Die unvollendete Geliebte. Elisabeth-Joe Harriet
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Die Störung dieser Schach-Idylle sollte von unerwarteter Seite kommen. Am Morgen des 2. September fährt der fesche Kavallerieleutnant in Reserve, Rudi Pick, im Fiaker vor und bleibt für zwei Tage. Mit diesem Mann hat Schnitzler aus mehreren Gründen ein Problem. Nicht nur ist er ein Verehrer seiner Angebeteten gewesen, ist schlanker, blonder, eleganter als er selbst gekleidet und plaudert amüsanter. Mit ihm ist Olga alleine auf Gamsjagd gewesen, wo sich doch unvergleichlich bessere Gelegenheiten zur Liebe geboten haben müssen, als er sie hier mit ihr hat! Schnitzler wird völlig von seiner Eifersucht überrollt. Obwohl Olga während dieser zwei Tage alles Menschenmögliche tut, um ihn zu beruhigen, ihm verheißungsvolle Blicke und leidenschaftliche Worte zuflüstert, leidet Arthur unsäglich, was Olga wiederum beunruhigt: »Ich könnte weinen, wenn ich Sie traurig sehe«, sagt sie. »Wissen Sie denn, wie wahnsinnig ich Sie liebe? Jede Minute meines Lebens, meines Denkens gehört ja Ihnen nur allein«, entgegnet er. Nur Charles scheint die Situation zu genießen. Was soll schon passieren, wenn gleich zwei Verehrer seiner Frau zugegen sind?
Doch der Schein trügt. Am Abend nach Rudi Picks Abreise erscheint Olga nicht wie üblich im Speisesaal, da sie sich, wie man vernimmt, nicht wohlfühlt. Am nächsten Morgen erscheint sie sehr blass, winkt Arthur zu sich und bittet ihn, sich in fünf Minuten in ihrem Salon einzufinden. Als Arthur dort einlangt, steht sie, noch bleicher als vorher, am Klavier, sinkt in seine Arme, küsst ihn mit Inbrunst. Dann erzählt sie, dass sie Charles am Vorabend nur mit Mühe davon abhalten konnte, hinunterzustürmen und ihn zu erschlagen. Sie bittet Arthur, sofort abzureisen, um sich in Sicherheit zu bringen. Voller Überzeugung erklärt Arthur, dass er nicht daran denkt zu fliehen, sondern gerne für sie sterben will. Gemeinsam suchen sie nach einer Lösung, was immer wieder von zärtlichen Küssen unterbrochen wird. Arthur entwickelt einen Plan nach dem Motto, dass Angriff die beste Verteidigung sei.
Er lässt sich unverzüglich bei Charles melden und stellt ihn zu Rede. Fragt ihn, warum er seiner Frau das Leben mit seiner unbegründeten Eifersucht vergälle und harmlose freundschaftliche Unterhaltungen durch sein Misstrauen störe, erklärt ihm, dass eine verfrühte Abreise seinerseits peinlich auffallen und ihm in seinem Ansehen schaden würde. »Er erwiderte mir ziemlich ruhig, und nur seine zermarterten Züge, die schmalgewordnen Wangen, die rotgeränderten Augen mit den lefzenartig heruntersinkenden Mundwinkeln – Jagdhundgesichter pflegte später einer meiner Freunde solche eifersuchtverzerrte Physiognomien zu nennen – verrieten seine, mir freilich sehr gleichgültige oder gar lächerliche innere Pein. Er sei fern davon, sagte er, seine Frau ernstlich zu verdächtigen, und was ihr ›G’speanzel‹ mit mir anbelange, so solle ich ja nicht glauben, daß ihm das etwas Neues sei. ›Mit dem Richard Engländer und mit dem Rudi Pick‹, setzte er mit einem wohlgezielten Nebensatz hinzu, ›hat sie’s genauso getrieben wie mit Ihnen.‹ Es ist wohl denkbar, daß nun auch meine Züge ins Jagdhündische zu spielen anfingen.« Er habe auch nichts gegen Gespräche, die seine Frau mit den Gästen führe, erklärte Charles, was er sich allerdings nicht gefallen lassen wolle, sei das dadurch entstehende Gerede der Leute. Die beiden Männer trennen sich mit einem Händedruck und Schnitzler kann bleiben.
Er tanzt am Abend mit Olga, wobei sich ihre Wangen berühren und sie Zärtliches flüstert, als Sieger fühlt er sich dennoch nicht. Der Stachel von Charles’ Bemerkung, dass Olga es mit Altenberg und Pick genauso getrieben habe, sitzt tief. Bei der nächsten Schachpartie quält er Olga, indem er die hämischen Worte ihres Mannes wiederholt, ja sie ihr vorwirft. Sie erkennt darin die Rache ihres Ehemannes und geht nicht weiter darauf ein. Schnitzler hat nicht erreicht, was zum Grundmuster seiner Liebesbeziehungen gehört: Wenn er leidet, muss auch die Frau durch ihn leiden, denn ohne Leid und Eifersucht kann Liebe nicht wahre Liebe sein.
Noch vor Rudi Picks Ankunft hatte Schnitzler auf Bitten Olgas hin begonnen, ein Gelegenheitsstück zum Geburtstag der schönen Eveline Brandeis-Weikersheim zu verfassen. Er tat es umso lieber, als Olga sich bereit erklärt hatte, darin die Rolle des Thalhof-Genius zu übernehmen. Sich selbst als einzig mitwirkendem Herrn teilte er die Rolle des Genius von Wien zu. Am 4. September wird das Thalhof-Festspiel genannte Werk fertig und das erste Mal geprobt. Am Tag der Aufführung, dem letzten Tag von Schnitzlers Aufenthalt, gibt es vormittags eine weitere Probe. Nachmittags schreibt er in der Kanzlei des Hotels sitzend die Verse für den Souffleur ins Reine: »Diese sonst etwas langweilige Beschäftigung wurde mir dadurch versüßt, daß Olga von Zeit zu Zeit hereinkam, sich über die Blätter beugte und ich ihr die Hände küsste.«
Nur vor den engsten Freunden des Geburtstagskindes findet abends die Vorstellung im Teesalon statt. Die Damen in hübschen, von Olga entworfenen Kostümen, Schnitzler als Wiener Strizzi mit Strohhut. In seinen viele Jahre später geschriebenen Erinnerungen zu diesem Abend gesteht er Olga kein großes schauspielerisches Talent zu: »Olga sprach ihre Verse damenhaft mit dunkler Stimme und ohne Talent.« Nach der mit großem Beifall bedachten Premiere gibt es ein Geburtstagssouper und einen Schnitzler aufwühlenden Tanz, bei dem er seine Olga noch einmal vor dem Abschied im Arm halten kann, ihn aber auch sehr endzeitliche Gedanken ihre Beziehung betreffend beschleichen. Er zieht ein berührendes Resümee: »Heute war ja der letzte Abend meines Reichenauer Aufenthaltes, das Ende dieser wunderbaren glückselig-unglückseligen, sehnsucht- und leidenschafterfüllten Sommertage, in denen, wenn auch die letzten und heißesten Wünsche nicht gestillt waren, ich an Liebeserfahrung und Wissen um die Seele von Männern und Frauen und vor allem an Wissen um mich selbst weiter vorgeschritten war als in irgendeiner früheren Epoche meines Daseins. Wenn ich auch fühlte, daß es zwischen Olga und mir keineswegs für immer vorbei war, daß wir uns bald und vielleicht oft wiedersehen würden, und wenn sogar kühnste Hoffnungen für spätere Zeit in mir lebendig waren und lange blieben, – die Ahnung, daß das Schönste, das in einem tieferen Sinn Schönste, das Unwiederbringliche und Einzige dieser Beziehung mit dem heutigen Abend erledigt war, diese Ahnung umschattete meine Seele düsterer, als es irgendeine banale Abschiedsstimmung getan hätte; – und in dieser letzten Thalhof-Nacht weinte ich Tränen, die zu den bittersten, verzweiflungsvollsten meiner Jugend gehörten …«
Am nächsten Morgen fahren Arthur und Olga gemeinsam nach Wien, was nicht weiter auffällt, da sie oftmals ihren Vater besuchte und bei ihm am Südbahnhof wohnte. Im gleichen Coupé fährt Doras Mann, der Kaufmann Innocenz Kohnberger, der sich die gesamte Fahrt bis Mödling schlafend stellt, damit die Liebenden in einem langen, inbrünstigen Kuss versinken können.
Nach Wien zurückgekehrt, vertraute Schnitzler seinem Tagebuch am 7. September 1886 an: »Sie streichelte meine Wangen, meine Augen, meine Haare – dann küssten wir uns lang, lang … – es war uns beiden, als müßten wir vergehen –
– Und jetzt bin ich wirklich nicht mehr in ihrer Nähe. Wenn ich nur einen Moment einen andern Gedanken haben könnt als sie.«
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