Wie die Zeit vergeht. Georg Markus
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Im Gegensatz zu Mozart war Schubert tatsächlich arm, der »Liederfürst« konnte oft nicht für die Miete seines Zimmers aufkommen und schlief dann bei Freunden oder Verwandten. Auch die letzten Wochen seines Lebens verbrachte er bei seinem älteren Bruder Ferdinand. »Ich werde wohl im Alter an die Türen schleichen und um Brot betteln müssen«, lautete ein Verzweiflungsschrei Schuberts.
Doch es gab kein Alter, das Musikgenie starb in den besten Mannesjahren, mit 31 Jahren. Nicht an Syphilis, wie oft behauptet wird, sondern an »schwerem Nervenfieber«. Vermutlich war er an Bauchtyphus erkrankt, einem in diesen Tagen infolge der schlechten Trinkwasserqualität weit verbreiteten Übel.
Vor der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert erfuhr das österreichische Musikleben einen neuen Höhepunkt: in der Oper durch Richard Strauss und Hugo Wolf, in der Symphonik durch Brahms, Bruckner und Mahler. 1860 in Böhmen als Sohn eines Weinbrenners und Gasthausbesitzers zur Welt gekommen und in Mähren aufgewachsen, schrieb Gustav Mahler mit sechs Jahren erste Kompositionen, die von der Militärmusik und von der jüdischen Musik der Synagoge geprägt waren. Mit fünfzehn ging er zum Musikstudium nach Wien, wo Anton Bruckner sein Lehrer war. Mahler durchlief eine Karriere als Kapellmeister an verschiedenen Opernhäusern und zählte bald zu den anerkannten Dirigenten Europas. In Budapest besuchte Brahms eine von ihm dirigierte »Don Giovanni«-Aufführung und war tief beeindruckt.
1897 zum Direktor der Wiener Hofoper bestellt, führte er das Opernhaus in nie da gewesene Höhen. In den zehn Jahren, die er das Haus leitete, wurde Mahler zum großen Reformer. Er führte die intensive Probenarbeit ein, in der die Leistungen der Musiker gesteigert und die bis dahin üblichen pathetischen Gesten der Sänger zurückgedrängt wurden. Mahler schuf die Ära der neuzeitlichen Operninszenierungen, in denen Bühnenbild und Kostüme zentrale Rollen spielten, er scharte das weltbeste Opernensemble um sich, zu dem Erik Schmedes und Leo Slezak zählten, aber auch die Sängerinnen Selma Kurz und Anna von Mildenburg – mit denen er, noch ehe er ihr Direktor war, Affären hatte.
Kaiser Franz Joseph ließ den Direktoren der Hoftheater freie Hand, weder er selbst noch seine Minister oder Beamten sollten auf die Führung der Wiener Bühnen Einfluss nehmen. Umso heftiger die Reaktion Mahlers, als Erzherzog Peter Ferdinand – ein entfernter Verwandter des Kaisers aus der toskanischen Linie des Hauses Habsburg – bei ihm vorsprach, um eine eigene Komposition zur Aufführung zu bringen. Der Erzherzog betonte, es sei »der ausdrückliche Wunsch des Kaisers«, dass sein Werk an der Wiener Hofoper gespielt würde.
Mahler selbst hinterließ uns, wie er daraufhin reagierte: »Ich habe zu dem Erzherzog gesagt: ›Es tut mir leid, Kaiserliche Hoheit, aber ich kann nicht Wünsche, sondern nur Befehle Seiner Majestät erfüllen. Wenn mir der Kaiser befiehlt, Ihre Oper aufzuführen, werde ich es tun. Nur werde ich dann ins Programmheft drucken lassen: ‚Auf Befehl Seiner Majestät, Kaiser Franz Josephs, Erstaufführung der Oper Soundso von Erzherzog Peter Ferdinand.‘‹«
Die Oper blieb unaufgeführt.
Mahler machte sich durch seine offene Art viele Gegner, aber die übelsten Anfeindungen waren antisemitisch geprägt. Er litt so sehr darunter, dass er zum katholischen Glauben konvertierte, was natürlich wenig half. Die von mehreren Zeitungen unterstützte Kampagne gegen ihn gipfelte darin, dass ihm die Uraufführung von Richard Strauss’ »Salome« untersagt wurde. Damit hatten seine Vorgesetzten bei Hof übers Ziel hinaus geschossen, und er trat als Operndirektor zurück. »Ich gehe«, schrieb er 1907 an einen Freund, »weil ich das Gesindel nicht mehr aushalten kann.«
Felix Salten urteilte nach Mahlers Abgang: »Im Anfang hat ihn nur seine frenetische Unbeliebtheit populär gemacht, es war täglich zu hören, dass er seine Musikanten misshandelt, sie zu unmenschlicher Arbeit peitscht, schier zu Tode hetzt, und dass ihn alle, wären sie’s nur imstande, am liebsten in einem Löffel Wasser ertränken möchten. Die Intensität seines Wesens schien die ganze Stadt zu füllen. Leute stritten hitzig über ihn, die niemals sonst in der Oper waren. Jetzt liefen sie herzu, um ihn zu sehen. Wieder andere Leute, die bisher kaum gewusst hatten, was ein Theaterdirektor ist und soll, fragten nach dem bösen Mahler.«
Noch als Operndirektor hatte Mahler im Salon der Bertha Zuckerkandl die um fast zwanzig Jahre jüngere Alma Schindler kennen gelernt und sich Hals über Kopf in sie verliebt. Die Tochter des Malers Emil Jakob Schindler und Stieftochter des Malers Carl Moll war in einem künstlerischen Umfeld aufgewachsen, in dem sie früh Gustav Klimt und Alexander von Zemlinsky kennen lernte (mit denen sie ebenfalls Verhältnisse hatte). Als Alma und Gustav Mahler im März 1902 heirateten, stellte er klar, dass sie nicht weiterkomponieren dürfte, um sich auf ihre Aufgaben als Ehefrau konzentrieren zu können, was sie ihm nie verzieh.
Die Sommerferien verbrachte das Ehepaar in einem »Komponierhäuschen« am Attersee, das eigens für Mahler errichtet worden war und in dem er sich voll und ganz der Musik hingab. Als er dort den Besuch seines Komponisten- und Dirigentenkollegen Bruno Walter erhielt, fiel Mahler auf, dass dieser sich jeden Berg, jeden Baum und jeden Strauch der Landschaft ganz genau ansah. Mahler nahm Walter an der Hand und sagte: »Sie brauchen sich hier gar nicht mehr umzusehen. Hier herum hab ich schon alles wegkomponiert!«
Auch den Sommer des Jahres 1910 verbrachten Alma und Gustav Mahler am Attersee. Während dieses Urlaubs hatte Alma eine stürmische Liebesbeziehung mit dem Architekten Walter Gropius, der sich im steirischen Tobelbad zur Kur aufhielt. Als der fünfzigjährige Mahler von der Affäre seiner Frau erfuhr, war die Erschütterung so groß, dass er Sigmund Freud konsultierte.
Mahler wurde nach seinem Abgang aus Wien Leiter der New Yorker Philharmoniker und Dirigent an der Metropolitan Opera, wo er mit Enrico Caruso und wieder mit Leo Slezak arbeitete.
Alma heiratete, nachdem Mahler 1911 verstorben war, ihren Geliebten Walter Gropius und später den Dichter Franz Werfel. Dennoch ließ sie sich bis an ihr Lebensende als »Witwe Gustav Mahlers« feiern. Sie wurde zur Femme fatale, zum Inbegriff der Muse großer Künstler. Als Gerhart Hauptmann und seine Frau einen Abend mit ihr verbrachten, griff er zu später Stunde nach ihrer Hand und seufzte: »Alma, wenigstens im Jenseits müssen wir ein Paar werden. Dafür melde ich mich jetzt schon an.«
»Aber Gerhart«, unterbrach Frau Hauptmann, »ich bin überzeugt, dass Frau Alma auch im Himmel schon gebucht ist.« Sie starb 1964 in New York.
Mit seinen Symphonien, seinen Orchester- und Klavierliedern steht Mahler an der Schwelle zur Neuen Musik, die den Weg zu Alban Berg, Anton von Webern und Arnold Schönberg ebnete.
Für den 1874 in Wien geborenen »Vater der Zwölftonmusik« war es nicht leicht, sich daran zu gewöhnen, dass die Musiker im Orchestergraben seinem Werk skeptisch gegenüberstanden. Als Schönberg bei einer Probe wieder einmal erkennen musste, dass die Mitglieder eines Symphonieorchesters sehr zurückhaltend spielten, erklärte er: »Meine Herren, in fünfzig Jahren wird man meine Musik überall aufführen und verstehen, und die Gassenjungen werden sie pfeifen.«
Da zischelte der erste Geiger seinem Sitznachbarn zu: »Und warum müssen wir sie dann heute schon spielen?«
Die Jahrhundertwende war auch die Zeit der gehobenen Wiener Unterhaltungsmusik – gekrönt durch die »Walzerdynastie« Strauß, durch Lanner, Millöcker, Heuberger, Ziehrer und Franz von Suppè, dem im dalmatinischen Split geborenen »Erfinder« der leichten Muse. Er hatte die ursprünglich aus Frankreich kommende und von Offenbach erdachte Operette mit Elementen des Altwiener Singspiels verschmolzen und damit den speziellen Typus der Tanzoperette geschaffen. Form und Inhalt der Wiener Operette waren ganz anders als das Pariser Vorbild, ja geradezu ins Gegenteil verkehrt. Sollte sie an der Seine verspotten und kritisieren, so diente die Operette