Wie die Zeit vergeht. Georg Markus
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Als Dreißigjähriger zum Hofballmusikdirektor ernannt, verließ er im selben Jahr seine Frau Maria Anna Streim und die drei Söhne. Der älteste, Johann, war zehn, Josef acht und Eduard gerade erst zur Welt gekommen. Johann Strauß Vater lebte fortan mit der Modistin Emilie Trampusch und kümmerte sich herzlich wenig um seine Familie. Nur einen Wunsch wollte er »den Buben« mit auf den Weg geben: »Alles könnt’s werden, nur eins nicht – Musikanten!« Zu viele gescheiterte Existenzen hatte er im Laufe seines Berufslebens gesehen, Künstler gehörten damals – mit Ausnahme der wenigen, die berühmt waren – immer noch den untersten sozialen Schichten an.
Der väterliche Protest half nichts, die Musik lag den Söhnen im Blut, sie mussten Musiker werden.
War Joseph Lanner anfangs der Konkurrent von Strauß Vater, so wuchs bald in seinem eigenen Sohn Johann ein Genie heran, das die Popularität des »alten Strauß« in den Schatten stellte. Der »Walzerkönig«, wurde zum beliebtesten Österreicher ex aequo mit dem Kaiser, weshalb man auch davon sprach, dass Österreich »von zwei Kaisern regiert« würde. Als Strauß 1862 die um sieben Jahre ältere Sängerin Henriette Treffz heiratete, ließ er sich einen mächtigen Vollbart wachsen, der den Altersunterschied ausgleichen sollte. Strauß Sohn machte seinem Namen alle Ehre und blieb auch in der Ehe der Sohn, »Jetty« nannte ihn sogar »mein Bub«.
Nach einiger Zeit des Wildwuchses wurde »Schanis« Bart zu einem Kaiserbart gestutzt, der dem des Monarchen verdächtig ähnelte. Das aber war Franz Joseph gar nicht recht. Im Sommer 1862 meldete die »Morgenpost«, dass »Allerhöchst Seine Majestät seinen Backenbart abrasiert hat und nur mehr einen Schnurrbart trägt. Wie man erfährt, fiel des Kaisers Bart aus galanter Zärtlichkeit für die Kaiserin. Ihre Majestät ließ nämlich die Bemerkung fallen, dass der Kaiser früher, bevor er den Backenbart getragen, jugendlicher und munterer ausgesehen habe.«
Kaiser und (Walzer-)König hatten der Liebe wegen konträr gehandelt: »Franzl«, weil er seiner Frau zu alt, »Schani«, weil er der seinen zu jung erschien. Nun wurde in allen Teilen der Monarchie heftig gestritten, ob die beiden mit oder ohne Bart fescher wären. Johann Strauß blieb zeitlebens Bartträger, und auch Franz Joseph ließ den seinen bald wieder sprießen. Das also war der Grund für den berühmten »Streit um des Kaisers Bart«.
Wie Johann Strauß die Noten förmlich zuflogen, entnimmt man der Aussage eines Komitee-Mitglieds des Wiener Technikerballs. Dieses trat kurz vor der Eröffnung in einem Restaurant an den »Walzerkönig« heran, um ihn zu fragen, wie weit die Komposition eines vor Wochen in Auftrag gegebenen Musikstückes gediehen sei. »Ach Gott, ich hab noch keine Note«, gestand Strauß, nahm die Speisekarte zur Hand und ließ innerhalb von dreißig Minuten den heute noch populären »Accelerationen-Walzer« entstehen.
Strauß erfreute sich in der Damenwelt derartiger Beliebtheit, dass sein Lebenswandel in einem Akt der k. k. Polizeidirektion als »unsittlich und leichtsinnig« bezeichnet wird. Der »Strauß-Schani« war nach »Jettys« plötzlichem Tod im April 1878 noch zweimal verheiratet, etliche Male verlobt und im Wien des 19. Jahrhunderts Mittelpunkt gesellschaftlicher Skandale – etwa, als seine zweite Frau Lily mit dem Direktor des Theaters an der Wien »durchging«. Oder als er in seiner dritten Ehe der Bigamie bezichtigt wurde, worauf er zum protestantischen Glauben überwechselte und die österreichische Staatsbürgerschaft aufgab, um den Rechtsfolgen seiner (gesetzlich gültig gebliebenen) zweiten Ehe zu entgehen.
Hätte Josef Strauß in einer anderen Generation gelebt, wäre er unter Garantie der bedeutendste Unterhaltungsmusiker gewesen. Aber da war eben der ältere Johann, neben dem keiner bestehen konnte, auch wenn Josef große Melodien wie den »Dorfschwalbenwalzer« oder »Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust« komponiert hatte. Der Absolvent der Technischen Hochschule Wien war auch als Mathematiker überaus begabt und hatte eine Straßenkehrmaschine erfunden.
Aber in jedem Strauß steckte Musik. Und daher übernahm Josef, wann immer sein älterer Bruder verhindert war, die Leitung der Strauß-Kapelle. Der eitle aber doch als bescheiden geltende Johann soll über seinen Bruder Josef gesagt haben: »Ich bin populärer, er ist begabter.«
Eduard, der Jüngste, hatte es zweifellos am schwersten. Obwohl er eine Diplomatenschule absolviert hatte, war er von der Musik ebenso besessen wie seine Brüder und begann in Johanns Kapelle Violine und Harfe zu spielen, bis auch er sein eigenes Orchester gründete, mit dem er in aller Welt Gastspiele gab. Doch sämtliche Erfolge konnten nicht über die Verbitterung hinwegtäuschen, doch nur »der kleine Bruder« vom großen Johann zu sein. In einem Anfall von Sinnesverwirrung vernichtete er in seinen späten Jahren alle vorhandenen Noten des Vaters und der beiden Brüder.
Mehrere überragende Talente innerhalb einer Familie sind in der Musikwelt keine Rarität: Mozart hatte einen bedeutenden Vater, Bach und Wagner begabte Söhne, Haydn einen bemerkenswerten Bruder. Aber dass eine Musikerdynastie ausschließlich aus Genies besteht – das macht den »Sträußen« keine andere Familie nach.
Und es wird noch sehr viel Wasser die angeblich blaue Donau hinunterfließen, und die Welt wird immer noch nach ihren Klängen tanzen.
Mit den Werken Franz Lehárs, Emmerich Kálmáns, Leo Falls, Paul Abrahams, Oscar Straus’, Edmund Eyslers und Robert Stolz’ wurde die Goldene durch die Silberne Operette abgelöst. Die Kaiserhäuser gehörten ab 1918 der Vergangenheit an, dienten der Operette des 20. Jahrhunderts aber immer noch zur Befriedigung nostalgischer Sehnsüchte und zur Verherrlichung der »guten alten Zeit«, in der sich Aristokraten und Offiziere ihrer Heldentaten rühmen durften.
Lehárs Danilo ging, wenn er das Vergnügen suchte, ins Maxim, um sich dann doch für »Die lustige Witwe« zu entscheiden. Der Schöpfer dieser Operette war selbst alles andere als leichtlebig. Franz Lehár hat den Verlust seiner Jugendliebe Ferdinanda Weißenberger, um deren Hand er 1903, als 33-jähriger Kapellmeister, angehalten hatte, nie überwunden. Ferdinandas Tante, die legendäre Anna Sacher, untersagte ihr die Beziehung »mit dem Hungerleider«, worauf das Mädchen einen Bauunternehmer heiraten musste. Ferdinanda und Franz Lehár haben einander nie aus den Augen verloren.
Zwei Jahre nach der Ablehnung durch Anna Sacher war »der Hungerleider« dank des Welterfolgs der »Lustigen Witwe« ein vielfacher Millionär – der das Sacher, als es später in den Konkurs schlitterte, spielend hätte retten können.
Lehár – von dem der Satz »Die Frauen sind Luft für mich, aber ich kann ohne Luft nicht leben« überliefert ist, fand nach seiner großen Enttäuschung bei Ferdinandas bester Freundin Sophie Trost, die ihrerseits aber verheiratet war. Also konnte der Meister, den damaligen Konventionen gehorchend, auch mit Sophie nicht zusammenleben. Es dauerte zwanzig Jahre, bis Sophie Meth geschieden war, Lehár sie 1924 ehelichen und mit ihr einen gemeinsamen Haushalt gründen konnte.
Der »zweite Walzerkönig«, wie Lehár auch genannt wird, besaß zu diesem Zeitpunkt bereits eine am rechten Traunufer in Bad Ischl gelegene repräsentative Villa, die er mit den aus aller Welt einfließenden Tantiemen finanziert hatte. Der Hauptwohnsitz des Ehepaares befand sich aber seit den frühen Dreißigerjahren im »Schikaneder-Schlössel« in Wien-Nussdorf, das