Wie die Zeit vergeht. Georg Markus

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Wie die Zeit vergeht - Georg Markus

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und der Abstaubwedel liegen, mit welchem er selbst während des Tages seinen Schreibtisch von Streusand und Asche reinigte.«

      Um fünf Uhr nahm er das erste Frühstück ein – bestehend aus Gebäck, Butter, Schinken und Kaffee – dann rauchte er eine Zigarre. Befand er sich in Schönbrunn, verließ er das Schloss um Punkt halb sieben zu einem Spaziergang durch den Park, um danach in der benachbarten Villa der mit ihm befreundeten Schauspielerin Katharina Schratt das zweite Frühstück einzunehmen. Nach seiner Rückkehr studierte er wieder die geliebten Akten. Um zwölf wurde das Mittagessen aufgetragen, das praktisch immer aus derselben Menüfolge bestand: Suppe, Rindfleisch oder Naturschnitzel, Mehlspeise. War Franz Joseph alleine, ließ er sich die Speisen auf den Schreibtisch stellen. Interessanterweise war das Essen selten warm, was daran lag, dass die Hofküche von den kaiserlichen Appartements so weit entfernt war, dass die Speisen auf dem Weg durch Hunderte Meter lange Gänge auskühlten, ehe sie serviert wurden. Erst in den letzten Jahren seines Lebens wurde in einem Vorraum der kaiserlichen Gemächer ein Rechaud aufgestellt, mit dem das Essen aufgewärmt werden konnte.

      Nachmittags beschäftigte sich der Kaiser wieder mit seinen Akten. Die unerledigten befanden sich auf der linken Seite des Schreibtischs, die erledigten auf der rechten. Um fünf nahm er eine leichte Jause zu sich, Abendessen gab’s fast nie. Kurz nach acht begab sich der Kaiser zu Bett – es sei denn, er musste ein offizielles Diner oder einen Hofball geben. Verständlich, dass dem notorischen Frühaufsteher solche Festivitäten ganz und gar nicht behagten. Eine Anekdote, die immer wieder erzählt wird, entbehrt allerdings jeglicher Grundlage: Die meisten Gäste, so heißt es, verließen die Hoftafel hungrig, um danach ins Sacher zu gehen, weil der Kaiser ein berüchtigter »Schnellesser« gewesen sei und die Tafel aufgehoben werden musste, sobald er fertig war. Das stimmt nicht, jeder Besucher konnte bei Hof satt werden, es hätte auch nicht Franz Josephs Stil entsprochen, seine Gäste hungrig zu verabschieden.

      Nur seine Gemahlin Elisabeth, der jegliche Etikette verhasst war, schaffte es einigermaßen, das jahrhundertealte höfische Zeremoniell zu umgehen. Als Papst Pius IX. am 7. Februar 1878 in Rom starb, war die Kaiserin – wie so oft – gesundheitlich angeschlagen, weshalb sie es eine Woche lang vermeiden musste, ihre geliebten Ausritte zu unternehmen. Verschmitzt schrieb sie dem Kaiser: »Da ich nun einige Tage nicht reite, werden die Leute sagen, es sei wegen des Papstes. Das macht sich sehr gut.«

      Letztlich konnte und wollte auch Franz Joseph als jener Regent, der das Habsburgerreich ins 20. Jahrhundert führte, die zum Teil mittelalterlichen Gesetzmäßigkeiten des Spanischen Hofzeremoniells nicht abschaffen. So war es selbst seinen Geschwistern und engsten Familienangehörigen nicht gestattet, das Wort an den Kaiser zu richten, nur ihm stand es zu, eine Frage zu stellen. Am meisten betroffen von den anachronistischen Bestimmungen des Zeremoniells war die Herzogin von Hohenberg, die »nicht ebenbürtige« Frau seines Thronfolgers Franz Ferdinand. Sie stand in ihrem Rang an letzter Stelle der Familienangehörigen – noch weit hinter der jüngsten Erzherzogin – und durfte bei Veranstaltungen niemals neben ihrem Mann auftreten. So wurde bei offiziellen Diners im Speisezimmer ihr Sessel möglichst weit weg von dem ihres Mannes aufgestellt. Wenn der Hof mit den Kutschen ausfuhr, musste die als »gewöhnliche Gräfin« geborene Sophie Chotek im letzten Wagen Platz nehmen. Sie durfte nicht einmal beim Fronleichnamsgottesdienst im Stephansdom neben Franz Ferdinand knien. Sämtliche Versuche des Erzherzogs, die Stellung seiner Frau – die sehr unter den starren Rangvorschriften litt – zu verbessern, blieben ergebnislos.

      Nur einmal, ein einziges Mal nahm Sophie neben ihrem Mann Platz – ausgerechnet dieses eine Mal. Man befand sich weit weg von Wien und damit auch weit weg von den strengen Hütern des Zeremoniells. Das war an jenem 28. Juni 1914, an dem sie im Auto an der Seite des Thronfolgers durch Sarajewo fuhr. Und in dem sie von den tödlichen Kugeln des Attentäters Gavrilo Princip getroffen wurde. Von den Kugeln, die jener Monarchie galten, die sie angesichts ihrer »niedrigen Herkunft« so lange gedemütigt hatte.

      Die Montag- und Donnerstagvormittage des Kaisers waren für Audienzen reserviert. Im Prinzip hatte jeder Staatsbürger mit gutem Leumund die Möglichkeit, seinen Kaiser persönlich zu sprechen. Entsprechend dicht war das Programm an den Besuchstagen: »Gestern hatte ich 127, heute werde ich 108 Audienzen geben«, schreibt Franz Joseph in einem Brief an Katharina Schratt. Insgesamt empfing er in den fast sieben Jahrzehnten seiner Regentschaft mindestens 200 000 Personen in Audienz. Während der bis zu zehn Minuten dauernden Begegnungen blieben sowohl der Kaiser als auch seine Besucher stehen. Seine Hand reichte Franz Joseph nur Ministern, Geheimen Räten und Aristokraten – Bürgerlichen nie. Dennoch bestand Handschuhpflicht für alle, die sich ihm nähern durften. Herren erschienen im Frack, Militärs in Uniform, Damen im hochgeschlossenen Kleid mit Hut. Für Arme und Mittellose gab es keine Toilettenvorschriften.

      Bei Betreten des Raumes mussten die Damen in den großen Hofknicks versinken, die Herren in eine tiefe Verbeugung. Erheben durften sie sich erst auf Aufforderung des Kaisers. Der stand an seinem Pult und las dem Besucher den Grund seines Begehrs vor (als ob er den nicht selbst gekannt hätte) und teilte ihm das Ergebnis der Angelegenheit mit. Der Besucher sprach seinen Dank aus und bewegte sich – in nach rückwärts gerichteten Schritten und unter ständigen Verbeugungen – wieder dem Ausgang zu.

      Entscheidend für die Geschichtsschreibung ist jedoch, was von den 68 Regierungsjahren Kaiser Franz Josephs blieb. Im Guten wie im Schlechten.

      •Wien und viele andere Städte der ehemaligen Donaumonarchie verdanken den von Kaiser Franz Joseph eingeleiteten Städteplanungen ihr heutiges Erscheinungsbild. Er hat das Kaiserreich aus dem Biedermeier geführt, jeder Bahnhof, jedes Theatergebäude, jedes Amtshaus ist von seiner Zeit geprägt.

      •Auch wenn er selbst kaum daran Anteil nahm, kam es während seiner Regentschaft zu einem Aufbruch des Geistes- und Kulturlebens in Österreich. Die franzisko-josephinische Ära war die Zeit von Freud, Schnitzler, Karl Kraus, Gustav Mahler, Klimt und Schiele.

      •Franz Joseph hat durch die notwendigen Schritte der Industrialisierung entscheidend zur Modernisierung der Donaumonarchie beigetragen und damit ihren wirtschaftlichen Aufschwung ermöglicht.

      Demgegenüber stehen folgenschwere Fehler:

      •Während der Kaiser die Demokratisierung seines Reichs nur bedingt zuließ, waren andere Staaten viel weiter, übertrugen ihren Parlamenten größere Vollmachten. Die ersten freien Wahlen gab es in Österreich erst 1907; Frauen durften, solange es die Monarchie gab, überhaupt nicht wählen. Großbritannien zeigte sich wesentlich liberaler – und konnte auf diese Weise seinen imperialen Glanz bewahren.

      •Die drückende Armut konnte trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht besiegt werden.

      •Franz Joseph fand keine Lösung für die überbordenden Nationalitätenkonflikte, die letztlich zum Untergang des Kaiserreichs führten.

      •Auch als Oberstem Kriegsherrn war ihm wenig Glück beschieden, verlor er doch die wesentlichen Schlachten seiner Regentschaft. Als man den zurückgetretenen Kaiser Ferdinand in Prag von den österreichischen Niederlagen in der Lombardei und in Königgrätz informierte, brummte er: »Also, des hätt i aa no z’sammbracht!«

      Die folgenschwerste Unterschrift seines Lebens setzte Kaiser Franz Joseph am 28. Juli 1914 unter die Kriegserklärung an Serbien, die den Ersten Weltkrieg auslöste und das 20. Jahrhundert ins Verderben stürzte.

      Zu den Widersprüchen in seiner Biografie zählt, dass Franz Joseph einerseits als Integrationsfigur gesehen wird, die das schwankende Reich zusammenhielt, andererseits aber auch als Totengräber der Monarchie. »Beides ist richtig«, meint der Historiker Gerhard Jagschitz, »die Integration ist das Ergebnis seiner langen Regentschaft und zum Untergang führte seine Starrheit, die moderne Entwicklungen vielfach nicht zuließ.«

      Wenn an der persönlichen Redlichkeit des »alten Kaisers« auch lange nach seinem Tod

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