Neues von Gestern. Georg Markus
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Tatsächlich gibt es keinen Beleg dafür, dass Harrach das Fahrzeug je verschenkt oder verkauft hätte. Das Museum konnte dem Gericht lediglich einen Brief des Feldzeugmeisters Oskar Potiorek vorlegen, dem zu entnehmen ist, dass der Gräf & Stift »vom Besitzer Franz Graf Harrach Seiner Majestät zur Verfügung gestellt« und vom Kaiser »dem k. u. k. Heeresmuseum einverleibt wurde«.
»Von einer Schenkung kann keine Rede sein«, erklären Ludwig Draxler und Partner, die Rechtsanwälte der Klägerin. »Herr Potiorek (er war Landeschef von Bosnien-Herzegowina, Anm.) konnte nicht über ein Auto verfügen, das ihm gar nicht gehörte.«
Die in ihren Augen unkorrekte Beweisführung ist der Grund dafür, dass sich die Anwälte, nachdem das Verfahren sämtliche österreichische Instanzen durchlaufen hatte, an den Europäischen Gerichtshof in Straßburg wandten, wo das Verfahren zurzeit anhängig ist*.
Die Frage liegt nahe, ob der Fall – neunzig Jahre nach Sarajewo – nicht längst verjährt ist.
»Nein«, erklären die Anwälte, »Eigentum kann nicht verjähren. Die Klägerin bzw. ihr Vater haben nie auf das Fahrzeug verzichtet, es war dem Kaiser 1914 auf unbestimmte Zeit überlassen und von diesem dem Museum übergeben worden, weshalb es bisher auch nie einen Grund für eine Klage gegeben hat. Dies geschah erst, als sich das Museum weigerte, der Baronin Dreihann-Holenia den Wagen auf deren Anfrage rückzuerstatten.«
Sie hatte vorerst einen Brief an das Verteidigungsmuseum gerichtet, »in dem es uns nicht darum ging, den Besitz des Autos einzufordern«, erklärt Nikolaus Dreihann-Holenia, der Sohn der Klägerin. »Wir wollten nur die Eigentumsverhältnisse klarstellen und hätten es auch weiterhin als Ausstellungsstück zur Verfügung gestellt. Erst als Ministerium und Museum uneinsichtig reagierten, gingen wir zu Gericht.«
Dass auf dem Wagen heute noch die amtlichen Kennzeichen »A 111 118« montiert sind, werten die Anwälte als weiteres Indiz dafür, dass Franz Harrach, so lange er lebte, der rechtmäßige Eigentümer der Limousine war, »sonst wären ihm die Nummerntafeln entzogen worden«.
Für Manfried Rauchensteiner, den Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums, das den Wagen seit Jahrzehnten beherbergt, handelt es sich »um das bei weitem bedeutendste Fahrzeug der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Schließlich hat der Tod des Thronfolgers in diesem Wagen indirekt zwei Weltkriege ausgelöst«. Aus seiner Sicht ist »völlig klar, dass dieses Auto Eigentum der Republik Österreich ist und nirgendwo anders hingehört als in das Heeresgeschichtliche Museum«.
Letztlich führte mich der Prozess um das Auto zu den bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen des Kronzeugen Franz Harrach, der sich – als ihm nach dem Attentat die Tragweite des Erlebten fassbar zu werden begann – in einem vier Seiten langen Brief an seine Frau die seelische Belastung von der Seele schrieb. Es ist ein berührendes Dokument, zumal niemand sonst dem tragischen Geschehen so nahe war wie der Aristokrat, dessen Erinnerungen in den zahlreichen einander widersprechenden Zeugenaussagen besonderes Gewicht haben:
»Liebster Schatz«, schreibt er, »unter dem Drucke des Entsetzlichsten, was Menschenphantasie sich bilden kann, schreibe ich dir, gedrückt von dem Gedanken, selbst unberührt geblieben zu sein. Wo man hinsah, krachte etwas, Kapsel, Bombe … es war ein gesperrtes Jagen, es gab kein Entrinnen mehr, die Würfel waren gefallen. Sie waren Helden als Fürsten und als Menschen. Sie starben in Ausübung ihres Berufes, ihrer Pflicht, und als sich vor den zwei Särgen die Fahrer neigten, wenn das Volk, das arme, aufschrie in einem einzigen großen Schrei, der sich mit Elementargewalt zum Himmel erhob, da dachte ich im Herzen: Ihr großen Helden seid nicht ganz umsonst als Opfer eures Vaterlandes geschlachtet worden, nein!«
Nach diesen einleitenden Worten schildert Franz Harrach den Tathergang: »Sie (die Frau des Thronfolgers, Anm.) sagte zu ihm, als sie beide die Schüsse trafen: ›Um Gotteswillen, was ist dir geschehen?‹, sank auf ihre Knie, mit dem Gesicht auf seinen Knien, und es war vorbei. Aus seinem Munde spritzte sofort ein dünner Blutstrahl auf meine Backe, er wurde steif mit aufgerissenen Augen und sagte, die Hände auf ihren Schultern: ›Sopherl, stirb mir nicht, bleib mir für die Kinder.‹ Ich hielt ihn am Kragen und sagte: ›Kaiserhoheit müssen furchtbar leiden.‹
Er sagte: ›Oh nein, es ist nichts.‹ Dann murmelte er weiter, schwieg, worauf Blutröcheln begann, das mit einem Blutsturz endete. Erst nach ca. zehn Minuten starb er. Ihre Kugel hatte die Karosserie durchbohrt, riss ein Stücklein Rosshaar mit in die Seitenwände, die Kugel traf die Bauchschlagader bis etwa zur Halsschlagader.«
Im nächsten Absatz schildert Harrach die Chronologie der Ereignisse: »Beim ersten Attentat* sauste mir die Bombenkapsel um die Ohren. Der Effekt der Bombe, die von unserem zusammengelegten Dache hinabfiel, dank Loykas* verblüffender Geistesgegenwart, der sofort Vollgas gab, war verheerend. Im 2. Stocke waren die Fensterkreuze eingedrückt …«
Für Franz Harrach war »alles wie ein böser Traum. Heute** erwachte ich und frag: Ist es möglich? Kann es wahr sein? Wenn man das erlebt hat und Freund und Patriot ist, so ist einem da drinnen etwas gebrochen, was nimmer zu picken ist, wenn man Hass und Neid betrachtet …, als dann wird man sich fragen: Wozu lebe ich noch? Wozu sind die Großen gestorben, wenn auf dem mit ihrem Blute getränkten Acker Zwietracht und Hass gesät wird. Es umarmt dich«, endet der Brief, »dein vernichteter Gatte.«
Franz Harrach sollte den Weltkrieg, den die beiden, auf seinen Wagen gezielten Schüsse auslösten, in seiner vollen Tragweite miterleben. Er starb im Mai 1937. Womit ihm wenigstens der zweite, letztlich ebenfalls durch die Folgen des Attentats ausgelöste Krieg, erspart blieb.
Sein Erbe ging an dessen Tochter Alice Dreihann-Holenia über.
* Stand bei Manuskriptschluss dieses Buches im Juli 2004
* Tatsächlich wurde unmittelbar vor dem Schussattentat ein Bombenanschlag auf die Wagenkolonne verübt, den Franz Ferdinand und Sophie noch unverletzt überlebt hatten.
* Leopold Loyka war Franz Harrachs Chauffeur, der dem Thronfolgerpaar auf der Fahrt durch Sarajewo zur Verfügung stand.
** am 3. Juli 1914
DER LETZTE WAGEN DES LETZTEN KAISERS
Kaiser Karl verleiht sein Auto
So weit mir bekannt ist, liegt keine Schätzung über den wahren Wert des Gräf & Stift-Wagens vor, in dem der Thronfolger und seine Frau starben. Wie viel bei dem Gerichtsstreit aber auf dem Spiel steht, zeigt der Vergleich mit einem anderen Automobil von historischer Bedeutung: Der in den letzten Jahren der Monarchie im Besitz von Kaiser Karl befindliche Wagen, ebenfalls ein Gräf & Stift, ist auf rund vier Millionen Euro versichert. Es ist anzunehmen, dass das Auto, in dem Franz Ferdinand und Sophie ermordet wurden – schon wegen seines dramatischen Anteils an der Weltgeschichte –, einen noch viel höheren Preis erzielen würde, doch erscheint mir eine kleine Geschichte des Hofwagens von Kaiser Karl nicht minder erwähnenswert.