99 Namen Gottes. David Steindl-Rast
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Fühlst du eine Stelle in deinem Inneren, wo sich etwas verändern will? Veränderung kann schmerzen. Aber wie gut, sich dessen bewusst zu werden, dass dein Leben nicht von äußeren Umständen getrieben seine Form erhält, sondern „wie es dir selber gefällt“.
14 | al-Ġaffārder VERGEBENDE |
Mit jedem Gottesnamen meinen wir letztlich den, auf den alles, was es gibt, hinweist, also den Geber. Es geht dabei um ein so uneingeschränktes Geben, dass selbstverständlich die höchste Form des Gebens mitgemeint ist, nämlich das Vergeben. Darum nennen wir Gott den VERGEBENDEN. Wir kommen aber nicht nur durch Nachdenken zu dieser Einsicht, sondern auch durch praktische Erfahrung. Sobald wir Leid, das uns zugefügt wurde, wirklich vergeben, ist es geheilt, nicht verschwunden, aber verwandelt: Was uns brannte, wärmt uns jetzt, wärmt unser eigenes Herz und das Herz dessen, der uns Leid zufügte.
Was bedeutet aber vergeben? Es bedeutet, so vollkommen zu geben, dass wir uns selber, also den Ankläger, wegschenken. Wir stehen dadurch dem Anderen, der uns leiden macht, nicht mehr gegenüber, sondern werden eins mit ihm. Indem dieser „Eine“ jetzt die Schuld „auf sich nimmt“, hebt er sie auf – im Vollsinn des Wortes „aufheben“. So macht es ja selbst der VERGEBENDE mit uns.
Wo brennt dich dir zugefügte und noch nicht vergebene Schuld? Willst du sie heute vergeben? Du darfst sicher sein zu erfahren, dass Vergebung verwandelt. Das gehört zum innersten Wesen der Wirklichkeit.
15 | al-Qahhārder Alles-Bezwinger, die OBERHAND |
OBERHAND ruft in unserer Vorstellung das Bild von Streitkämpfen wach, in denen eine Seite die OBERHAND gewinnt. Wenn aber OBERHAND als Name Gottes gebraucht wird, dann kann nicht die Rede sein von Kampf, und schon gar nicht von zwei Seiten. Gott ist ja auf beiden Seiten, auf allen Seiten. Und Gott braucht nicht zu kämpfen und zu siegen. Die letzte höchste Wirklichkeit hat von Anbeginn die OBERHAND und hat sie fraglos und selbstverständlich. Nur wir müssen kämpfen, vor allem gegen Gewalttätigkeit: Also müssen wir gewaltfrei kämpfen.
Können wir aber gegen Gewalt für Gewaltfreiheit einstehen und wirklich die OBERHAND gewinnen? Ja, aber nur dann, wenn wir die OBERHAND schon haben, das heißt, nur wenn wir uns vorbehaltslos auf die einzige, die göttliche OBERHAND verlassen. Manchmal zeigt sich der Sieg der Gewaltfreiheit sogar auf geschichtlicher Ebene, aber doch eher selten. OBERHAND weist über die Zeit hinaus. „Was hier wir sind“, und dazu gehört auch das, was wir hier erreichen, „kann dort ein Gott ergänzen“, heißt es bei Friedrich Hölderlin. Und dieser Gott hat nicht nur die Oberhand, sondern ist die OBERHAND.
Finden die folgenden Zeilen aus Rainer Maria Rilkes „Herbst“, in denen die OBERHAND von unten alles auffängt, bei dir ein Echo?
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: Es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
16 | al-Wahhābder Geber und Verleiher, der SICH ENTÄUSSERNDE |
Manche Gottesnamen sind Ausdruck von Gefühlen, die durch eine Begegnung mit dem Großen Geheimnis in uns Menschen ausgelöst werden, ein Beispiel wäre etwa „der Erhabene“. Andere Namen entspringen mehr unserem Nachsinnen über Gott; dafür ist der SICH ENTÄUSSERNDE ein Beispiel. Mit dem Wort „Gott“ weisen wir ja auf die letzte Wirklichkeit hin, diese aber ist allumfassend. Wie könnte nun der Allumfassende etwas Begrenztes schenken? Gott schenkt also immer sich selbst: rückhaltlos, völlig und ganz. Nur das Fassungsvermögen der Gefäße, in die hinein Gott sich ausgießt, ist begrenzt. Und diese „Gefäße“ gibt es nur, weil Gott „einen Schritt zurücktritt“, um für die Schöpfung Platz zu machen, wie die chassidische Tradition es anschaulich ausdrückt. Nur dadurch, dass Gott sich selbst entäußert, wird es ja erst möglich, dass es „außer Gott“ überhaupt etwas gibt. Auch dass wir Gott Namen geben können, ist ja nur deshalb möglich, weil der SICH ENTÄUSSERNDE uns sein „Außen“ zeigt. In das Innere der letzten Wirklichkeit reicht kein Name hinein. Alles, was es gibt, wir selber eingeschlossen, ist Ausdruck dieses „Innen“ und Ort der Begegnung mit dem SICH ENTÄUSSERNDEN.
Kannst du dich an Augen erinnern, aus denen dich das Innerste eines dir lieben Menschen anstrahlte, sich dir ganz schenkte? Auf ein ähnliches, aber unendlich größeres Geschenk weist der Gottesname des SICH ENTÄUSSERNDEN hin.
17 | ar-Razzāqder VERSORGER |
Wann immer wir dazu neigen, uns Sorgen zu machen, sollten wir den VERSORGER anrufen. Wir sind doch niemals im Vollsinn Selbst-Versorger. Dennoch bleiben wir auch niemals unversorgt. Wir brauchen nur zurückzuschauen auf unser Leben, um das klar zu sehen. Der Mystiker und Dichter Kabir spricht vom VERSORGER als dem, „der dich im Mutterschoß strahlen ließ“. Er fragt: „Wie sollte der dich jetzt ganz verwaist herumlaufen lassen?“ Wer Gott den VERSORGER nennt, der verlässt sich darauf, dass das Leben uns immer genau das gibt, was wir im Augenblick brauchen. Es bedarf nur geringer Lebenserfahrung, um sich mit Überzeugung darauf zu verlassen. Oder glauben wir wirklich selber am besten zu wissen, was wir brauchen? Matthias Claudius drückt dieses Vertrauen auf den VERSORGER treffend aus:
Gott gebe mir nur jeden Tag,
so viel ich darf, zum Leben.
Er gibt’s dem Sperling auf dem Dach,
wie sollt er’s mir nicht geben.
Kennst du jemanden, der sich zurzeit Sorgen macht um Lebensnotwendiges? Wie kannst du diesen Menschen die Fürsorge Gottes erfahren lassen? Sind wir nicht dazu bestimmt, selber die Augen und Hände des VERSORGERS zu werden?
18 | al-Fattāḥder ÖFFNENDE |
Unser Verständnis dessen, was mit diesem Gottesnamen gemeint ist, beginnt mit dem Staunen darüber, dass es überhaupt Raum gibt: Spielraum. Schon wenn wir „Sein“ sagen, meinen wir ja nicht nur die Fülle von allem, was es gibt, sondern das Im-Fluss-Sein des Daseins. Das Sein könnte ja auch wie hingegossen und