Neues von Gestern. Georg Markus
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Neues findet sich auch, wenn in Wiens Kunsthistorischem Museum bei Nacht und Nebel die weltberühmte Saliera gestohlen wird, man aus diesem Grund dem Lebensweg ihres Schöpfers nachgeht – und dabei herausfindet, dass der geniale Künstler ein mehrfacher Mörder war.
In einem anderen Kapitel berichte ich von acht prominenten Personen, die eines gemeinsam haben: Sie alle wurden mehr als einhundert Jahre alt. In den Lebenswegen von Rose Kennedy, »Queen Mum«, Irving Berlin, George Burns, Liane Haid, Francis Lederer, Rosa Albach-Retty und Johannes Heesters findet sich manche Gemeinsamkeit, die vielleicht die eine oder andere Erklärung für das Erreichen ihres Methusalem-Alters liefern mag.
Ziemlich lebendig erschien mir die Geschichte auch, als ich auf Informationen stieß, die besagen, dass eine der berühmtesten Filmmelodien aller Zeiten – das Harry-Lime-Thema aus dem Dritten Mann – angeblich nicht vom Wiener Heurigenmusiker Anton Karas stammt, sondern von einem Musikalienhändler auf der Alser Straße. Ich ging dem »Fall« ebenso nach wie einem anderen aus der Musikgeschichte: Aus der Korrespondenz zwischen Richard Strauss und einem Gymnasialdirektor geht hervor, dass der Komponist nach dem Zweiten Weltkrieg eine ganze Oper komponiert hat – damit sein Enkelsohn in die nächsthöhere Klasse aufsteigen kann.
Neues zeigt die Geschichte im Fall des amerikanischen Nationalhelden Charles A. Lindbergh, aus dessen Leben jetzt erst Details auftauchten, die alle bisher geschriebenen Biografien auf den Kopf stellen.
Oder wenn man in Sachen Mayerling recherchiert und dabei ausnahmsweise einmal nicht auf die Baronesse Mary Vetsera stößt, sondern auf Mizzy Caspar, die tatsächliche letzte Geliebte des Kronprinzen Rudolf, deren freizügiges Privatleben von Detektiven der Polizeidirektion Wien minuziös durchleuchtet wurde.
In anderen Kapiteln zeigt sich die Geschichte auch von ihrer originellen Seite. So machte ich es mir zur Aufgabe, Österreichs wohl berühmtester Tante auf die Spur zu kommen: der Tante Jolesch. Friedrich Torberg hat ihr ein hinreißendes literarisches Denkmal gesetzt, doch galt es nun ein wenig von der Identität jener Tante zu lüften, die längst zum Synonym für den jüdischen Humor der Zwischenkriegszeit geworden ist.
Ich wusste zwar, um ein weiteres, eher erheiterndes Beispiel zu nennen, dass sich Poldi Waraschitz den Ehrentitel eines »Schnorrerkönigs« redlich und hart erarbeitet hat, doch wurde mir erst dreißig Jahre nach seinem Tod ein Manuskript zugespielt, in dem er die Geheimnisse seines einst vielbeachteten Schnorrerdaseins kundtat.
Zu guter Letzt hat es das Schicksal zugelassen, dass ich drei Monate vor seinem Tod Gelegenheit hatte, mit Österreichs großem Kirchenfürsten, Franz Kardinal König, ein ausführliches, sehr persönliches Gespräch zu führen. Der langjährige Erzbischof von Wien erinnert sich an sein 98 Jahre währendes Leben, er kommt in dem Kapitel aber auch auf die geheimnisvolle Welt des Vatikans, auf sein hohes Alter und auf das Abschiednehmen zu sprechen. Schließlich verrät er noch manch interessantes Detail aus dem Konklave, an dem er bei drei Papstwahlen teilgenommen hat.
Neben den bisher beschriebenen Kapiteln findet sich auch Neues/Altes aus der Welt des Theaters und der Liebe, aus dem Kaiserhaus, der Kriminalgeschichte, von Forschern, Pionieren und Lebenskünstlern, von Typen und Originalen. Ein Bericht befasst sich schließlich mit jenen Ländern, die bis 1918 Teil der Donaumonarchie waren und seit kurzem – durch ihren Beitritt zur Europäischen Union – wieder in enger Verbindung mit Österreich stehen.
Zwei tragische Abschnitte sind Anne Frank und ihrem Tagebuch sowie dem Leben und Sterben des großen Tenors Joseph Schmidt gewidmet.
Deren Schicksale hätten ganz anders verlaufen können, wäre es tatsächlich zu dem fiktiven Treffen gekommen, das im letzten Kapitel beschrieben wird: Adolf Hitler begibt sich in Sigmund Freuds Ordination in die Wiener Berggasse.
Dieses Buch will aufzeigen, dass es in der Geschichte nicht um trockene Daten aus fernen Zeiten geht, sondern um die Lebenswege vieler einzelner Menschen. Und damit um unsere eigene Vergangenheit, um das Geschehen, das ins Heute führt.
Gestern ist heute.
GEORG MARKUS
Wien, im Juli 2004
DAS SÜSSE MÄDEL …
… und was aus ihm wurde
Wir schreiben das Jahr 1887. Die Christlichsoziale Partei wird gegründet, Katharina Schratt erhält aus den Händen des Kaisers das Dekret für den Titel »Hofschauspielerin«, und auf der Ringstraße wird das Maria-Theresia-Denkmal fertig gestellt. In den ersten Septembertagen dieses Jahres spaziert Arthur Schnitzler an eben diesem Denkmal vorbei, über die noch in Bau befindliche Prachtstraße im Zentrum der Haupt- und Residenzstadt. Da kommt ihm eine bildhübsche junge Frau entgegen, deren erotische Ausstrahlung ihn fesselt. Er spricht sie an – und hat damit, ohne es vorhersehen zu können, das »süße Wiener Mädel« geschaffen.
Die junge Dame heißt Jeanette Heeger und sollte zum Prototyp eines völlig neuen Frauentyps werden, der eine ganze Epoche prägen wird.
Jeanette jedenfalls geht sofort freudig auf den Flirtversuch des 25-jährigen Dichters ein, sie zeigt jene spontane, natürliche Herzlichkeit, die ihn dazu verleitet, sie näher und intim kennen lernen zu wollen.
Jeanette wohnt mit ihren vier Geschwistern in äußerst bescheidenen Verhältnissen in der Vorstadt, von der aus sie jeden Tag ins Zentrum kommt, um hier Stickereiarbeiten im Auftrag eleganter Modegeschäfte auszuführen. Zwischen ihr und Schnitzler entwickelt sich nun eine leidenschaftliche Affäre, die zwei Jahre anhalten wird. Natürlich bleibt sie, wie es sich für ein süßes Mädel gehört, nicht die einzige Geliebte des Dichters. In einer Tagebucheintragung teilt Schnitzler jede seiner gerade aktuellen Freundinnen als »Symbol für was anderes« ein: Olga (Waissnix) steht in seinem Liebesleben für die »Grande Passion«, Fifi ist »die Behaglichkeit«, Jenny und Mimi »die Leichtlebigkeit«, Fännchen »die Jugendliebe – also gewiss nicht die Liebe«, »Dilly« (Adele Sandrock) ist für ihn »die Sensation, eine Berühmte zu besitzen« und Mizzi »die wahre Liebe«.
Für Jeanette Heeger bleibt nur ein Wort: »Sinnlichkeit«.
Fast jedes erotische Abenteuer, das Schnitzler durchlebt, wird in die Literaturgeschichte eingehen, so auch die Affäre mit Jeanette. So wie Adele Sandrock für die Männer verzehrende Schauspielerin im Reigen Pate stand und die Wiener Nobeldirne Mizzi Veith für seine Komtesse Mizzi, so wurde die Heeger zum Vorbild für das »süße Mädel«, wobei er den Ausdruck zum ersten Mal in seinem Einakter-Zyklus Anatol verwendet.
»Nach einer Nacht mit Jeanette«, erinnert sich Schnitzler später, »war es, dass ich dieses Schmeichelwort vom süßen Mädel erstmals in mein Tagebuch schrieb, ohne zu ahnen, dass es bestimmt war, einmal gewissermaßen literarisch zu werden.«
Geburtsort und -stunde des wienerischen Pendants zur Pariser Grisette waren kein Zufall. Die Vorstädte der Haupt- und Residenzstadt verschmolzen in jenen Tagen der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert mit den inneren Bezirken, nachdem der Kaiser den Linienwall hatte niederreißen lassen. Der Wegfall der Stadtmauer, der Bau der Ringstraße und das gleichzeitige Einsetzen des industriellen Zeitalters gaben den unterschiedlichen Klassen die Möglichkeit, einander nahe zu kommen. Sicher, Affären zwischen Grafen und Stubenmädeln hat es auch im Biedermeier schon gegeben, jetzt aber fand das romantische Treiben über die Grenzen