Jetzt sag ich's. Marina C. Watteck

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Jetzt sag ich's - Marina C. Watteck

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Ich erinnere mich ebenso daran, dass er mir manchmal mithilfe eines Kochlöffels Schneckerln in die Haare gedreht hat. Der Schock angesichts des Verlusts des Vaters war überwältigend. Ich spürte nicht nur meinen Schmerz, sondern auch den meiner Mutter, die nun völlig unversorgt mit zwei kleinen Kindern dastand. Ich weiß noch, wie ich mir zu Weihnachten nur meinen Vater zurückgewünscht habe. Das Christkind sollte ihn mir einfach auf unser Hausdach stellen, ich würde ihn dort schon abholen. Das Konzept Tod war für mich als Fünfjährige viel zu abstrakt, in meiner Welt würde das Wünschen helfen, dachte ich damals.

      Meine Mutter verfiel in eine schwere Depression, aber dank meiner Großeltern, die uns liebevoll aufnahmen, konnte meine Mutter wieder Fuß fassen. Zuerst arbeitete sie im Hotel mit, dann kauften meine Großeltern ihr und ihrem Bruder, unserem Onkel Joschi, der Fleischhauer war, das Gasthaus »Schönbrunner Stöckl«, das direkt am Seitenzugang zum Schloss Schönbrunn lag, wo sie für die Küche und er für die Schank zuständig war.

      Dass in einem solchen Beruf wenig Zeit für uns Kinder übrig blieb, war klar. Doch wir hatten unsere liebevollen Großeltern und den großen Schönbrunner Park, der unser Abenteuerspielplatz, Märchenwald und Kulisse war. Besonders hatte es uns der Schönbrunner Tierpark angetan – daher stammt wahrscheinlich meine Liebe zu Tieren.

      Als Kind hatte ich Katzen, später Hunde. Wir hatten eine Kinderfrau, aber unsere Mutter versuchte, jede freie Minute mit uns zu verbringen, was im Gastgewerbe wirklich nicht einfach war. Zum Unterschied vom Großteil der damaligen Bevölkerung mussten wir nicht hungern, ein Glück, das uns als Kinder natürlich nicht bewusst war. Überhaupt hat sich das Gasthaus später, als ich schon auf der Bühne stand, immer wieder als Hort für hungrige Schauspieler bewiesen. Doch bis dorthin war noch ein langer Weg.

      Während des Krieges war meine Mutter mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Mein Onkel Joschi war an der Front, sie hielt die Stellung im »Stöckl«. Die Jahre des Krieges waren für mich von Gegensätzen geprägt. Einerseits die harte Arbeit im Gasthaus, die ständige Angst, wie es mit uns weitergehen würde, andererseits die Schrebergartenidylle meines Großvaters väterlicherseits, Ferdinand Haas, die mir wie eine Zauberwelt vorkam. Er hatte an mir einen besonderen Narren gefressen, da er sich immer eine Tochter gewünscht, aber nur Söhne bekommen hatte. Mein Großvater wohnte in der Hietzinger Hauptstraße mit seiner Frau Bertha, die wunderschöne Märchen für Kinder schrieb und veröffentlichte. In seinem Schrebergarten in Ober St. Veit wuchs alles nur Vorstellbare. Mein Großvater, pensionierter Reichsbahnoberinspektor und leidenschaftlicher Gärtner, hatte nicht nur einen grünen Daumen, er lehrte mich auch, die Natur zu achten, mit ihr respektvoll umzugehen und ihr keinen Schaden zuzufügen. Ich verbrachte viel Zeit mit ihm, einzig vor dem Unkrautjäten versuchte ich mich immer zu drücken. Vormittags nahmen wir meistens eine kleine Jause zu uns, und nachdem es ja damals noch kein Telefon gab, musste ich um die Mittagszeit auf einen kleinen Hügel steigen und nachschauen, ob Großmutter Bertha schon das weiße Handtuch am Balkon gehisst hatte. Wenn ja, bedeutete dies, dass wir uns beeilen mussten, denn das Mittagessen war fertig. Not macht eben erfinderisch.

      Mein Großvater hatte noch eine Eigenart, an die ich mich erinnere. In seinem Garten war ein großes Loch, gerade so groß, dass ein Mann aufrecht darin stehen konnte. Und genau das tat er, wenn in Wien Fliegeralarm ausgelöst wurde. Er wollte nie in den Luftschutzkeller, er wollte im Freien, in seinem Garten sein – bis auf ein einziges Mal, und da rettete er mir das Leben.

      Gerade im letzten Kriegsjahr mussten wir ständig in den Luftschutzkeller, fast jede Nacht gab es Bombenalarm. Am 19. Februar 1945 wurde der Tiergarten Schönbrunn schwer getroffen, von den 3500 Tieren überlebten nur 1500. Wie ich später erfuhr, waren die Nashorn- und Elefantenhäuser am meisten beschädigt worden. Aus den toten Elefanten kochte man dann Gulasch für die Bevölkerung, das weiß heute ja fast niemand mehr. Ich konnte das aber nicht essen, ich musste weinen, wenn ich an meine geliebten Elefanten dachte. Doch die Leute haben sich angestellt dafür, es gab ja so wenig zu essen.

      Eines Nachts wurde unsere Wohnung, die ans Gasthaus anschließend lag, getroffen. Badezimmer und Wohnzimmer wurden zerstört, nur das Schlafzimmer nicht. Ein oder zwei Tage, nachdem der Tiergarten getroffen worden war, hörte ich es plötzlich in den Jalousien rascheln. Ich ging hinaus, um nachzusehen, woher das Geräusch kam, und da sah ich ein winzig kleines Afferl, das an der Jalousie zog. Ich ging langsam hin, aber es erschrak und lief davon. Ich hätte es sofort behalten und aufgepäppelt, das arme Tier. In derselben Nacht verschwand mein Kätzchen Bibi, um das ich sehr trauerte. Zuerst dachte ich, dass es sicher irgendwo im Schutt vergraben lag, bis ich es nachts miauen hörte. Meine Mutter und ich liefen sofort hinaus, um es zu suchen. Wir entdeckten Bibi am Gipfel des Schuttberges, wo sie kläglich im Mondlicht weinte. Wir wollten sie einfangen, aber sie war so traumatisiert, dass sie Reißaus nahm. Ich habe sie nie mehr wiedergesehen.

      Wir mussten aus der zerbombten Wohnung so schnell wie möglich raus, es bestand akute Einsturzgefahr, und wie hätten wir zu dritt in einem Zimmer wohnen sollen, noch dazu ohne Bad? Also zogen wir zur Großmutter in den »Meidlinger Hof«.

      Am 12. März 1945 kam es erneut zu Bombenangriffen auf Wien, große Teile der Innenstadt, darunter die Staatsoper, der Stephansdom, die Kärntner Straße und das Kunsthistorische Museum, wurden stark beschädigt. Wir wussten, dass der Krieg dem Ende zuging, und irgendwie hatte sich das Gerücht verbreitet, Fallschirmspringer würden über Wien abspringen. Ich war jedenfalls unglaublich neugierig. Also stieg ich aufs Dach, um alles aus der Nähe zu betrachten. Plötzlich heulten Sirenen auf. Ich wusste, das hieß wieder ab in den Luftschutzkeller. Doch irgendwie blieb ich beim Hinunterklettern an Eisensprossen hängen, verlor den Halt und stürzte rund drei Meter tief ab auf ein darunterliegendes Flachdach. Mir wurde schwarz vor Augen, und das Nächste, was ich mitbekam, war das gütige Gesicht meines Großvaters, der mich vorsichtig in den Luftschutzkeller trug.

      Es war das erste Mal, dass er nicht in seinem Schrebergartenloch geblieben war. Er hatte als Erster bemerkt, dass ich nicht da war. Als ihm meine Mutter erzählte, dass ich aufs Dach wollte, überlegte er nicht lange und lief unter Todesgefahr aus dem Keller, um mich zu suchen. Er entdeckte mich am FIachdach und trug mich in den Keller. Ich hatte wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung erlitten und mir drei Rippen gebrochen. Vor allem die gebrochenen Rippen verursachten mir höllische Schmerzen. Trotzdem gingen meine Mutter und ich nach dem Angriff mit einem Leiterwagen zum »Stöckl« – das heißt, ich schleppte mich eher hin. Wir versuchten, aus dem Schutt noch ein paar Dinge zu retten. Darunter das Kassabuch und, was viel wichtiger war: ein Stück Geselchtes. Damit trabten wir wieder zurück in den »Meidlinger Hof«, wo unsere Großeltern schon sehr besorgt waren, da es bereits auf der nahe gelegenen Philadelphiabrücke zu Kampfhandlungen mit den einmarschierenden Russen gekommen war.

      Als die Russen in Wien angekommen waren, begann eine bange Zeit für uns alle. Die Fenster des »Meidlinger Hofs« waren mit Brettern vernagelt, ich lugte durch die Ritzen und sah, wie die ersten Soldaten die Lage erkundeten. Eine Vorhut kam zu uns ins Hotel und war sehr freundlich. Man gab uns Geschenke, und einer der Offiziere warnte meine Mutter und zeigte auf mich: »Passen Sie auf Ihre Tochter auf, die nachkommenden Soldaten werden nicht so freundlich sein.« Meine Mutter hat mir daraufhin Ruß ins Gesicht geschmiert und mir die schmutzigsten und ramponiertesten Kleider angezogen, dazu noch ein zerlumptes Kopftuch – ich hab wirklich wie ein Lumpenweiberl ausgeschaut. Ein Russe hat mich so gesehen und sogar ausgespottet. Zu meiner Mutter meinte er dann: »Ihr nix Kultura, ihr schmutzig, Mädchen waschen.« Mich hat das unterhalten, mir war der Ernst der Lage nicht so bewusst.

      Noch bevor der Krieg zu Ende war, starb meine geliebte Großmutter Bertha Haas. Es gab keine ärztliche Versorgung, elendig ist sie auf einem Feldbett in einem Luftschutzkeller gestorben. Nur wenige Wochen später folgte ihr mein Großvater nach. Damit hatte ich den Mann verloren, der mir und meinem Bruder Fritz ein Ersatzvater gewesen war.

      Meine Mutter, die aufgrund all der Entbehrungen und Verluste nur mehr 37 Kilo wog, war dennoch in der Lage, alles im Griff zu behalten. Sie organisierte mithilfe eines Verwandten, dass der Großvater auf

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