Mit gläubigem Herzen und wachem Geist. Reinhold Stecher

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Mit gläubigem Herzen und wachem Geist - Reinhold Stecher

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… Hoffentlich nimmt es mir niemand übel, wenn ein Zweig verdeckt war. Der Überblick ist gar nicht einfach. Aber das alles ist gewachsen, weil eben das Leben so bunt ist und die Notwendigkeiten und Bedürfnisse so vielfältig sind.

      Und doch muss ich das Gebet emporschicken, dass in all dem kein organisatorischer Leerlauf entstehe, und dass die Zweige nicht vergessen, dass sie zu einem Seitenast gehören, und der Seitenast, dass er aus einem Ast wächst, und der Ast, dass er aus einem Stamm kommt, und der Stamm, dass er nur aus einer Wurzel lebt, einer Tiefe.

       Die vielfältige Hilfe

      Noch ein weiterer Ast prägt und füllt die Baumkrone der Kirche Tirols, auch wenn er sich im Alltag meist bescheiden versteckt. Es ist der Ast des menschlichen und sozialen Helfens. Er war von Anfang an da, schon damals, als vor 2000 Jahren die Kirche noch eine winzige Staude war. Inzwischen hat er viele Zweige getrieben, auch hier bei uns. Zu ihm gehören die Mitarbeiter der Caritas, die pflegende Krankenschwester und die Familienhelferin, der Bruder-in-Not-Spender und die Sternsinger, die Betreuerin im Elisabethinum und die Altenpflegerin, das Engagement von „Frauen helfen Frauen“, der Solidaritätsfonds der KAB für schwer zu vermittelnde Jugendliche und die 35 Ortsgruppen des Vinzenzvereins, die emsige Arbeit des Sekretariats für Entwicklungshilfe und die Ferienangebote des Familienreferates, die Aktivitäten der Telefonseelsorge und das stille Wirken von „Rettet das Leben“, die Eheberatung, die Ehevorbereitung und der Arbeitskreis für Alleinerziehende …

      Der Ast des Helfens sprengt den Rahmen der Diözese: Woche für Woche liegen mir die Schecks zur Unterschrift vor: nach Sudan und Armenien, in den Sahel und nach Indien, in die Slums von Brasilien und das Elend auf den Philippinen, nach Kenia und in den Kamerun, nach Madagaskar und Peru …

      Was müsste ich diesem Zweig wünschen und erbitten? Dass seine Zweige immer wieder dorthin dringen, wo die Not in den Lücken der Gesellschaft und der Welt nistet? Und dass sich auf ihm keine Schmarotzerpflanzen niederlassen? Das auch. Vor allem aber, dass er immer durchpulst bleibe von jener Haltung des Dienens, die Christus uns allen eingeschärft hat.

       Die Glaubensbildung

      Je länger ich in den großen Baum hinaufschaue, umso mehr große Äste kommen in Sicht. Der nächste ist der Ast der Glaubensbildung. Auch er gehört in einer Diözese wie der unseren zu den Großstrukturen. Und das muss so sein – in einer Epoche des weltanschaulichen Vielerlei und der ethischen Verwirrspiele in der Gesellschaft, der Spannungen und gegenseitigen Vorwürfe im innerkirchlichen Raum, in einer Welt, in der eiskalte Rationalität und pseudomystische Geheimlehren nebeneinanderstehen. Glaubensbildung tut not.

      Es ist ein großer Ast. Da ist die Theologische Fakultät dieses Landes mit ihrem ganzen Wissenschaftsbetrieb, die Ausbildung der Lehrer und Katecheten, die Pädagogischen und Religionspädagogischen Akademien, das Religionspädagogische Institut, das die Religionslehrer fördernd begleitet, die Priesterfortbildung, die Bildungshäuser. Hierher gehört das Netzwerk des Katholischen Bildungswerkes, der Stephanusgemeinschaft, des Theologischen Fernkurses. An diesem Ast hängen Tausende von Schulklassen mit ihrem Religionsunterricht, seinen Chancen und seinen Problemen. Hierher gehört auch alles Mühen um das kirchliche Pressewesen und sein Niveau, vom „Präsent“ über die „Kirche“ bis zum kleinsten Pfarrblatt, von der Sendung der Kirche in den Massenmedien bis zur einfachen Sonntagspredigt.

      Was möchte ich zu diesem Ast als Gebet hinaufsenden? Dass auf ihm Glaubensfreude und Geistesschärfe, große Offenheit und tiefe Verwurzelung in der unvergänglichen Botschaft blühen mögen; und dass dieser Ast immer einen Raum von Freiheit in der Kirche finde, der wirklich nur beim Wildwuchs in die Lüge beschnitten wird.

       Die Berufungen

      Und weiters ist da noch der Doppelast der Berufungen. Auf der einen Seite gibt es viele Berufungen im Stand der Laien: Religionslehrer und Pastoralassistenten, Pfarrhelfer und Tischmütter, bewusstes Sich-in-den Dienst-Stellen als Frau und Mutter, Berufungen zu vielen Aktivitäten in all den genannten Ästen, zu Diensten wie Gottesdienstleiter, Firmhelfer und Kommunionhelfer, Berufungen zu ehrenamtlichen und hauptamtlichen Diensten. Ein neuer Zweig ist die Berufung des verheirateten Diakons. Er gedeiht zwischen der Astgabel und er gedeiht gut!

      Und dann ist da der Ast der geistlichen Berufe. Hier ist der Blattstand im Priesterseminar und in den Noviziaten dünn geworden. Der Blick auf die junge Generation der Priester und Schwestern sagt zwar, dass die, die durchgehalten haben, gesunde Blätter sind. Das muss auch einmal gesagt sein. Aber es sind zu wenig. Warum wohl? Auch den unter dem Baum sitzenden Bischof beschleicht oft die Ratlosigkeit. Liegt es an uns, den Zölibatären: Leiden wir unter einem Verlust an Strahlkraft? Liegt es daran, dass dieser Ast dem rauen Wind des Zeitgeistes besonders ausgesetzt ist? Oder lähmt der Wohlstand doch auch den Mut zum Verzicht? Oder will vielleicht der Herr der Kirche auch eine Entwicklung korrigieren, weil man lange Zeit nur den Ast klerikaler Berufungen in der Kirche gesehen hat? Oder haben wir doch streckenweise ein Manko an echter Frömmigkeit? Die Antwort ist wahrscheinlich so vielschichtig wie die Fragen.

      Ich weiß nur, dass ich zu diesem Ast der Berufungen heiße Gebete hinaufschicke, Dank für jede gelungene Berufung, Bitte um weitere. Auf beiden Ästen geht es nicht um die Zahl, letztlich nur um den Geist. Und dass dieser Geist und sein Feuer in junge Herzen strömen.

       Die Beter

      Und damit komme ich zum siebten und letzten Ast. Je mehr ich in die Baumkrone der Kirche von Innsbruck eindringe, umso öfter greife ich nach diesem Ast. Er ist der verborgenste aller Äste, doch wenn er fehlte, dann wäre der große Baum nur ein toter Riese, wie eine Zirbe, die der Blitz getroffen hat. Es ist der Ast der Beter.

      Er reicht vom Schweigen des Karmel bis zu den Meditationen junger Menschen, vom Wirken der Gebetskreise bis zum Kinderkreuzweg, von den Rosenkränzen in den alten Händen bis zum Chorgebet der Klöster, vom Priester, der zum Brevier greift, bis zur Wächterin vor dem Tabernakel, vom murmelnden Beten der Tausenden, die auf Wallfahrt gehen, bis zur Stille der Einkehrtage und Exerzitien. Zu diesem Ast gehören das Stammeln der Verzweifelten und der Jubel der Festmessen. Zu ihm gehören das Werk des Künstlers und das Jauchzen der Geigen.

      Wie die grünen Blätter eines Baumes die Sonnenenergie verwandeln, so holen die Beter für den ganzen Baum das Strömen der Gnade und das Walten des Geistes vom Himmel. Der Ast der Beter hat alle Kirchenkrisen, Glaubenskrisen und Gesellschaftskrisen überstanden. Und an diesem Ast hat in der Kirche immer der Frühling begonnen …

      Darum kann ich Gott nur bitten, dass er diesen Ast in Innsbrucks Kirche erhalte und entfalte. Vor aller Aktion nach außen muss immer die Wende nach innen da sein.

      Die Rast unter dem Baum geht zu Ende. Ich will es bei diesen sieben großen Ästen bewenden lassen. Wenn man sich ein wenig Zeit nimmt, in die große Baumkrone hineinzusinnen, kommt man darauf, dass in einer Diözese so vielfältiges Leben ist, so viel Freude und so viel Sorge, so viel Gewachsenes und so viel Bedrohtes, dass man vom Wissen um die eigene Unzulänglichkeit des Dienstes an diesem Baum überwältigt wird.

      Und es kommt eine große Dankbarkeit in mir auf gegenüber den vielen Händen, die sich da regen, und die vielen Herzen, auf die man bauen darf. Es überwältigt mich die Dankbarkeit gegenüber meinen Mitbrüdern im Priesteramt und im Dienst des Diakons, die so treu am Werke sind, und gegenüber den vielen Laien, die in so schwierigen Zeiten wie diesen zu dieser unserer Kirche stehen. Und darum stehe ich mit der Hoffnung auf, dass das Wort des Psalmisten auch für meine Kirche in Innsbruck gilt:

      

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