Sonderlinge, Außenseiter, Femmes Fatales. Michaela Lindinger

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Sonderlinge, Außenseiter, Femmes Fatales - Michaela Lindinger

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(Nora Fugger). Seine Affären wurden herumerzählt, die Leute lachten schadenfroh bis mitleidig, aber niemand war sonderlich erschüttert. Der Erzherzog glaubte, er könne sich (fast) alles erlauben. Andere mit seinem aufsehenerregenden Register wären längst im Gefängnis oder in einer Anstalt verschwunden: »Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts wird mit schwerem Kerker bis zu fünf Jahren bestraft.« Dieses Gesetz galt für weniger Prominente. Abgesehen von den erwähnten Aufregungen gab es im Badeort Abbazia (heute Opatija, Anm.) einen Wirbel, als ein junger Mann – er teilte eine Kabine mit dem urlaubenden Luziwuzi – diesem eine wertvolle Uhr stehlen wollte und dabei festgenommen wurde. Überhaupt geriet der Erzherzog, als er die vierzig überschritten hatte, in eine Art Midlife-Crisis und wurde öfter beim Herumstreunen in der Innenstadt auf der Suche nach geeigneten Burschen beobachtet. Man kann sich vorstellen, dass Franz Joseph nur noch auf ein Ereignis größeren Ausmaßes wartete, um seinen Bruder gut begründet aus Wien abziehen zu können.

      »Schwule Mädchen«

      Dem Palais Ludwig Viktors am Schwarzenbergplatz fehlte trotz luxuriöser Annehmlichkeiten ein Schwimmbad. Nora Fugger berichtet: »Und so machte es sich der Erzherzog zur Gewohnheit, zweimal wöchentlich in Gesellschaft eines Adjutanten in einer öffentlichen Badeanstalt zu erscheinen. Mir erschien die Sache eigentümlich, nicht unbedenklich.« Es war tatsächlich etwas schwer vereinbar mit der Etikette des strengsten Hofes in ganz Europa, wenn der Bruder des Kaisers »in einem öffentlichen Schwimmbassin mit n’importe qui baden durfte« (Nora Fugger). Jeder konnte es sehen, da der Hofwagen vor dem »Centralbad« in der Weihburggasse stand, wo sich die Herrensauna mit dem aufschlussreichen Namen »Kaiserbründl« noch heute befindet. »Homoerotische Aktionen als Staatsakt« – Helmut Neuhold in seinem Buch Das andere Habsburg. Für die Hofgesellschaft war es ganz und gar unvorstellbar, dass ein Erzherzog, noch dazu der Bruder des Kaisers, in eine gewöhnliche Badeanstalt ging. Auch verschwiegene Stellen an Seen oder Flüssen wären nie infrage gekommen. Der bemitleidenswerte Adjutant soll »in Furcht und Beben vor einer Entdeckung« sein Dasein gefristet haben. Was sich nun in diesem Bad abgespielt hat, ist so oft und in so vielen Variationen erzählt worden, dass es hier nur in Kurzform wiederholt werden soll. Gut möglich, dass Feinde Ludwig Viktors die heikle Angelegenheit vorbereitet hatten, um ihn gezielt in die Falle zu locken. Unbestreitbar war der Kaiser bereits in Rage wegen verschiedener Blamagen in Zusammenhang mit der toskanischen Verwandtschaft sowie mit dem Rückfallstäter Otto, der stark betrunken nackt im Sacher randaliert hatte. Seine Geduld war am Ende und die »Watsch’n«, die der badende Ludwig Viktor vor vielen Zeugen verabreicht bekam, als er eine »unvorsichtige Handbewegung« in Richtung eines ihn freundlich anlächelnden, sympathisch wirkenden jungen Mannes gemacht hat, brachte das Fass zum Überlaufen. Es wurde ihm befohlen, beim großen Bruder vorzusprechen. Genaue Zeitangaben zu dieser Unterredung, wie Datum oder Dauer, sind unbekannt, doch erfolgte im Anschluss die Verabschiedung Ludwig Viktors nach Kleßheim. Eine Intrige des Thronfolgers könnte ebenfalls Wirkung gezeigt haben. Franz Ferdinand verachtete den Onkel, der sich wiederholt dezidiert gegen die Hochzeit mit seinem »Sopherl« ausgesprochen hatte – obwohl ihn diese Frage in keiner Weise betraf und somit gar nichts anging. Aber er musste sich einmischen. Für Ludwig Viktor galt die Maxime: Wenn schon Frauen, dann nur »appartementfähige«. Und davon war die Hofdame Sophie Chotek weit entfernt. Der intolerante und rachsüchtige Franz Ferdinand dürfte die Gelegenheit beim Schopf gepackt haben und höchstwahrscheinlich mitverantwortlich für die Abschiebung des lästigen Schandmauls gewesen sein.

      Franz Joseph hatte die brüderlichen Herrenbekanntschaften immer weniger gefürchtet als den Skandal und die damit verbundenen politischen Kalamitäten. Gerade in Deutschland hatte man viel damit zu tun, begann es dort ja schon mit den Nationalhelden, wie dem großen Preußenkönig Friedrich und dessen Bruder Prinz Heinrich. Viele Witze kursierten über die älteste preußische Garnison Rastenburg (Ostpreußen, heute Polen), die sowieso nur »Päd-rastenburg« genannt wurde. Es war jene Zeit, in der das Wort »homosexuell« gerade »erfunden« wurde. Der Begriff wurde vom österreichisch-ungarischen Schriftsteller Karl Maria Kertbeny (Geburtsname: Benkert) erstmals in einem Brief erwähnt (1868). Kertbeny argumentierte, dass die Sodomie-Gesetze die Menschenrechte verletzen würden. Privater und einvernehmlicher Geschlechtsverkehr könne nicht Sache des Staates sein. Homosexualität sei keine Krankheit, sondern angeboren und unveränderlich. Schwule Männer seien keinesfalls »von Natur aus« weichlich, denn viele großartige (Kriegs-) Helden der Geschichte seien nachweislich homosexuell gewesen. Auch wies er darauf hin, dass Schwule aufgrund der herrschenden Gesetzeslage erpressbar seien und in den Selbstmord getrieben würden. Zur Untermauerung der Behauptung führte er Beispiele aus seinem Bekanntenkreis an. Dennoch kannte noch um 1900 kaum jemand außerhalb von Medizinerkreisen die Bedeutung des Begriffs »homosexuell«. Ein Tabu war die Veranlagung sowieso, egal wie man sie nannte. Die gebräuchlichsten Ausdrücke für Schwule waren »Päderasten« (das Wort geht auf Sitten im antiken Griechenland zurück), »Urninge« (abgleitet vom Gott Uranos, der ohne Mutter Vater der Aphrodite wurde) oder »Conträrsexuelle«. Der österreichische Volksmund sprach von den »Buseranten«, die Berliner meinten mit »Schwulität« eigentlich nur Schwierigkeit, bis das Wort im Fin de siècle – vielleicht in Zusammenhang mit der grassierenden Homophobie – einen Bedeutungswandel erlebte. Als Opposition entstanden erste Gruppierungen und Vereine höher gestellter Homosexueller. Einige Wissenschafter, Ärzte und Schriftsteller unterstützten deren Forderung nach Straffreiheit. Die große Mehrheit qualifizierte Schwule als »Verbrecher«, rief zur »Befreiung der Welt von diesen Scheusalen« auf und empfahl »deren Kastration oder Internierung in einem Narrenhause« (nach Helmut Neuhold). Als in dieser Stimmung der »Eulenburg-Skandal« das deutsche Kaiserreich erschütterte, war es auch mit Ludwig Viktors aufrecht zur Schau getragener Homosexualität vorbei, zumindest in der Residenzstadt Wien.

      Philipp von Eulenburg kannte Wien gut und schätzte Österreich-Ungarn – im Gegensatz zu den meisten seiner preußischen Landsleute. In den Jahren um 1900 war er Botschafter des Deutschen Reiches in der Monarchie, ein Vertrauter Franz Josephs und Wilhelms II. Es überrascht kaum, dass er in seiner Position über eine ansehnliche Zahl an Gegnern verfügte, darunter Otto von Bismarck. Dessen Einfluss auf den Kaiser soll mit Eulenburgs Unterstützung abgestellt worden sein. Danach sei Wilhelm II. unter die Fuchtel des homoerotischen »Liebenberger Kreises« (benannt nach Eulenburgs Schloss in Brandenburg) geraten. Im Jahr 1906 begann der Journalist Maximilian Harden in der einflussreichen Zeitschrift Die Zukunft seine Artikelserie über das »verwerfliche« Milieu in der unmittelbaren Nähe des deutschen Kaisers. Unterstellungen wurden breit ausgewalzt. Hauptsächlich ging es um den angeblich durch und durch schwulen wilhelminischen Herrenklüngel, der den Staat führe, und man konnte durchaus herauslesen, dass der Kaiser und der Fürst Eulenburg einer homosexuellen Beziehung frönten. Die beiden nannten sich in Briefen »Liebchen« und »alte Philine« oder »Phili«. Es kam zu mehreren Prozessen und ständig neuen kompromittierenden Enthüllungen. Selbstmorde folgten auf dem Fuß. Philipp Eulenburg war erledigt, Wilhelm II. all seiner Freunde beraubt. Er soll nach dieser Affäre nie mehr der »Alte« gewesen sein.

      Schon als Eulenburg sich in Wien angesagt hatte, eilte ihm sein Ruf voraus. Doppeldeutig konnte man Folgendes lesen: »In den Kreisen der Wiener Künstler und Schriftsteller wird er bald zu den beliebtesten und angesehensten Persönlichkeiten gehören.« Der Botschafter in spe war verärgert, beherrschte sich jedoch, als er Franz Joseph schrieb: »Das ist recht perfid, macht mir aber kein Kopfzerbrechen.« Er hätte es aufgrund der Luziwuzi-Probleme besser wissen sollen, doch wurde auch der Deutsche ein Leidtragender der moralisch nicht einwandfreien Wiener Privatschwimmbad-Szene: Ein Bademeister soll nach vollzogenem Akt 60 000 Reichsmark verlangt haben, damit er den Mund halte. Später habe Eulenburg gemeint, es sei »um eine Meinungsverschiedenheit mit einer vornehmen Dame« gegangen. Damen allerdings wurden in diesem Gesundheits-Etablissement nie gesehen, abgesehen vielleicht von »Damen in Kostüm«. Sehr wohl kannte man dort aber den Erzherzog Ludwig Viktor … Es scheint, als hätten die Bademeister, Masseure und anderes Personal ihre wohlhabende, leicht erpressbare Kundschaft nach Strich und Faden ausgebeutet.

      Die Homosexualität einer Einzelperson, noch dazu aus der elitären Umgebung des Generalstabs, wurde schließlich im schlimmsten

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