zug der »Trauergäste« weitaus länger war als der Weg vom Sterbehaus zur Kirche und so entschloss man sich, den Leichenwagen zahlreiche Umwege durch die Bezirke Mariahilf und Neubau machen zu lassen, damit auch wirklich alle Spektakelsüchtigen auf ihre Kosten kamen.

      Ein betrunkener abgewiesener Verehrer einer anderen »Brettl«-Königin veranstaltete mit ihrem Pianisten ein Saufgelage. Als die Sängerin aufs Podium kam, fiel der Klavierspieler stark betrunken hinter das Klavier. Die Vorstellung wurde abgesagt.

      Die Volkssängerin Leopoldine Weiß wurde nachts auf dem Heimweg zu ihrem Elternhaus von einem eifersüchtigen Liebhaber abgepasst. Er schüttete ihr Vitriol ins Gesicht. Die Medien berichteten, dass sie »furchtbar entstellt« war und ihr Augenlicht verlor. Nach einer wenig erfolgreichen Tour als blinde Sängerin endete sie auf der Straße, geführt von einer alten Frau. Zuletzt sang sie mit einem Ariston (= mechanischer Musikautomat) in den Höfen der Zinshäuser.

      »Hetz, Gaudium und Räuscherl« war die Welt der Josefine Schmer: mit 15 Balletteuse, später sehr prominente Volkssängerin mit fantastischer Figur. Meistens erschien sie in Hosenrollen als Fiaker oder als »Weaner Bitz« (= männlicher Volkstyp) auf dem Podium. Noch später: Endstation Versorgungshaus Lainz.

      image Volkssängerin Josefine Schmer im Kostüm, um 1860

      Der Strukturwandel der Wiener Bevölkerung ermöglichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den kometenhaften Aufstieg der Volkssängerinnen und Volkssänger. Ohne Industrialisierung und die damit einhergehende Proletarisierung hätte es weder die KünstlerInnen auf den »Brettln« noch das lärmende Publikum davor gegeben. Gleichzeitig war der Niedergang des klassischen Wiener Volkstheaters zu beobachten, denn die Darbietungen der Volkssänger wirkten auch als kostengünstiger Theaterersatz. Nach dem Börsenkrach von 1873 sollten bald die ebenso verrufenen Cafés chantants (Konzertcafés) folgen, in denen die Geburtsstätte des modernen Chansons schlagen wird.

      »Fröhlichkeitsprofessionisten« seien die Wiener Volkssängerinnen und Volkssänger, sagte einst Theodor Herzl: »Es muß einer viel Humor haben, wenn er dabei den Humor nicht verliert.«

      Ludwig Viktor von Habsburg-Lothringen: Emanzipation in Rosa

      Ludwig

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