Dietmar Grieser für Kenner. Dietmar Grieser
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Dietmar Grieser für Kenner - Dietmar Grieser страница 7
Gut ein Jahr darauf erscheint das Buch, doch der Absatz läßt zu wünschen übrig: Von der englischen Erstausgabe werden 8000, von der amerikanischen gar nur 4000 Stück verkauft – gerade genug, daß man sich einmal im Jahr (so vertraut er mit bitterer Ironie seinem Tagebuch an) ein Spargelessen leisten kann. Der große Durchbruch kommt erst mit dem Film: Ian Fleming gibt 1960 dem Drängen des Produzententeams Broccoli-Saltzman nach, seine Stoffe – inzwischen sind auch die Romane »Leben und sterben lassen«, »Mondblitz«, »Diamantenfieber«, »Liebesgrüße aus Moskau« und »James Bond jagt Dr. No« erschienen – für Hollywood freizugeben.
Hat der »Daily Express« schon bisher jedes der Fleming-Bücher in Fortsetzungen vorabgedruckt, so veranstaltet nun Englands auflagenstärkste Tageszeitung eine Leserumfrage, um den Hauptdarsteller des ersten James-Bond-Films zu küren. Zehn junge Schauspieler stehen zur Wahl, sechs Millionen »Daily-Express«-Leser geben ihre Stimme ab, die große Mehrheit votiert für den dreißig Jahre alten Sean Connery, einen ehemaligen schottischen Lastwagenchauffeur, der als Chorist in dem Musical »South Pacific« und mit Hauptrollen in ein paar B-Pictures der 20th Century Fox erste bescheidene Erfolge vorzuweisen hat.
Alles Weitere ist heute Filmgeschichte: James Bond wird zum Kino-Hit, ja zur Kultfigur einer ganzen Generation – und Ian Fleming, ihr Schöpfer, zum Erfolgsautor, dessen nach und nach dreizehn 007-Bücher zu seinen Lebzeiten 25 Millionen Mal verkauft und damit neben den Schallplatten der Beatles zu einem der größten britischen Exportschlager werden.
Präsident Kennedy läßt verlauten, er habe jederzeit einen James Bond auf dem Nachttisch liegen (desgleichen – welch makabre Pointe! – sein Mörder Harvey Lee Oswald); der Bond-Stil beeinflußt die Herrenmode ebenso wie das Champagner- und Wodka-Geschäft, der 007-Diplomatenkoffer ist im Winter 1964 das meistverkaufte Weihnachtsgeschenk. Der »Goldfinger«-Film (dessen Riesenerfolg Fleming selber übrigens nicht mehr erlebt) läuft in einem New Yorker Kino 24 Stunden am Tag – nur von kurzen Pausen unterbrochen, in denen die Popcornreste aus dem Saal gefegt werden; kein Geringerer als der spätere italienische Starautor Umberto Eco widmet den »Erzählerischen Strukturen in Flemings Werk« eine umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung, und Fleming selber tauscht seine alte Reiseschreibmaschine gegen ein eigens für ihn angefertigtes vergoldetes Exemplar (das, dreißig Jahre nach seinem Tod, auf einer Versteigerung im Londoner Auktionshaus Christie’s für stolze 56 000 Pfund in die Hände eines Sammlers übergehen wird).
Natürlich gibt es auch kritische Stimmen, und pikanterweise ist es ausgerechnet Terence Young, Regisseur der ersten James-Bond-Filme, der das Geschöpf seines Freundes Fleming einen »abscheulichen Kerl« findet, »der bei der SS hätte Karriere machen können«. Ein Rohling gegenüber unbewaffneten Männern und ein Schuft gegenüber vertrauensseligen Frauen, heimse er dafür, daß er von seiner Lizenz zum Töten nach Herzenslust Gebrauch mache, auch noch königliche Orden ein. »Außerdem habe ich Bond niemals ein Buch lesen, ein Konzert besuchen oder ins Theater gehen sehen. Er ist in meinen Augen ein geistig minderbemitteltes Individuum, ein totaler Banause.«
Ganz anders sieht das klarerweise Ian Fleming: Zumindest in punkto Hobbys hat der Autor viel zuviel von sich selbst in diesen 007 projiziert, als daß er zu ihm auf Distanz gehen könnte, ohne sich lächerlich zu machen. So wie Bond liebt Fleming blaue Anzüge und haßt Schnürschuhe, schwört auf Golfspiel und Unterwassertauchen (wofür er eigens bei Meister Jacques Cousteau Unterricht genommen hat), macht sich nichts aus Blumen, fährt schnelle Autos, raucht täglich sechzig eigens für ihn gemischte Zigaretten, hat ein Faible für asiatische Frauen, mischt sich seinen Martini nach dem gleichen Rezept, und dafür, daß er am Spieltisch des Kasinos von Estoril (wo er während des Krieges gegen eine Phalanx deutscher Spione antritt) kläglich verliert, rächt er sich, indem er James Bond beim Bakkarat in Royale-les Eaux um so schamloser abkassieren läßt.
Freilich – ein Banause (Regisseur Terence Youngs Hauptvorwurf gegen 007) ist Ian Fleming nicht: Schöngeist durch und durch, der einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Einkünfte in seine Privatbibliothek steckt, kann er auf Erstausgaben von Einstein, Curie, Röntgen, Kipling, Lilienthal und Marx verweisen, und die vielen Sachfehler, die seinen eigenen Werken angelastet werden, sind nicht etwa Ausfluß mangelnder Bildung, sondern voll beabsichtigt: »Dann schreiben die Leute nämlich wütende Protestbriefe, und mein Verleger sieht, wie wichtig ich bin.«
Soviel zu Flemings »Eigenanteil« an der Charakterzeichnung seiner Titelfigur. Aber da sind auch noch eine Menge anderer Urbilder im Spiel, und die haben fast durchwegs mit Flemings Vergangenheit als Geheimdienstmann bei der Royal Navy zu tun. Da ist zum Beispiel Captain Dunstan Curtis, der beim Überfall der Deutschen auf Algier die feindlichen Codes knackt; Captain Wilfred Dunderdale, der im Ersten Weltkrieg mit seinem perfekten Russisch die Ost-Agenten austrickst; der jugoslawische Doppelspion Dusko Popov, der den Amerikanern den japanischen Luftangriff auf Pearl Harbor voraussagt; und schließlich der schon zu gemeinsamen Etoner Schülerzeiten mit Fleming befreundete schottische Abenteurer Ivar Bryce, der im Auftrag der Alliierten im Berliner Luxushotel Adlon die Nazi-Größen bespitzelt und in Südamerika ein Informationsnetz aufbaut.
Auch bei vielen anderen Figuren der James-Bond-Bücher schöpft Ian Fleming aus Selbsterlebtem – greifen wir nur zwei heraus: Hinter Miss Moneypenny, der herbliebenswürdigen Vorzimmerdame jenes Büros, in dem 007 seine Aufträge entgegennimmt, verbirgt sich die 1908 in Bukarest geborene Vera Maria Rosenberg, die während des Zweiten Weltkriegs die Frankreich-Abteilung des Secret Service leitet, und als nach Erscheinen des »Goldfinger«-Romans das Gerücht aufkommt, Fleming habe die Gestalt dieses Jahrhundertverbrechers mit gewissen Zügen des amerikanischen Edelmetallkönigs Charles W. Engelhard ausgestattet, muß der Autor sogar eine Weile davor zittern, wegen Ehrabschneidung vor Gericht zitiert zu werden. Doch Mister Engelhard ist ein Mann von souveränem Humor, läßt über seine Konzernzentrale verlautbaren, er fühle sich im Gegenteil geschmeichelt, in die Literatur eingegangen zu sein, und als er eines schönen Tages für seinen Privat-Jet eine neue Stewardess engagiert, gibt er der jungen Dame spontan den Namen der abtrünnigen Goldfinger-Pilotin Pussy Galore. In der Welt der Krimis ist eben alles, wahrhaftig alles möglich …
Aus: Sie haben wirklich gelebt, 2001
Dietmar Grieser auf den Spuren österreichischer Musikgenies
Die Marseillaise von Ruppersthal
Ignaz Pleyel
Wißbegierige Anrainer der Ignaz-Pleyel-Gasse in Inzersdorf bleiben ganz auf sich gestellt: Keine Zusatztafel, die sie – wie in vielen anderen Wiener Straßen Usus – über Identität und Bedeutung des Namensgebers aufklärt.
Paris ist anders. Der Flaneur, der mit der Rue Pleyel im Arrondissement Reuilly nichts anfangen kann, weiß zumindest, daß die »Salle Pleyel« am Faubourg St. Honoré die berühmteste und mit ihren 3000 Plätzen größte Konzerthalle der Stadt ist; wer an der Station Carrefour-Pleyel in die Métro einsteigt, kann sich unschwer auf die mit Notenbeispielen dekorierten Perrons einen Reim machen, und seitdem das Österreichische Kulturinstitut bei der Verwaltung des Pariser Prominentenfriedhofs Père Lachaise die Anbringung einer Zusatzplakette am Sockel des Pleyel-Grabmals durchgesetzt hat, ist für jedermann sichtbar, daß der 1831 hier Bestattete ein »Autrichien« gewesen ist: »Né à Ruppersthal«.
Ruppersthal im Weinviertel, Ortsteil von Großweikersdorf, 583 Einwohner, 500 000 Liter Grüner Veltliner pro Jahr. Spätestens seit der Sonderbriefmarke des Jahres 1994, der Aufführung des Festspiels »Pleyel, der vergessene Sohn unserer Heimat«, dem auf einer ORF-CD festgehaltenen Millenniumskonzert in der Pfarrkirche und der Eröffnung des Pleyel-Museums in der ehemaligen Dorfschule weiß jeder Ruppersthaler, wer da vor über 200 Jahren (so der Titel einer der vielen Gedenkveranstaltungen) »von Niederösterreich in die Welt« hinausgezogen ist.
Martin