Die unvollendete Geliebte. Elisabeth-Joe Harriet

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Die unvollendete Geliebte - Elisabeth-Joe Harriet

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nächsten Morgen bringt der hauseigene Pferde-Omnibus nicht nur Schnitzler und andere Gäste, sondern auch Olga zur Bahn, da sie ihrer Schwester Gabriele, die ihren Besuch angekündigt hat, bis Gloggnitz entgegenfahren will. Beim Aussteigen flüstert sie ihm zu: »Leider geht auch eine solche Fahrt zu Ende!«

      Nach zweiwöchiger Arbeitspause in Wien ist Schnitzler am Samstag, 31. Juli 1886, bereits wieder Gast im Thalhof; diesmal für längere Zeit, die nur ab und an von Wien-Aufenthalten und Besuchen bei seiner Familie in Bad Ischl unterbrochen sein wird. Bei seinem Anblick errötend empfängt ihn Olga herzlich und sehr schnell ergibt sich die Gelegenheit, sich der gegenseitigen Liebe zu versichern. Küssen darf er sie nicht. Den Grund dafür erklärt ihm die von Olga ins Vertrauen gezogene Dora Kohnberger bei einem abendlichen Spaziergang auf der Veranda – Arm in Arm, um den Gatten irrezuführen: Olga hatte ihrem Mann von allen Kurbekanntschaften in Meran erzählt, nur nicht von Schnitzler. Und nun hat Charles Waissnix zwischenzeitlich durch Zufall von dessen Anwesenheit im Kurort erfahren, ist rasend eifersüchtig geworden und hat geschrien, dass er diesen Menschen nicht ertragen könne.

      Im Falle ehelicher Zwistigkeiten suchte der Ehemann gerne die Hilfe seines Schwiegervaters, dem er sogleich von der unleidlichen Angelegenheit schrieb. Ludwig Schneider reiste höchstpersönlich an, um seiner Tochter die Leviten zu lesen, und Olga wurde mit der doppelten Drohung eingeschüchtert, dass sie im Wiederholungsfalle der Gatte aus dem Hause jagen und der Vater nicht aufnehmen würde. Olga kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, dass er nicht scherzte, und fügte sich scheinbar in ihr Schicksal. Hätte sie es wirklich getan, hätte sie Schnitzler auf der Stelle das Haus verbieten müssen. Das bringt sie jedoch nicht übers Herz, zu sehr liebt sie diesen Mann und fühlt sich magisch von ihm angezogen. Das gefährliche Spiel mit dem Feuer muss weitergehen, sie will ein bisschen Glück genießen, obwohl sie ahnt, dass sie Gefahr läuft, zu verbrennen.

      Schnitzler kann durch Doras Erklärungen Olgas übergroße Vorsicht besser verstehen, er fühlt sich sogar geschmeichelt, dass die Geliebte all diese Gefahren auf sich nimmt, um ihn weiter in ihrer Nähe zu haben. An diesem Nachmittag ist er bereit, sich allein mit ihren tiefen, langen Blicken in seine Augen zufrieden zu geben. Indem er sich ans Klavier setzt und für sie spielt, kann er seine Leidenschaft besser als mit Worten ausdrücken und die beiden fühlen sich einander erneut so nahe wie in Meran.

      Am nächsten Morgen musste Arthur wieder nach Wien ins Allgemeine Krankenhaus, wo er die nächsten zwei Tage verbrachte. Seit 1. Juni 1886 war er hier provisorischer Sekundararzt. Am ersten Abend besuchte er die Familie Adler in Baden, mit deren Tochter Gisela er heiße Küsse tauschte und wo er bis 4 Uhr früh mit den Gästen pokerte. Um 8 Uhr früh war er bereits wieder in Wien im Krankenhaus. Wie ist es möglich, Olga so sehr zu lieben und eine andere zu küssen? Schnitzler versuchte sich abzulenken, holte sich, was er von Olga nicht in ausreichendem Maße bekommen konnte, um besser mit seinem Liebesleid umgehen zu können und sich seiner Männlichkeit zu vergewissern.

      In Gesellschaft von Dora Kohnberger fährt er am Dienstag, dem 3. August, abends mit der Bahn nach Reichenau und erfährt von ihr, was sich in den zwei Tagen seiner Abwesenheit abgespielt hat:

      Nachdem Schnitzler am Montag früh zu seinem Spitalsdienst abgefahren ist, bemerkt Charles bei einem Blick ins Reservierungsbuch, dass der verhasste Eindringling ab dem nächsten Abend ein Zimmer für längeren Aufenthalt bestellt hat. Er gerät in Wut, nennt Schnitzler einen Menschen, der mit seinem Klavierspiel den Weibern den Kopf verdrehe, und verlangt von seiner Frau, dass sie ihm sofort abtelegrafiert. Olga ist zutiefst verzweifelt und denkt darüber nach, ob es nicht besser sei, sich das Leben zu nehmen, als diese Szenen ihres Mannes weiter ertragen zu müssen. Nimmt sie, ohne weiter nachzudenken, etwas von dem Morphium, das sich in ihrer Hausapotheke befindet, oder ist sie sich dessen bewusst, dass die eingenommene Dosis nicht ausreichen wird, sie zu töten? Will sie ihrem Mann nur einen gehörigen Schreck versetzen, weil sie weiß, dass er sie nicht verlieren will? Will sie einfach Ruhe haben, tief schlafen und nicht mehr an ihre Probleme denken müssen? Schnitzler hält es für Kalkül, aber es zeitigt beim Ehemann die richtige Wirkung. Er findet seine bewusstlose Frau, ruft sofort den Arzt und fühlt sich schuldig.

      Dora Kohnberger, die sich als Hüterin und Vertraute der Liebenden sieht, redet Charles ins Gewissen und macht ihm klar, dass von Schnitzler keine Gefahr drohe und er seiner Gattin vertrauen könne. Sie kann den Mann einigermaßen zur Vernunft bringen, sodass Schnitzlers weiterem Aufenthalt am Thalhof fürs Erste nichts im Wege steht. Am Abend seiner Ankunft tritt Charles sogar an seinen Tisch und begrüßt ihn mit aufgesetzter Höflichkeit.

      »Auch der nächste Tag hob unter den günstigsten Zeichen an. Schon des Morgens, freilich ganz flüchtig, sprach ich die Geliebte, Gerettete, die durch ihren Selbstmordversuch, ob er nun ernst gemeint gewesen war oder nicht, für eine Weile die Oberhand gewonnen und mir so mit heiterer Unbefangenheit entgegentreten konnte. Am Nachmittag trafen wir uns auf neutralem Boden, in Frau Doras Salon, und ich erhielt von Olga ein kleines Medaillon mit einem vierblättrigen Kleeblatt, das sie selbst gepflückt hatte.« Anschließend gehen die beiden in Begleitung der Anstandsdame Dora Kohnberger und Marie Engländer, der Cousine von Peter Altenberg, spazieren. Die beiden Damen halten einen rücksichtsvollen Abstand ein und so haben Olga und Arthur Gelegenheit, ungestört zu plaudern. Sie schwelgen in Meraner Erinnerungen und Olga erzählt ihm ehrlich von den Vorfällen der letzten Tage. Bedingt durch seine Neigung, in der Liebe auch immer leiden zu wollen, und aus schlechtem Gewissen vermutet Arthur, dass es zwischen den Ehepartnern zu einer Versöhnung gekommen sein muss und diese als keine größere Treulosigkeit angesehen werden kann als seine nächtlichen Küsse in Baden mit Gisela Adler. Schnell verwirft er diese Gedanken wieder und genießt glückselig den Spaziergang mit Olga. Zum Hotel zurückgekehrt, verfliegt seine gute Laune jedoch wieder, als Gustav Pick mit seinen beiden Söhnen Alfred, einem Gerichtsadjunkten, und Rudi anreist. Rudis sportlich schlanker Körper – Schnitzler hat zeitlebens mit seinem Gewicht zu kämpfen –, seine Eleganz und Heiterkeit machen Schnitzler neidisch und eifersüchtig.

      Noch am selben Abend begleitet man Alfred Pick zur Bahn nach Payerbach. »Auf dem dunkeln Perron schwebte die ganze Gesellschaft hin und her, und Olga hatte sogar die Kühnheit, mit mir Arm in Arm auf und ab zu spazieren. ›Was war das heute für ein glücklicher Tag, Arthur‹, sagte sie; worauf ich sie unverzüglich wegen Rudi zur Rede stellte. Sie schüttelte den Kopf, gekränkt, aber gütig. Es war nämlich kein Wort wahr. Wie mir nur so etwas einfallen könnte, und ob ich denn nicht wüßte, daß sie niemanden geliebt habe als mich? ›Wenn wir nur immer so weiterwandern könnten‹, sagte ich, als wir vom Perron aus auf der Bahnstrecke weiter ins Dunkel schritten, ohne uns um die andern zu kümmern. Und sie: ›Warum reden Sie von einem solchen Glück, das uns ja doch niemals werden kann.‹«

      Als die Gesellschaft unter einem klaren Nachthimmel mit dem hoteleigenen Pferdewagen zurückfährt, fühlt sich Arthur als Sieger. Über Olgas pessimistischen Ausspruch denkt er an diesem Abend nicht weiter nach. Der Tag war insgesamt zu schön, um sich die Hoffnung auf die Verwirklichung seiner Liebe rauben zu lassen. Olga hingegen ist sich immer bewusst, dass diese Liebe unerfüllt bleiben muss, will aber wenigstens den leisen Hauch eines möglichen Glücks genießen.

      Zwei Tage später trifft man sich wieder im bequemen Salon der Hausfrau zum schwarzen Kaffee. Während Gustav Pick Schnurren aus seinem Leben erzählt, denen alle andächtig lauschen, findet Olga Gelegenheit, Arthur ein rotgebundenes Buch von Paul Heyse zu übergeben. Der 1830 in Berlin geborene und später in München lebende Heyse war zu seiner Zeit einer der beliebtesten Schriftsteller und Dichter und zugleich der erste deutschsprachige Autor, der 1910 den Literaturnobelpreis verliehen bekam. Er verfasste 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Während der Kuren, die Heyses erste Frau in Meran genoss, entstanden seine Meraner Novellen, die Schnitzler nun in Händen hält. Eine von ihnen, mit dem Titel Gute Kameraden, weist viele Parallelen zur Beziehung von Olga und Arthur auf. Olga hat einige Stellen mehrmals unterstrichen, die ihm noch lange schmerzlich und zugleich beseligend im Sinn haften bleiben sollten: »O Schwesterherz, was ich ihm für weise Dinge gesagt habe, an die ich selbst nicht glaubte,

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