Ein Mann geht quer. Jörg Dulsky

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Ein Mann geht quer - Jörg Dulsky

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nicht damit zu rechnen war, dass sich Bongilis Jagdeifer legte, selbst wenn ich ihr meinen Rucksack aufsatteln würde, entschied ich schweren Herzens, sie zurückzuschicken und meine Reise allein fortzusetzen. Ich organisierte, dass Maria (Bongilis Frauchen und meine Ex-Freundin) zum Gleinalmschutzhaus kam, um sie dort abzuholen. Es wurde ein schwerer Abschied. Traurig und nun richtig allein schritt ich mit Stöcken im tiefen Schnee weiter, bergan dem Rossbachkogel entgegen. Der mühsame, kraftraubende Schnee und meine neue Einsamkeit ließen mich an meinem Projekt zweifeln.

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       Einsam auf der Gleinalpe

       WAS TUE ICH HIER?

      Das erste Mal kamen mir Wanderer entgegen, das kurze Gespräch mit ihnen verhalf mir wieder auf den Weg zurück: „Wohin mit dem großen Rucksack?“

      „Nach Nizza.“

      Manchmal muss man seine Ziele nur aussprechen und der nächste Schritt ist getan.

      Mit Bongili verließ mich aber auch das gute Wetter. In meiner ersten Zeltnacht ohne sie wurde ich unerwartet mitten in der Nacht von einem Regentropfen geweckt, der mir mitten ins Gesicht fiel. Und dann noch einer und noch einer … Nach ausführlicher Recherche im Licht meiner Stirnlampe stellte sich heraus, dass mein Zelt leckte, und das nicht nur an einer Stelle, sondern überall dort, wo sich Nähte befanden – und derer gab es viele!

      Ich lauschte dem Regen, er fiel laut und dicht. Dieses Prasseln auf die Zeltplane ließ mich nicht schlafen und ich fürchtete schon den nächsten Tag, der wieder nass und feucht und kalt sein würde. Die Tropffrequenz auf mein Gesicht erhöhte sich und ich stellte mir zum zweiten Mal die Sinnfrage: Was tu ich überhaupt hier?

      Nachdem das Prasseln gegen Morgen nachließ und an Schlaf sowieso nicht mehr zu denken war, packte ich noch im Morgengrauen zusammen und machte mich auf feuchten Socken Richtung Gaberl. Mit ein bisserl Glück würde es dort ein offenes Gasthaus und eine warme Suppe geben. Der Weg dorthin war sehr abwechslungsreich, einmal durch den Wald und dann wieder bergan durch offenes Gelände, dazwischen versteckten sich mächtige Restschneefelder, garniert mit den Nadeln der Bäume. Immer wieder lockerten altehrwürdige Grenzbäume das Gelände auf. Leider machte sich der übergewichtige Freund auf meinem Rücken abermals unangenehm bemerkbar, ich versank oft mit einem Fuß hüfttief, auch wenn die Schneedecke zuvor zehn Schritte lang meine Last getragen hatte. Nun waren die Stöcke eine große Hilfe, ich zog mich an ihnen aus dem Trittloch, um wie auf rohen Eiern weiterzutappen.

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       Erste Annäherungsversuche: mein „Freund“, der Rucksack, und ich

      Für diese Strapazen wurde ich tatsächlich mit einem offenen Gasthaus belohnt, es gab Fruchtsaft, Kaffee und Suppe – genau in dieser Reihenfolge. Die nassen Schuhe ein wenig trocknen, und weiter ging es Richtung Salzstiegelhaus.

      Die Passstraße übers Gaberl, die kürzeste Verbindung von der Landeshauptstadt Graz in die Nordwest-Steiermark, die mir das offene Gasthaus bescherte, bescherte mir auch die vielen Menschen, die ich hier und während der nächsten Stunde traf.

      Normalerweise bin ich kein Freund von Menschenansammlungen, schon überhaupt nicht in den Bergen, aber längeres Alleinsein rückt die Mitmenschen in ein anderes Licht, man wird offener und mitunter auch redselig, was für mich eine neue Erfahrung war. Ich hielt mich bislang eher für mundfaul als für ein Plappermaul. Wenn geschwätzig die Steigerung von redselig ist, dann war ich nun vielleicht sogar geschwätzig; dabei glaubte ich immer – da ich bis vierzig alleine lebte –, ein Schweiger zu sein. In Wirklichkeit war ich die meiste Zeit eh unter Menschen. Jetzt freute ich mich an der Gesellschaft einer Gruppe Geologiestudenten und über die Gastfreundschaft der Wirtin auf dem Salzstiegelhaus. Ich lachte über das Gewitter, das kurz nach meiner Ankunft niederging, und genoss es, in der gemütlichen Gaststube zu sitzen und eine warme Suppe zu löffeln.

      Ich mietete mich im Matratzenlager ein, weil billig und eh egal, da sonst keine Lageranwärter da waren und ich somit allein im ganzen Dachgeschoß war. Mit Hilfe eines Silikonsprays, das ich in der Garage fand, versuchte ich mein Zelt wieder dicht zu bekommen, und spätestens jetzt war es gut, dass ich wirklich allein im Lager war, da in kürzester Zeit der ganze Dachboden nach Silikon stank. Ich öffnete die schrägen Fenster und lauschte – ja, wem wohl? – dem Prasseln des Regens. Benommen vom Silikonduft, satt und zufrieden, schlummerte ich weg.

       FREUND UND FEIND

      Vorbei an Windrädern ging es anderntags sanft über braunes Gras rauf Richtung Speikkogel (von denen es mehrere gibt), immer dem Weg zur Hirschegger Alm folgend und somit entlang der steirisch-kärntnerischen Grenze.

      Das Wandern ging mittlerweile ganz gut vom Fuß. Ich kam immer mehr ins „Rollen“, diesen Zustand unbeschwerten genießerischen Gehens quasi kurz vor dem Schweben; da weiß man plötzlich wieder, warum man unterwegs ist. Die Natur genießen: Augen öffnen, Ohren spitzen und ganz im Hier und Jetzt sein. Schritt für Schritt, Kilometer für Kilometer, Rucksackpäuschen (RSP) für Rucksackpäuschen. Schlechte Gedanken, wenn sie denn hochkamen, vertrieb ich mit einem lauten „Stopp“ – es funktionierte tatsächlich! – und summte lieber einen seichten Popsong, den ich mit meinem Gehrhythmus unterstützte. Rhythmus war immer wichtig in meinem Leben. Als nervöser Jugendlicher klopfte ich stets durchs Land, sitzend, stehend, gehend. Jetzt, zumindest äußerlich ein wenig erwachsener, ist es bedeutend besser, auch dank des Schlagzeugs, dass ich seit 36 Jahren mal mehr, mal weniger oft spiele. Aber immer noch klopfe ich leidenschaftlich gern und strapaziere damit gelegentlich meine Mitmenschen.

      Das Einzige, was mich plagte, waren Schulterschmerzen, hervorgerufen durch den „Freund“ auf meinem Buckel. Wenn ich meinen RSP-Rhythmus nicht streng einhielt und nach 60 Minuten kein Päuschen hielt, sanken Stimmung und Motivation und die Schmerzen nahmen zu. Blöderweise hielt mich die Angst, den „Freund“ wieder hochheben zu müssen, davon ab, ihn abzusetzen, denn der Rucksack war absurd schwer: Ich schleppte das Gewicht von mindestens zwei vollen Kisten Bier über die Alpen, ohne ein vergleichbares Vergnügen mit dem Inhalt zu haben. Und ich brauchte sehr lange, um diesen Fehler zu korrigieren, denn immer wieder siegte das kleine Leistungsschweinchen in meinem Nacken und trieb mich an zu neuen Schritten.

      Diese Verhaltensweise ist bezeichnend für mein ganzes Leben – immer zu wenige Pausen, ich sollte öfter durchschnaufen und innehalten, denn jede auch noch so kurze Pause eröffnet einen Neubeginn. In diesem Sinn kann ich selbst dem Rauchen noch Positives abgewinnen, denn als Raucher hielt ich es zumindest mit den Pausen besser. Wenn ich mich in ein technisches Problem verrannt hatte, ging ich meistens „eine rauchen“ und rekapitulierte dabei nochmals die ganze Situation, und siehe da, meistens war die Lösung in unmittelbarer Nähe. Aber je mehr Probleme ich zu lösen hatte, desto mehr hatte sie mich im Würgegriff, die „Tschick“. Noch heute – zwanzig Jahre nachdem ich mit dem Rauchen aufgehört hatte – erwache ich manchmal schweißgebadet aus einem Traum, in dem ich eine filterlose „Gitanes“ nach der anderen rauche.

      Ich hatte also zwei gute alte Bekannte dabei: mein Leistungsschweinchen im Nacken und meinen Rucksack am Buckel, darin, ganz unten verpackt, mein notdürftig repariertes Zelt. Es dauerte nicht lange, bis das Wetter mir zeigte, wie es um meine Reparaturkünste stand. Ich brach den Wandertag schon um 15 Uhr ab, sowohl der Regen in der Luft als auch der viele Schnee am Boden ließen mich verzweifeln. Unter einer mächtigen Fichte stellte ich mein Zelt auf und hoffte, dem Regen hier ein wenig zu entgehen. Ich kochte mir grausig schmeckende Asia-Nudeln, trank Tee und fand in

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