Dietmar Grieser für Kenner. Dietmar Grieser
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Noch heute, wo die Räume inzwischen von Kindergeplärr erfüllt sind und vom Stimmengewirr eines vielköpfigen griechisch-amerikanischen Familienclans, wirkt das Haus unterbelegt. Damals, zu Saint-Exupérys Zeiten, war man zu zweit: der Dichter und Consuelo, seine Frau. Abgeschirmt von jeglicher Nachbarschaft; nur sein Verleger, einige wenige gute Freunde und das War Department in Washington kannten die Adresse. Und für den Fall, daß sich doch einmal ein telephonischer Zudringling zu Wort melden sollte, hatte der Hausherr (der, »um sein Französisch nicht zu versauen«, ohne die Landessprache auszukommen pflegte) die Kurzformel »Not at home« einstudiert. Viel mehr Erfolg war der Englischlehrerin aus dem nahen Northport, die »Tonio« (wie seine Frau ihn rief) ein paar Mal zum Unterricht herüberkommen ließ, nicht beschieden gewesen. Wenn er zum Shopping nach Manhattan hineinfuhr und seine Wahl getroffen hatte, rief er von dem jeweiligen Geschäft aus einen seiner französischen Freunde an und bat ihn, zu dolmetschen, und dem Taxifahrer drückte er einfach einen Adreßzettel in die Hand. Widerstand gegen Fremdsprachen hatte er schon als Kind geübt: als man ihm gegen seinen Willen Deutschunterricht erteilen wollte. »Ein Schriftsteller hat darauf zu achten, daß seine Sprache von fremden Einflüssen verschont bleibt.«
Als im November 1942 die »New York Times« dem berühmten Gast ihre Spalten öffnete und dessen »Offenen Brief an die Franzosen in aller Welt« abdruckte, setzte man nicht weniger als vier First-class-Übersetzer auf den Text an, und derjenige, der Saint-Exupérys Stil am besten traf, wurde schließlich verwendet.
Lokaltermin in Bevin House. Der Nahverkehrszug der Long Island Rail Road (zu deren Netz auch Max Frischs Montauk zählt) bringt mich in etwas mehr als einer Stunde von der Madison Square Station im Herzen Manhattans nach Northport. Es ist eines der typischen Sommerfrischestädtchen vor den Toren der Millionenstadt: Strandpark mit Musikpavillon, Jachthafen mit Lobster-Restaurant, ein paar Antiquitätenläden und Boutiquen, der Rest die rasenumsäumten, weißgestrichenen Holzhäuser der New Yorker mit Zweitwohnsitz. Die E. T.-Plastikpuppe im Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts an der Main Street wirkt für einen, der hinter dem kleinen Prinzen her ist, doppelt ernüchternd: ein Krüppel aus Kitsch und Kommerz. Wie sehr die Fernsehmythen unsere Vorstellungswelt beherrschen, sehe ich an dem eleganten Taxichauffeur mit dem Silberhaar, der mich vom Bahnhof zur ehemaligen Saint-Exupéry-Residenz bringt: Blake Carrington, wie er im Buche (der Serie »Der Denver-Clan/Dynasty«) steht. Kann man einem so mondänen Mannsbild Trinkgeld geben?
Der Weg durch den Ort bis zu der ihm vorgelagerten Halbinsel Eaton’s Neck zieht sich: dicht aneinandergedrängt die Wochenendhäuser von Asharoken Beach. Erst, wo die schmale Straße zum denkmalgeschützten Leuchtturm abzweigt und wo bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts die Matinnecock-Indianer gesiedelt haben, ehe ihnen Theophilus Eaton, nachmals Gouverneur von Connecticut, den Boden abkaufte, wird’s exklusiver: tief im Ulmengehölz versteckte Landhäuser, das meiste aus neuerer Zeit. Als Saint-Exupéry hier den »Kleinen Prinzen« schrieb, war er der einzige Siedler weit und breit und die kurvenreiche Bevin Road noch eine ungepflasterte Privatstraße ohne Hausnummern. Heute teilen sich mehrere proprietors das kleine Zipfelchen Land zwischen Duck Harbor und Northport Bay; die Nr. 76 gehört seit einigen Jahren dem Manhattaner Bauunternehmer Nikos Kefalidis.
Meinem Besuch in den geheiligten Hallen gehen vorsorgliche Telefonate zwischen Wien und New York voraus. Der Hausherr ist, wie ich es nicht anders erwarte, unabkömmlich; umso liebenswürdiger empfängt mich seine junge Frau. Mrs. Laura Kefalidis praktiziert amerikanische hospitality: Alle Türen stehen mir offen, ich darf mich vollkommen frei bewegen. Für die Führung durchs Haus steht sie selber zur Verfügung, für Park und Strand der Gärtner. Das Studio mit Erker und Meeresblick, in dem sich Saint-Exupéry von Mitternacht bis Morgengrauen einbunkerte und bei Unmengen schwarzen Kaffees Stöße von amerikanischem Onion Skin Paper mit den Abenteuern des kleinen Prinzen vollschrieb, ist heute das Spielzimmer der Kefalidis-Kinder, und da der »Kleine Prinz«, längst auch dramatisiert (und zur gleichen Zeit, als ich mich in Amerika aufhalte, über das Kabelprogramm von »Nickelodeon« als TV-Cartoon ausgestrahlt), zu Mrs. Kefalidis’ Lieblingsbüchern zählt, wird das Kasperltheater, das den Raum dominiert, vielleicht sogar eines Tages als Saint-Exupéry-Bühne erprobt werden.
Die Fotos von Bevin House, die, akkurat gerahmt, auf einem der Flure hängen, stammen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg: An den berühmten Insassen von 1942 erinnert nichts als das Anwesen selbst. Das breit hingelagerte dreistöckige Landhaus mit der säulengestützten offenen Veranda und dem großzügig angelegten Dachgarten ist von seinen neuen Besitzern auf Hochglanz gebracht – der literarische Spurensucher, der sich wohl ein wenig mehr Patina wünschte, schwankt zwischen Bewunderung und Enttäuschung. Um das heutige Erscheinungsbild von Bevin House zumindest mit ein wenig Atmosphäre von einst anzureichern, muß ich also die Damen der Northport Historical Society bemühen, die vor einigen Jahren in ihrem Museum an der Main Street, drinnen im Ort, eine Ausstellung über »Famous Neighbours« veranstaltet haben. Da war natürlich – neben Herman Wouk und Jack Kerouac, die gleichfalls vorübergehend in Northport gewohnt haben – auch von Saint-Exupéry und der »Geburtsstätte« des »Kleinen Prinzen« die Rede: von der Farm des Unabhängigkeitskämpfers Jon Sloss Hobart, die der Schiffsbauer Cornelius De Lamater in einen Landsitz umwandelte; von dessen Enkel Sydney Bevin, der im Herbst 1942 das ererbte Anwesen an die Saint-Exupérys vermietete; von der sparsamen, ganz aufs rein Praktische beschränkten Möblierung der Räume; von den damals auch hier spürbaren Kriegsverhältnissen: reduzierter Straßenbeleuchtung und abendlicher Fensterverdunkelung, strenger Benzinrationierung, verstärkten Polizeipatrouillen; von den Gästen, die Saint-Ex (wie ihn seine Freunde zu nennen pflegten) ihre Aufwartung machten: dem Schriftstellerkollegen André Maurois, dem Maler Max Ernst, dem Dirigenten Pierre Monteux und dem Schweizer Kulturhistoriker Denis de Rougemont, der ihm bei den Zeichnungen für den »Kleinen Prinzen« Modell stand – und das mitunter mitten in der Nacht, vom Hausherrn bei »Bedarf« rücksichtslos aus dem Schlaf geweckt; von Consuelo, Saint-Exupérys kapriziöser Frau, und der katastrophalen Ehe der beiden; von Hannibal, dem Dobermannhund, der den Besitz bewachte; von der Haushälterin, die die Exzentrik ihrer Dienstgeber mehr als einmal an den Rand der Verzweiflung brachte; und von der Englischlehrerin Adèle Breaux, die sich von ihrem störrischen Schüler nur deshalb so geduldig demütigen ließ, weil sie als Saint-Exupéry-Fan seinen Büchern (und wohl auch seiner männlichen Ausstrahlung) verfallen war. Daß sie dreißig Jahre später ihre Erlebnisse in Bevin House – magere elf dem Dichter abgetrotzte Unterrichtsstunden, ein paar Einladungen zu Tee oder Dinner und gelegentliche flüchtige Einblicke in den Entstehungsprozeß des »Kleinen Prinzen« – ein Buch schreiben würde, an dem auch die offiziellen Saint-Exupéry-Biographen nicht würden vorbeigehen können, ahnte Miss Breaux damals gewiß nicht …
Wie ist es überhaupt dazu gekommen, daß Antoine de Saint-Exupéry sein populärstes Werk, die Geschichte von der Freundschaft des einsamen kleinen Weltraumflüchtlings und des in der Wüste notgelandeten Piloten, die in fünfzig Sprachen (darunter auch Latein!) übersetzt worden, in vier Millionen Exemplaren verbreitet und bis heute so etwas wie ein Kultbuch geblieben ist (dessen 200 000 Käufer pro Jahr sich notabene aus allen Altersstufen rekrutieren), in Amerika geschrieben hat?
1939, Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Der ehemalige Militärflieger Antoine de Saint-Exupéry, Jahrgang 1900, einem alten südfranzösischen Grafengeschlecht aus der Gegend um Lyon entstammend, gibt seinen Job als Zivilpilot im Postdienst und als Flughafenchef auf und meldet sich wieder bei seiner alten Einheit. Trotz bereits überschrittener Altersgrenze erhält er die Zulassung: Der passionierte Pilot, der mit