Dietmar Grieser für Kenner. Dietmar Grieser
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Читать онлайн книгу Dietmar Grieser für Kenner - Dietmar Grieser страница 6
»Etwas zu verzollen, Sir?«
»Nein.«
»Keine Zigaretten? Kein Whisky?«
»Nein.«
»Und Feuerwaffen?«
»Nein«, antwortet Professor Bond, der inzwischen gleichfalls seine Lektion gelernt hat, und fügt, indem er auf jene Körperpartie deutet, an der 007 sein Schulterhalfter zu tragen pflegt, mit breitem Grinsen hinzu:
»Und wenn ich eine hätte, sie wäre ganz gewiß nicht im Koffer.«
Weitere Beweise seiner Auserwähltheit erhält Professor Bond an den New Yorker Theaterkassen: Selbst bei Vorstellungen, die auf Monate hinaus ausverkauft sind, ist, sobald er seinen Namen nennt, im Handumdrehen ein Platz für ihn frei.
Zu einer momentanen Verstimmung kommt es allerdings eines Tages doch noch, und daran ist ein Artikel in dem renommierten Magazin »The New Yorker« schuld, in dem 007-Autor Ian Fleming, abermals nach der Herkunft des Namens seines Superhelden befragt, antwortet:
»Ich wollte, daß die Figur hinter einem möglichst nichtssagenden Namen zurücktritt. Da kam mir dieses Buch über die Vogelwelt der Karibik in die Hand, und als ich den Namen des Autors las, wußte ich sofort: Das ist es, was ich suche. James Bond – wohl der ödeste und langweiligste Name, der mir jemals untergekommen ist.«
Das sollte Ian Fleming wirklich dem Reporter gesagt haben? Bei den Bonds in Philadelphia läutet das Telephon Sturm: Freunde, die dem öffentlich Geschmähten dringend anraten, den unverschämten Kerl zu verklagen. Doch James und Gattin Mary Wickham Bond wählen einen anderen Weg, den Konflikt auszutragen: Im Februar 1964 wieder einmal für ein paar Tage auf Jamaika zu Gast, entschließen sie sich, der seinerzeit brieflich ausgesprochenen Einladung Folge zu leisten, machen sich auf die Suche nach dem an der Nordküste der Insel gelegenen Fleming-Besitz »Goldeneye« und drücken, dortselbst angelangt, auf den Knopf der Türglocke. Eine farbige Bedienstete öffnet und fragt, wen sie melden kann. »Mr. und Mrs. James Bond!« lautet die knappe Antwort. Als habe sie es mit einer Geistererscheinung zu tun, stürzt die verschreckte Person ins Hausinnere, und wenige Augenblicke später steht den Ankömmlingen ein vor Liebenswürdigkeit dahinschmelzender Ian Fleming gegenüber. Im Nu löst sich die Spannung, die über der Szene liegt, in Heiterkeit auf. Nein, so erkennt Ian Fleming auf den ersten Blick, so schaut keiner aus, der im nächsten Moment eine Schußwaffe zückt und drauflosballert.
»Wir möchten nur den Ort kennenlernen, an dem James Bond entstanden ist.«
Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung bittet Fleming seine Gäste ins Haus. »Kürzlich«, so schlägt seine anfängliche Betretenheit sogleich in Übermut um, »erhielt ich Post von einem weiteren James Bond. Er lebe in Sussex, habe vor zu heiraten, und erlaube sich anzufragen, mit welchen Hochzeitsgeschenken er von mir zu rechnen habe. Ich überwies ihm 10 Pfund.«
Der weitere Verlauf der denkwürdigen Begegnung vom 5. Februar 1964 ist rasch erzählt: Die Gäste werden durchs Haus geführt, man nimmt gemeinsam ein vergnügliches Mittagsmahl ein, und da sich zufällig zur selben Zeit ein Team des Kanadischen Fernsehens auf dem Fleming-Besitz aufhält, das mit dem Hausherrn ein Interview drehen will, nützen alle Beteiligten die einmalige Gelegenheit und bringen nicht nur den Schöpfer, sondern auch den Namensgeber des Geheimagenten 007 ins Bild. Fleming wird die Ausstrahlung dieses Filmdokuments übrigens nicht mehr erleben: Sechs Monate darauf, am 12. August 1964, stirbt der erst Sechsundfünfzigjährige an Herzversagen. Die Widmung, die er seinem Gast in das noch druckfrische Exemplar des jüngsten Bond-Romans kritzelt, ist eine seiner letzten handschriftlichen Äußerungen; sie lautet:
Wer ist dieser »Dieb«, den sein Geschöpf 007 James Bond zu einem der bestverdienenden Schriftsteller der Welt gemacht hat?
Am 28. Mai 1908 kommt er als einer von drei Söhnen des Unterhausabgeordneten Major Valentine Fleming in London zur Welt; von der Mutter weiß man nur, daß sie eine belesene Frau von stupender Schönheit ist, die mit ihren Kindern Großes vorhat. Ian besucht das strenge Knabeninternat von Eton sowie die Militärakademie in Sandhurst. Doch bevor er sich, um sich auf die Diplomatenlaufbahn vorzubereiten, an den Universitäten von München und Genf zum Psychologiestudium einschreibt, nimmt sich ein in dem Tiroler Wintersportort Kitzbühel residierendes Pädagogenpaar aus England des Achtzehnjährigen an: Ernan Forbes Dennis und Phyllis Bottome halten im Tennerhof deutsche Sprachkurse ab, die allerdings weit mehr sind als dies, fast so etwas wie jenes humanistische Allround-Training, das man in späteren Jahren Studium generale nennen wird.
Aus der Bibliothek des Tennerhofs leiht sich Ian die Werke von Kafka, Musil und Zweig, von Schnitzler, Rilke, Werfel und Hofmannsthal aus, er lernt die Zeichenkunst solcher Größen wie Kokoschka und Kubin kennen, in der Auseinandersetzung mit den Lehren Alfred Adlers gelingt es dem frustrierten Wirrkopf, seine Minderwertigkeitskomplexe abzubauen. Mit den in Kitzbühel gewonnenen Freunden beiderlei Geschlechts trifft man sich im populären Café Reisch, im Sommer geht man im Schwarzsee schwimmen und klettert aufs Kitzbüheler Horn, im Winter wird Ski gefahren.
Auch zu seinen ersten Schreibversuchen – es ist die Kurzgeschichte »Death on Two Occasions« – kommt es im Laufe seines Kitzbühel-Jahres, und das Erlebnis eines Lawinenabgangs, das um ein Haar tödlich für Ian Fleming ausgeht, wird ihn 36 Jahre später sogar zu einer der Szenen seines James-Bond-Romans »On Her Majesty’s Secret Service« inspirieren. Noch auf der Höhe seines Ruhms als Weltbestsellerautor wird Ian Fleming von jener »golden time« seiner Jugendjahre schwärmen, die er 1926/27 in den Tiroler Alpen zugebracht hat.
Wieder zurück in England, absolviert Ian die Aufnahmeprüfung für den diplomatischen Dienst, doch obwohl er unter den 62 Bewerbern den 25. Platz erreicht, bleibt ihm das Auswärtige Amt verschlossen, und so wendet er sich statt dessen dem Journalismus zu. Vier Jahre im Sold der Nachrichtenagentur Reuters, berichtet er unter anderem, seine Russischkenntnisse nutzend, über einen Moskauer Spionageprozeß; nur mit seinem Wunsch, von Stalin zu einem Interview empfangen zu werden, blitzt er ab. Nach Zwischenspielen im Bankgeschäft – zuerst als Wertpapierhändler, dann als Börsenmakler – ergreift der inzwischen Einunddreißigjährige die Chance, sich in jenem Metier zu bewähren, das die Voraussetzungen für seine spätere Schriftstellerkarriere schafft: Der Freiwilligen-Reservist der Britischen Marine – gerade eben ist der Zweite Weltkrieg ausgebrochen – wird im Range eines Leutnants zum persönlichen Assistenten von Konteradmiral Godfrey berufen, der die Leitung des Marine-Geheimdienstes innehat …
Flemings Dienstsitz ist das Whitehall-Building in der Londoner City, sein Büro der Room 39, seine Code-Nummer die 17 F, seine Aufgabe der weitere Ausbau des Nachrichtendienstes sowie die Ausbildung von Sonderkommandos für Geheimeinsätze in feindlichen Territorien. Als der Krieg vorüber ist, kehrt der nunmehrige Mittdreißiger ins Zivilleben zurück und übernimmt zunächst die Leitung des Auslandsressorts beim Kemsley Zeitungskonzern, bevor er für einige Jahre zur »Sunday Times« wechselt.
Am 24. März 1952 in den Stand der Ehe tretend, teilt Fleming sein Leben von nun an zwischen London und Jamaika auf, wo er seit 1946 ein Haus besitzt. Wenn man ihm glauben darf, ist es vor allem die Angst vor dem Verlust des Junggesellendaseins, was ihn zum Bücherschreiben treibt: Die intensive Versenkung in die Geheimdienstwelt des Superagenten 007 soll ihm jenen Freiraum sichern, den er durch den neuen Status bedroht sieht. Fleming setzt sich im Arbeitszimmer seines Hauses an die zwanzig Jahre alte Reiseschreibmaschine, spannt ein Blatt feinsten Foliopapiers ein und beginnt seinen ersten James-Bond-Roman: