Neues von Gestern. Georg Markus
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Richtig ist allerdings, dass sich die Nazis der Hörbigerschen Lehren bedienten und der »Reichsführer-SS«, Heinrich Himmler, dessen Erkenntnisse verfälschte und für seine rassistische Theorie vom »Ahnenerbe« schamlos missbrauchte.
Nach Erscheinen meines Artikels über Hanns Hörbiger hatte sein Sohn Paul Vertrauen zu mir gefasst, weshalb er mich einlud, seine Lebenserinnerungen zu schreiben.
Hanns Hörbigers Theorie, schon zu dessen Lebzeiten ebenso populär wie umstritten, wurde freilich nicht nur von den Nationalsozialisten propagiert. So brachte Egon Friedell die Welteislehre in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit in einen »unterirdischen Einklang mit der Relativitätstheorie«, und nach dem Krieg sollte sich Wernher von Braun – bereits in den USA – als Hörbigers prominentester Fürsprecher erweisen. Immerhin hatte der Vater der bemannten Raumfahrt mit den Kameras der Orbiter-Sonden »Flussläufe festgestellt, die darauf hinzuweisen scheinen, dass sich in einer Tiefe von 10 bis 20 Metern unter der Mondoberfläche ewiges Eis befinde«. Aufgrund dieser Annahme, die Hörbigers Thesen bestätigte, wurde dem Wiener Forscher zu Ehren ein Mondkrater mit dem Namen »Hörbiger« versehen.
Spätere Mondexpeditionen und Satellitenbeobachtungen haben Wernher von Brauns ursprüngliche Vermutung widerlegt, so dass die Welteislehre heute von der Wissenschaft keinerlei Anerkennung findet. Was nichts daran ändert, dass der Mondkrater nach wie vor Hörbiger heißt.
Unbestritten bleibt die andere »Hinterlassenschaft« des Forschers, nämlich dessen vier Söhne. Während Paul und Attila Film- und Theatergeschichte schrieben, gründeten die beiden älteren Söhne Johann und Alfred die Hörbiger-Ventilwerke in Wien – heute ein international erfolgreicher Konzern. Alfreds mysteriöser Tod stürzte freilich die gesamte Familie in einen jahrzehntelangen Streit.
Es war im Mai 1945, als Alfred Hörbigers Leichnam in der Nähe von Innsbruck aufgefunden wurde. Bei der Obduktion stellte man eine Vergiftung fest. Würde heutzutage in einem solchen Fall selbstverständlich die Kriminalpolizei ermitteln, fand sich in den ersten Friedenstagen niemand, der die genaueren Todesumstände untersucht hätte. Zu viel Elend war nach Krieg und Nazidiktatur aufzuarbeiten, um jeden einzelnen Fall klären zu können.
Während Paul Hörbiger überzeugt war, dass Alfred ermordet wurde, konnte sein um zwei Jahre jüngerer Bruder Attila diesem Verdacht nichts abgewinnen. Paul ließ nicht locker und beantragte eine zweite Obduktion, deren Ergebnis den Mordverdacht weder bestätigen noch widerlegen konnte.
Dennoch erstattete Paul Hörbiger Anzeige »gegen Unbekannt«. Der Volksschauspieler verdächtigte ein Mitglied der Familie (das, da es nie zu einem Schuldspruch kam, namentlich nicht genannt werden kann – es war aber kein »prominenter Hörbiger«). Ein Prozess folgte dem anderen und verschlang das Vermögen, das Paul Hörbiger sich in Jahrzehnten als Filmstar erarbeitet hatte.
Nach mehr als zehnjähriger Prozessdauer wurde das Verfahren mangels an Beweisen eingestellt. Die genauen Umstände des mysteriösen Todes von Alfred Hörbiger werden wohl für alle Zeiten ein Rätsel bleiben.
Paul und Attila Hörbiger, die bis zu Alfreds Tod in brüderlicher Harmonie verbunden waren, verkehrten während des Streits – über den die Presse in großer Aufmachung berichtete – nur über ihre Anwälte. Wie überhaupt die ganze Familie bis weit über den Abschluss des Verfahrens hinaus zerstritten blieb. Erst im hohen Alter kamen sich die beiden Brüder, hervorgerufen durch ihre gemeinsame Arbeit am Burgtheater, wieder näher.
Hanns Hörbiger blieb die Tragödie seines Sohnes Alfred erspart. Aber auch von jener, eher kuriosen Geschichte, die sich im Zusammenhang mit dem nach ihm benannten Mondkrater ereignete, hat er nie erfahren.
Hier sollte sich ein in Wien oft erzählter Witz bewahrheiten. Sagt eine Kinobesucherin zum Filmoperateur: »Am liebsten hab ich die Filme mit’n Hörbinger.«
Der Filmoperateur korrigiert die Besucherin: »Hörbiger heißt er.«
Darauf die Besucherin: »Das is der Bruder!«
Den Hintergrund für diesen Witz liefert die Tatsache, dass viele Österreicher die beiden Publikumslieblinge und deren nicht minder berühmten Töchter und Enkel tatsächlich aus unerfindlichen Gründen stets Hörbinger nennen. Die Erweiterung um jenes »n«, das der hierorts üblichen Sprachmelodie entgegenzukommen scheint, war nie aus der Welt zu schaffen – man sagt Hörbinger, wie man auch Heester (statt Heesters) und Lingens (statt Lingen) sagt. Unerforscht sind die Eigenheiten des österreichischen Idioms.
Zur Jahrtausendwende, lange nachdem der Hörbiger-Mondkrater seinen Namen erhalten hatte, brachte die NASA eine neue Mondkarte heraus, auf der jeder einzelne Krater fein säuberlich eingezeichnet ist. Von Archimedes über Darwin bis zum Krater Galilei. Doch, als wär’s ein österreichischer Witz, steht auf der Karte nicht Hörbiger, sondern Hörbinger.
So lässt sich der alte Scherz durch einen Druckfehler auf der Mondkarte weit über den Tod des Forschers und den seiner Söhne hinaus nicht aus der Welt schaffen. Oder, wie es in diesem Fall wohl heißen müsste: vom Mond schaffen.
»RÜCKEN SIE IHRE GLÄSER ZURECHT«
Die Geschichte der Brille
Einst karikierte man den Grafen Bobby mit Monokel oder Zwicker, um seine Blödheit zu unterstreichen. Der Brillenträger von heute ist weit davon entfernt, als Witzfigur zu gelten. Goethe, Freud und Einstein haben die Welt eines Besseren belehrt: Kurz- oder weitsichtig zu sein, deutet eher auf Belesenheit und Intelligenz als auf das Gegenteil hin.
Sollten Sie, verehrter Leser, zu jenen 52 Prozent der Bevölkerung zählen, die eine »Vorrichtung zum Ausgleich eines Brechungsfehlers der Augen« (so die wissenschaftliche Erklärung) benötigen, dann rücken Sie jetzt Ihre Gläser zurecht. Denn hier erfahren Sie, wie’s vor mehr als siebenhundert Jahren zu dieser für uns alle revolutionären Erfindung kam.
Die Habsburger waren gerade erst an die Macht gekommen, damals gegen Ende des 13. Jahrhunderts, als der überwiegende Teil der Bevölkerung weder lesen noch schreiben konnte. Und Analphabeten brauchen keine Brillen.
Das geistige Leben des Mittelalters spielte sich vorwiegend hinter Klostermauern ab, die Ordensleute blieben also Hauptleidtragende des Phänomens, dass die Sehkraft des Menschen etwa mit dem vierzigsten Lebensjahr nachzulassen beginnt. Glas konnte zwar seit langem schon erzeugt werden, doch war man noch nicht in der Lage, es für den optischen Gebrauch zu bearbeiten. Bei den ersten Versuchen wurden daher – neben Quarz und Bergkristall – Halbedelsteine verwendet, die Barille hießen. Sie gaben der Brille später den Namen.
Diese so genannten »Lesesteine« waren unhandlich, wenig effektiv und konnten sich daher nicht durchsetzen. Kaum aber war das Glas als Sehbehelf entdeckt, fasste ein heute namentlich nicht mehr bekannter Kunsthandwerker aus Murano »zwey Linsen mit gestielten Ringen zusammen, welche Konstruktion man auf die Nase setzen konnte«. So geschehen Anno 1286.
In seinem Roman Der Name der Rose beschreibt Umberto Eco, welche Verwunderung der im 14. Jahrhundert lebende Mönch William von Baskerville bei seinen Mitbrüdern auslöste, als er die Bibliothek des Benediktinerklosters betrat und mit Hilfe einer »kleinen zweizackigen Gabel,