Wie die Zeit vergeht. Georg Markus
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Schon die Babenberger haben es verstanden, ihre Ehepartnerinnen aus einflussreichen Sippschaften zu rekrutieren, woraus sich verwandtschaftliche Beziehungen zu den reichsten Familien Europas ergaben, die die Bedeutung der Dynastie stärkten. Besonders erfolgreich war diesbezüglich Markgraf Leopold III., dessen zweite Frau Agnes das Vermögen ihres verstorbenen Ehemannes Friedrich von Staufen mit in die Ehe brachte. Hatte sie diesem bereits elf Kinder geboren, so kamen nun 17 weitere mit dem Babenberger Leopold hinzu. Agnes hat mit 28 leiblichen Kindern bis zum heutigen Tag zweifellos jedweden diesbezüglichen Rekord in herrschaftlichen Häusern gebrochen. Leopold III. wurde später heilig gesprochen, was schon das Aufziehen so vieler Kinder zu rechtfertigen scheint, und ist heute noch Landespatron von Österreich.
Dennoch: Selbst die ständige Heiraterei und die vielen Kinder konnten das Aussterben der Babenberger nicht verhindern. Ausgerechnet im 13. Jahrhundert, als Wien drauf und dran war, ein kulturelles Zentrum des Heiligen Römischen Reichs zu werden, sah das Herrschergeschlecht seinem Ende entgegen. Herzog Friedrich II. – genannt der Streitbare (weil er sich mit allen überworfen hatte, inklusive seinem Vater, seiner Mutter, seiner Schwester und den Königen von Böhmen und Ungarn) – fiel unter Reichsacht und wurde aus Österreich vertrieben. Als er im Juni 1246 im Kampf gegen die Ungarn starb, war der Mannesstamm der Babenberger erloschen.
Daraufhin gelang es schließlich – nach einem Interregnum durch den Přemysliden Ottokar von Böhmen – Rudolf von Habsburg, in der Schlacht auf dem Marchfeld im Jahre 1278 die Macht an sich zu reißen.
Die ursprünglich unbedeutenden, aus der Schweiz stammenden Habsburger erwarben im späten Mittelalter eine Reihe von Ländern, darunter Kärnten, Krain, Tirol und Vorarlberg, wodurch am Beginn der Neuzeit – mit Ausnahme von Salzburg, dafür inklusive einiger Gebiete Italiens und Sloweniens – das heutige österreichische Territorium entstand.
Als Kaiserin Maria Theresia 1780 starb, wurde ihr seit Längerem schon mitregierender Sohn Josef Alleinherrscher. Er war ein kluger, sparsamer und weitsichtiger Reformator, dessen Leitsatz lautete: »Ich war ein Mensch, bevor ich Herrscher war, und das halte ich für meine beste Eigenschaft.«
Bekannt dafür, dass er sich gern »unters Volk« mischte, besuchte Josef II. eines Tages, während seine Pferde in Bologna an einer Tränke versorgt wurden, ein Kaffeehaus, in dem er mit einem ebenfalls durchreisenden Offizier ins Gespräch kam. Als ihm der Fremde anvertraute, dass er in Diensten des Papstes stünde, seit Längerem aber schon seinen Dienst quittieren wollte, weil er vom Vatikan schlecht bezahlt würde, meinte Josef: »Warum treten Sie nicht in andere Dienste ein, zum Beispiel in den italienischen Gebieten des Kaisers von Österreich?«
»An wen sollte ich mich dort wenden?«, fragte der Offizier. »Sie glauben doch nicht, dass die hohen Herren für unsereins zu sprechen sind.«
»Wenn’s weiter nichts ist«, sagte der Monarch, »ich gelte was beim Kaiser, ich will Sie empfehlen.«
Der päpstliche Offizier lachte über den jungen Mann, den er für einen Leutnant hielt, blieb aber höflich und bedankte sich.
»Um Ihnen zu beweisen, dass ich nicht mehr verspreche, als ich halten kann«, fuhr Josef fort, »will ich Ihnen einen Brief geben, der an eine hohe Standesperson gerichtet ist, die in wenigen Stunden hier durchkommen wird.« Der Kaiser schrieb den Brief und versiegelte ihn, adressiert an seinen Oberstallmeister Graf Dietrichstein.
Stunden später sprach der Fremde bei Dietrichstein vor, übergab ihm das Kuvert und versank fast im Erdboden, als der sagte: »Mein Herr, ich gratuliere, Sie haben den Kaiser selbst gesprochen. Er befiehlt mir, Ihnen vierhundert Zechinen zu geben, damit Sie sich zu dem Regiment verfügen, in dem er Ihnen eine Kompanie anvertraut.«
Der Offizier erhielt eine hohe und wesentlich besser bezahlte Stellung.
Seine große menschliche Breite führte auch dazu, dass Josef II. die mittelalterliche Leibeigenschaft der Bauern abschaffte, Mann und Frau in der Ehe gleichstellte, das Wiener Allgemeine Krankenhaus gründete, Folter und Todesstrafe abschaffte und die Steuereintreibung reformierte. Josefs Wirtschaftsmaßnahmen verdoppelten in manchen Ländern der Monarchie die Beschäftigungszahlen, seine Sozialreformen brachten Ansätze zur Kranken- und Altersversorgung. Er gründete das Burgtheater, ließ Presse und Bühne durch eine liberalere Zensurpolitik größere Freiräume, ja er duldete sogar Kritik an seiner Person. Mit dem »Toleranzpatent« gewährte er schließlich die freie Religionsausübung.
Im Gegensatz zu seiner Mutter, die behutsam reformierte, konnte es Josef nicht schnell genug gehen. Kraft und Tempo seiner Maßnahmen schufen viele Gegner – vor allem in der katholischen Kirche, als er ein Drittel aller Klöster sperren ließ, um in den frei werdenden Gebäuden Spitäler und andere soziale Institutionen zu errichten.
Dabei war Josef ein guter Christ. Als er den bis dahin nur Aristokraten zugänglichen Prater für jedermann öffnen ließ, pilgerten Tausende Familien in das Erholungsparadies. Sie stürmten Wirtshäuser und Erfrischungszelte, in denen Kaffee, Tee und Eis ausgeschenkt wurde. Kaiser Josef beobachtete an mehreren Sonntagvormittagen das bunte Treiben, ehe er in Gesprächen und Beobachtungen erkannte, dass viele Ausflügler in den Prater gingen, statt in die Kirche. Er schloss daraufhin die Parkanlage an den Sonntagvormittagen wieder. Um sie ab zehn Uhr, als die Messen vorbei waren, wieder zu öffnen. Nun gingen die Wiener in die Kirche – und danach in den Prater.
In seinem Privatleben bewies Josef II., dass er Staatsreform und Sparsamkeit nicht nur predigte: Er selbst lebte spartanisch, sperrte Schönbrunn und einen Teil der Hofburg zu, entließ die Dienerschaft seiner Mutter und kam mit einer einzigen Köchin aus. Er war der erste Herrscher, der sich alleine rasierte und selbst für die Körperpflege sorgte. Er entschärfte das Hofzeremoniell, schaffte Hofknicks und Handkuss ab und empfing Bittsteller aus dem Volk persönlich.
Wenn auch äußerst umstritten, war der »Reformkaiser« seiner Zeit um ein Jahrhundert voraus und ersparte Österreich damit möglicherweise einen Umsturz im Stil der Französischen Revolution. In den zehn Jahren, die der josefinischen Epoche gegeben waren, wurde in Österreich mehr verändert als in den Jahrhunderten davor.
Ein Aristokrat, dem die Öffnung zum Volke gar nicht recht war, beschwerte sich bei Josef: »Jetzt gibt es in Wien gar keinen Ort mehr, wo man unter seinesgleichen sein kann.«
»Ach ja«, stöhnte der Kaiser, »das Problem kenne ich. Wenn ich immer nur unter meinesgleichen sein wollte, müsste ich in die Kapuzinergruft hinuntersteigen!«
Das war eine nicht ganz ernst gemeinte Bemerkung, die sich aber allzu früh bewahrheiten sollte. Kaiser Josef starb, nur 48 Jahre alt, am 20. Februar 1790. Seine Bedeutung wird auch von der Tatsache nicht geschmälert, dass viele seiner Maßnahmen von seinem Bruder und Nachfolger, Leopold II., zurückgenommen wurden.
Nach Leopolds nur zweijähriger Regentschaft – er starb ebenso überraschend wie sein Bruder – begann der Niedergang des Hauses Habsburg, dem Leopolds engstirniger Sohn, Kaiser Franz, nur wenig entgegenzusetzen hatte. Er hat den Thron 1792 als Franz II. bestiegen und ist 43 Jahre später als Franz I. gestorben. Das lag daran, dass er 1806 als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation zurücktrat und fortan als Kaiser von Österreich (und somit Franz I.) weiterregierte.
Wie jeder Habsburger musste er ein Handwerk erlernen, wobei Franz sich für die Gärtnerei entschieden hatte, an der er sein Leben lang mehr Interesse zeigte als an der Politik. Er selbst soll einmal über seine schlichte Auffassung, die Staatsgeschäfte zu leiten, gesagt haben: »Kaiser, das ist ein großes Wort, aber ein guter Hofrat wär ich schon geworden.«
In der Tat war Franz einer der bürokratischsten Herrscher auf dem Thron der Habsburger. Diese Episode ist für ihn symptomatisch: Als sein