Ein Mann geht quer. Jörg Dulsky

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Ein Mann geht quer - Jörg Dulsky

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die ich im Laufe meiner dreißigjährigen Berufskarriere behoben hatte. Eine respektable Zahl, die für den Rest meines Lebens reichen sollte.

      Die Aufmerksamkeit, die ich (wie jeder andere Patient auch) während der Kur bekam, tat mir gut, und nach zwei Wochen fühlte ich mich schon wesentlich fitter. Auch der Schlaf wurde besser, und bald war ich wieder in der Lage, mehr als zehn Seiten eines Buches zu lesen, ohne zwischendurch aufs Handy zu schielen.

      Nur, was jetzt? Ich war mit einem Mal arbeitslos, unvermögend – und frei wie ein Vogel. Mein älterer Sohn pubertierte gerade und machte mir erstaunlicherweise keine Sorgen, hatte aber naturgemäß kaum Interesse an seinem Erzeuger. Der jüngere war weit weg, bei der Mutter, wir sahen uns selten. Ein paar Monate von der Bühne verschwinden war also im Bereich des Möglichen.

      Ein alter Wunsch kam hoch: die Welt zu entdecken. Nicht, wie unlängst noch als tröstendes Zukunftsszenario im Kopf ausgemalt, irgendwann einmal in Frühpension mit Wohnmobil und einer prall gefüllten Reisekassa, nein, es gab nichts mehr auf morgen zu verschieben und auf den St.-Nimmerleins-Tag zu warten: Jetzt galt es zu leben! Jetzt wollte ich losziehen. Nicht rund um die Welt, sondern quer durch die Alpen, nur meinen eigenen zwei Beinen vertrauend, mit Rucksack und Zelt auf dem Buckel und leichtem, weil dürftig gefüllten Geldbörserl. Aus dem Haus treten und einfach losgehen: eine Richtung einschlagen, in meinem Fall entweder nach Osten oder Westen.

      Natürlich ziehe ich die Berge vor, ich gehe seit über zwanzig Jahren in die Berge. Die heimische steirische Bergwelt erwanderte ich in allen erdenklichen Formen, mit Schiern, zu Fuß oder mit Schneeschuhen. Eine Spielart des Wanderns liegt mir dabei besonders am Herzen: das Weitwandern. Ich wanderte schon durch die Dolomiten, ich wanderte in Kalifornien am Pacific Crest Trail und ich wanderte in Nepal am Himalaya. Nie länger als vier Wochen, denn dies war aufgrund meiner frühen Erwerbstätigkeit (beginnend mit 15 Jahren) und späteren Selbstständigkeit nicht möglich, aber jedes Mal war ich nach diesen Fußreisen auf Wolke sieben und fühlte mich für einige Monate wie Siegfried, nachdem er im Drachenblut gebadet hat. Ich war nahezu unverwundbar, alles prallte an mir ab, nichts warf mich um. Lästige Aufgaben konnte ich leichtfüßig bewältigen, ich stand mit beiden Beinen und gutem Schwerpunkt fest auf dem Boden. Wandern ist eine Kur für Geist und Körper.

      Dieser Leitsatz sollte mich auch dieses Mal retten. In Baden hatte ich meine Kur begonnen, am Ligurischen Meer wollte ich sie beenden. Mein Plan stand fest: von zuhause, von der Mur aus wollte ich über den Alpenbogen bis nach Nizza wandern. Also aus der Haustür treten, nach Westen gehen, Richtung Gmoaalm, dann weiter zur Gleinalm und dann …

       ZWANZIG PLUS NEUNZIG

      In der Vorbereitungsphase hatte ich mehrfach lautstark verkündet, nicht mehr als 17 Kilogramm tragen zu wollen. Alles darüber hinaus bedeute Strapazen und Mühsal.

      Am 29. April startete ich jedoch mit 20 Kilo am Buckel, die Spiegelreflex-Kamera über der linken Schulter nicht mitgezählt. 20 plus 90 plus Kamera sind klar über 100 Kilo Lebendgewicht, das ich fortan zu bewegen hatte. Die frisch rasierte Haarpracht, die jetzt im Biokübel in meiner Wohnung lag, fiel da nicht weiter ins Gewicht.

      Ich startete zu Mittag vom Frohnleitner Hauptplatz. Mit von der Partie waren Eva und Bongili, eine zweijährige Rhodesian-Ridgeback-Hündin. Dazu eine riesengroße Portion Gottvertrauen, dass alles gut gehen würde. Eva wollte mich bis zur Gmoaalm begleiten und dann wieder umkehren, Bongili sollte, so der Plan, bis ans Meer meine Gefährtin bleiben.

      Schon nach 500 Metern die erste Panne: Ich musste zurück auf Start, da ich in der Aufbruchsnervosität meine Fleecejacke vergessen hatte. Ich ließ Eva mit Bongili an einer Bank auf mich warten, trotz Evas latenter Hundephobie. Als ich zurückkam, saßen beide immer noch friedlich nebeneinander, vermieden es aber, sich anzusehen. Immerhin, die erste Hundeprüfung war geschafft.

      Mit Fleecejacke hatte ich nun 20,3 Kilo zu tragen.

      War es aufgrund dieser Tatsache oder hatte es einen anderen Grund, jedenfalls brauchten wir für diese erste Wegstrecke rund ein Drittel länger als geplant, wobei wir das erste Gipfelkreuz, den Haneggkogel, diesen Frohnleitner Hausberg mit seinem überaus sportlichen Schlussanstieg, sogar noch ausgelassen hatten.

      Eva trug eine komplette Spaghettiausrüstung plus eine Flasche italienischen Rotwein für unseren letzten gemeinsamen Abend mit sich, Bongili Satteltaschen mit ihrem Spezialfutter. Ihr machte das Zusatzgewicht offensichtlich nicht zu schaffen, denn sie jagte – einmal kurz nicht an der Leine – kreuz und quer durch den Wald, wobei sie sich, ihrer tatsächlichen Breite nicht bewusst, zwischen zwei Bäumen eine ihrer Satteltaschen zerriss. Panne Nummer 2 war damit auch absolviert. Wir kamen voran …

      Angekommen auf der Gmoaalm, schien noch einmal kurz die Sonne und ich machte mich daran, die Spaghetti zu kochen und Bongilis Satteltaschen zu reparieren.

      Anschließend genossen wir zu dritt das letzte Abendmahl und zu zweit einen hervorragenden Südtiroler Lagrein.

      Die Stimmung am nächsten Morgen war gedrückt und alles Hinauszögern konnte nicht verhindern, dass Bongili und ich nun unseren Weg allein fortsetzen mussten, weiter Richtung Westen.

      Kurz vor der Fensteralm stießen wir auf den 05er-Weg, den österreichischen Nord-Süd-Weitwanderweg, der von Nebelstein im Waldviertel bis nach Eibiswald an der steirisch-slowenischen Grenze führt. Diesem wollte ich von nun an für eine Weile folgen. Ein schöner und einsamer Weg, der überwiegend auf den Kämmen und somit meist auf einer Höhe von über 1000 Metern bleibt.

      Mein Navigationssystem war mir hier das erste Mal eine große Hilfe, ohne das Gerät hätte ich mich auf der Gleinalpe sicher verirrt. Bongili hingegen war mir absolut keine Hilfe, sie hatte ständig eine Spur in der Nase und zog an der Leine. Bergauf war dies zwar nicht unangenehm, aber bergab stolperte ich des Öfteren im knietiefen Schnee und lag auf der Nase, nur um sie nicht loszulassen.

      Ich kannte Bongili schon seit ihrem dritten Lebensmonat, aber dieser ausgeprägte Jagdtrieb war eine Facette in ihrem Wesen, die ich unterschätzt hatte. Ohne Leine war sie zu 100 Prozent auf der Pirsch und ich hatte Angst, dass ein eifriger Jäger ihren Jagdtrieb mit einem einzigen Schuss kurieren würde oder dass sie ohne Satteltaschen zurückkommen könnte. Mit Sicherheit konnte Bongili nicht vom Ertrag ihrer Zähne leben, denn erwischt hat sie bei allen ihren Jagausflügen rein gar nichts.

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       Vorbereitung der ersten Zeltnacht auf der Gmoaalm. Bongili würde lieber weiterjagen …

      Durch diesen Hund-Umstand konnte ich keine Stöcke verwenden, wodurch sich das Bergabgehen mit Zusatzgewicht sehr bald in meinen Kniegelenken bemerkbar machte. Einmal hatte ich versucht, die Leine am Hüftgurt meines Rucksackes zu befestigen, um die Hände beim Gehen frei zu haben, mit dem Ergebnis, dass ich mit dieser Methode noch schneller am Bauch landete als zuvor.

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      Bongili, der Zughund, nimmt mich am ersten Speikkogel an die Leine.

      Die ersten drei Tage herrschte schönes Wetter, das war gut für das Gemüt, denn die ersten Tage sind immer die schwierigsten, egal ob es um das Wandern oder ums Fasten, Lernen oder Sonstiges geht. Umstellungen der Lebensgewohnheiten sind immer mühsam, trotzdem freue ich mich immer wieder auf einen Aufbruch ins Neue, weil ich weiß, dass nach zwei bis drei Tagen frischer Wind aufkommt und die Lebensfreude Fahrt aufnimmt.

      Rückblickend haben diese ersten schönen Tage doppelt so hohen Stellenwert, aber damals

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