Wie die Zeit vergeht. Georg Markus
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* Entspricht laut »Statistik Austria« im Juli 2009 einem Betrag von rund 120 000 Euro.
* Karl Friedrich Amenda, Geiger und enger Freund Beethovens
CHIFFRE »GLÜCKSFAHRT«
Große Kriminalfälle
Dass unsere Straßen beleuchtet sind, verdanken wir ursprünglich Raubmördern, Dieben und anderen lichtscheuen Elementen, die nachts durch Wien zogen und arglose Passanten überfielen. Als die Behörden erkannten, dass beleuchtete Gehwege die Kriminalität vermindern, stellte man in der Dorotheergasse probeweise 17 ölbetriebene Kandelaber auf. Da die Überfälle zurückgingen, wurden ab 1688 innerhalb der Stadtmauern rund zweitausend solcher Leuchten platziert. Keiner hätte es gewagt, eine davon zu stehlen oder zu beschädigen, war doch mittels kaiserlichem Erlass die Drohung ergangen: »Wer die auf vielen Orten aufgerichteten Laternen in boshafter Weise destruieret, sei er auch wer er wolle, dem werde die rechte Hand abgehackt.« Ab 1841 wurden die Innere Stadt und die Hauptstraßen der Vorstädte mit Gasbeleuchtung versorgt.
Während in der Antike durch das Römische Recht eine relativ fortschrittliche Gerichtsbarkeit gewährleistet war, ließen die Babenberger oft durch »Gottesurteil« entscheiden, ob ein Mensch schuldig zu sprechen wäre oder nicht. So musste der Verdächtige aus einem Kessel, in dem sich siedend heißes Wasser befand, mit der bloßen Hand einen Gegenstand herausholen. Der Rechtsspruch erging dann je nach Zustand der Brandwunden. Bei der »Eisenprobe« musste der Angeklagte über glühende Metallstücke laufen. Blieb er unverletzt, war seine Unschuld erwiesen. Bei der »Wasserprobe« legte man den Delinquenten mit gebundenen Händen ins Wasser. Wenn er ertrank, war er schuldig.
Zur Mitte des 14. Jahrhunderts wurde in Wien eine »Bürgerwehr«, später »Polizey« genannt, gegründet. Sie setzte sich aus einer Anzahl von Handwerksmeistern und -gesellen zusammen und war dem Stadtrichter bei der Festnahme »strafmäßiger Verbrecher« behilflich. Bald gab es eine hauptberuflich amtierende Tag- und Nachtwache, und unter Maria Theresia erhielt jedes Stadtviertel einen Kommissar, dem »Gassenkommissare« und »Hausnachseher« unterstellt waren.
Kaiser Josef bemühte sich um ein menschenwürdiges Rechtssystem. Als man ihm zutrug, dass sich in der Festung Spielberg in Brünn das inhumanste Gefängnis der Monarchie befände, wollte er sich persönlich ein Bild von den Zuständen machen. Die Insassen vegetierten in acht Grad kalten Zellen, in denen sich Wasserlachen stauten und ein bestialischer Modergeruch verbreitete. Die lebenslange Haft dauerte hier im Schnitt nur ein halbes Jahr, danach verfielen die Gefangenen dem Wahnsinn oder sie starben.
Der Kaiser fuhr nach Brünn und meldete sich beim verblüfften Festungskommandanten Herter, dem er den Befehl erteilte: »Schließen Sie mich ein und holen Sie mich nach einer Stunde wieder raus!«
»Aber Majestät können doch nicht …«
»Nach einer Stunde, keine Minute früher!«
Die Tür fiel ins Schloss und wurde nach sechzig Minuten wieder geöffnet. Der Kaiser trat aus der Zelle, blass, hustend, mit feuchter Uniform. Er versammelte das Offizierskorps um sich und entschied: »Ich war der letzte Mensch in diesen Räumen.«
Der Kerker im Tiefgeschoss wurde noch am selben Tag für immer geschlossen.
Josef II. fand auch eine neue Form, Kriminelle in das Arbeitsleben zu integrieren. Auf dem Weg in das von ihm bewohnte Augartenpalais war ihm aufgefallen, dass die Jägerzeile* an ihrem Ende in ein schmutziges Rinnsal, den Fugbach, überging. Der Kaiser befahl dessen Sanierung: »Da der Fugbach stinkt und für die in der Jägerzeile Wohnenden höchst ungesund sein muss, ist er ehestens zuzuschütten. Dazu sollen die im Zuchthaus müßig einsitzenden stärksten Männer mit Nutzen verwendet werden.«
Im Herbst 1808 betrat ein junger Mann das Vernehmungszimmer der Kriminalabteilung der Stadt Wien und erklärte den anwesenden Beamten: »Mein Name ist Grillparzer, ich hab einen Handwerksburschen im Wald erschlagen.« Der des Mordes Verdächtigte wurde festgenommen und ins Gefangenenhaus gebracht.
Bei besagtem Herrn Grillparzer handelte es sich natürlich nicht um Österreichs Nationaldichter. Sondern um dessen Bruder Karl, der bereits mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, zum ersten Mal, als er aus der kaiserlichen Armee desertierte und nur durch große Mühen seines Bruders – der eben seine ersten schriftstellerischen Gehversuche unternahm – gerettet werden konnte. Karl setzte sich nach Frankreich ab und kehrte nach fünf Jahren heim, um hier neuerlich von Franz unterstützt und aus manch misslicher Lage gerettet zu werden. Bald als Geldbote in Großgmain bei Salzburg angestellt, fehlten eines Tages aus der Amtskasse 41 Gulden. Wieder war es Sache seines dichtenden Bruders, dem um ein Jahr Jüngeren zu helfen und durch Hinterlegung einer Kaution den Schaden wiedergutzumachen.
Karl Grillparzer versteckte sich nach diesem Vorfall eine Zeitlang in Wien, wo es zu dem oben geschilderten »Mordgeständnis« bei der Polizei kam. Der Fall konnte nie geklärt werden – schon weil man an dem von Karl angegebenen »Tatort« keine Leiche fand. Franz Grillparzer musste einmal mehr für seinen Bruder geradestehen, diesmal mit einer Eingabe an das Kriminalgericht Wien, in der er erklärte, dass Karl »den Mord, dessen er sich anklagte, nicht begangen« hätte. Grillparzer gab an, dass sein Bruder als Kind eine Gehirnerschütterung erlitten hätte. Er wurde freigelassen, heiratete und hatte mehrere Kinder, die ebenfalls von seinem berühmten Bruder unterstützt wurden. Es gibt Vermutungen, dass Karls »Geständnis« ein Selbstmordversuch war: Hätte man ihm den Mord geglaubt, wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit zum Tod verurteilt worden.
In der Zeit des Vormärz war der wegen seiner brutalen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung gefürchtete Graf Josef Sedlnitzky Polizeipräsident von Wien, dessen Name bis heute ein Synonym für Unterdrückung ist. Jede Art der Auflehnung, ja der Diskussion konnte lebensgefährlich sein, und es gab nur einen, der den Mut hatte, den mitleidlosen Mann ins Lächerliche zu ziehen: den Wiener Dichter Ignaz Castelli, der seine Hunde Sedl und Nitzky nannte. Wann immer er bei einem Spaziergang Polizeiorganen begegnete, rief er ihnen laut und deutlich und in dieser Reihenfolge zu: »Sedl! Nitzky!«
Dagegen waren selbst die strengsten Ordnungshüter machtlos. In die Amtszeit des Polizeipräsidenten Sedlnitzky fiel ein Kriminalfall, dessen Bearbeitung sehr delikat war, spielte er doch in den allerhöchsten Kreisen. Man schrieb den 6. Juli 1822, als Fürst Alois Kaunitz in seinem Palais in der Dorotheergasse festgenommen wurde. Vor Gericht stellte sich heraus, dass der Enkel des einstigen Staatskanzlers Wenzel Kaunitz nicht weniger als zweihundert unmündige Mädchen missbraucht und geschändet hatte.
Im Theater an der Wien gab es ein Kinderballett, das in jenen Tagen von abartig veranlagten Herren aufgesucht wurde, allen voran: Alois Kaunitz, einst österreichischer Botschafter am Hof des Papstes, ehe er 1819 als »untragbar« vom Dienst suspendiert und in die Heimat rückbeordert wurde. Hier begannen die Ballettbesuche des dreifachen Familienvaters im Theater an der Wien.
Der Prozess gegen den Fürsten Kaunitz wurde lange hinausgezögert, da es im höchsten Staatsinteresse war, Mitglieder des Hochadels zu schonen. Als aber die krankhaften Leidenschaften des 49-Jährigen in Wien die Runde machten, erwies sich das Einschreiten der Behörde als unumgänglich. Kaunitz war meist an die Mütter