Der Ethikunterricht in Österreich. Anton A. Bucher

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Der Ethikunterricht in Österreich - Anton A. Bucher

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Jahre Schulversuch … genug sind und dass der Ethikunterricht endlich in das Regelschulwesen übernommen werden sollte.“8 Mehr als zwei Jahre sind vergangen. Ethik ist noch immer „Schulversuch mit open end“,9 mit 16 Jahren längst aus den Kinderschuhen raus, schon bald aus der Pubertät.

      Dieses Buch will eine „Bildungsgeschichte“ erzählen, die in vielem ein Skandal ist, allein deswegen, weil sie schon so lange dauert: die Noch-nicht-Einführung von Ethikunterricht an den österreichischen Schulen.10 Skandalös ist zudem, dass die meisten Gruppierungen, die an diesem Diskurs beteiligt waren und sind, in hehrer Rhetorik die Notwendigkeit ethischer Bildung beschwören – aber faktisch Eigeninteressen verfolgen. Geht es wirklich „nur“‘ um einen zweistündigen Unterrichtsgegenstand? Oder nicht um Grundlegenderes – das Verhältnis von Staat und Kirche? Dies umso mehr, weil Ethikunterricht nahezu ausschließlich in Relation zu Religionsunterricht diskutiert wurde und wird. Skandalös ist auch, dass eine Bundesministerin eine Evaluation in Auftrag gab, vor der Presse längst fällige Absichten kundtat11 – einen verbindlichen Lehrplan erstellen zu lassen, bevor Unterrichtsbücher auf den Markt kommen sollten (die dann doch publiziert wurden, ohne bundesweiten Lehrplan) –, aber hernach alles in die Schublade legte und nicht einmal offene Briefe beantwortete.12 Die Nachfolgerin Claudia Schmied wurde über die Existenz von Ethikunterricht und seine Evaluation nicht offiziell in Kenntnis gesetzt. Am skandalösesten ist, dass die ethische Bildung aller österreichischen SchülerInnen nicht Vorrang hat. Viele Potenziale von Ethikunterricht, die empirisch hinreichend belegt sind, wurden brach liegengelassen. Dafür sah sich eine mitregierende Partei veranlasst, für ihre Funktionäre „Ethikkurse statt Jagden“ einzufordern – so Vizekanzler Michael Spindelegger im Mai 2012.13

      Da eine Geschichte zu erzählen ist, fließen biographische Reminiszenzen ein und wird chronologisch verfahren, aber auch eine Gesamtschau des österreichischen Ethikunterrichts versucht.

      1.Zu Beginn die Vorgeschichte: wie in den Siebzigerjahren auch auf der „Insel der Seligen“ – so glorifizierte Papst Paul VI. die Alpenrepublik bei einem Besuch von Bundespräsident Jonas im November 1971 – die Forderung nach profanem Ethikunterricht erhoben wurde, und wie die Kirche diesbezüglich in den nächsten Jahrzehnten auf die Bremse trat, worauf der Staat, zu ethischer Bildung verpflichtet, in Untätigkeit verharrte.

      2.Erzählt wird sodann, wie LehrerInnen an der Basis aktiv wurden und ab dem Jahre 1997 die ersten Schulversuche lancierten, schwerpunktmäßig im Westen: Vorarlberg und Tirol. Welche Inhalte sehen Lehrpläne vor? Wie erlebten die SchülerInnen das neue Fach, das in den meisten EU-Staaten längst etabliert ist?

      3.Die offizielle Evaluation, vorgestellt am 15. November 2001 bei einem Pressefrühstück, gipfelte in der Empfehlung, Ethik ins Regelschulwesen zu überführen. Erstaunlich und nachdenklich stimmend, wie sehr Positionierungen des Unterrichtsministeriums von den Ergebnissen der Evaluation abwichen, die dieses selber in Auftrag gab.

      4.Obschon Ministerin Elisabeth Gehrer ausdrücklich weitere Schritte in Aussicht stellte (Lehrplan etc.), geschah vonseiten des Ministeriums nichts, aber viel Engagement an der Basis: kontinuierliche Zunahme der Schulstandorte mit Ethik bei gleichzeitiger Verunsicherung, ob die Versuche nicht doch eingestellt werden.

      5.Ein neuer Abschnitt in dieser unendlichen Geschichte begann mit dem offiziellen kirchlichen Placet zu Ethikunterricht als Alternative zu Religion, aber erst, nachdem die neue Unterrichtsministerin Schmied die Rute eines Ethikunterrichts für alle SchülerInnen ins Fenster gestellt hatte, was Religionsunterricht ausdünnen würde. Nach mehrfachen Ankündigungen wurde im Mai 2011 die parlamentarische Enquete durchgeführt, mit dem primären Ziel, die Relation Ethik- und Religionsunterricht zu bestimmen, und nicht grundsätzlich über ethische Bildung am Beginn des 21. Jahrhunderts nachzudenken.

      6.Konfessioneller Religionsunterricht gilt als Bestandteil der österreichischen Identität, fast ebenso unantastbar wie Walzer oder Berge. Aber ist er so konfessionell? Oder nicht schon längst ein Religionen- und Ethikunterricht (zumal in der gymnasialen Oberstufe), sodass grundsätzlich zu überlegen wäre, ob die rechtlichen Bestimmungen für dieses Fach nicht anachronistisch geworden sind.

      7.Kurz erzählt wird auch, wie im Frühjahr 2013 mehr als 1800 SchülerInnen Ethikunterricht erlebten, wie sie ihn benoteten, was sie in ihm taten und von ihm zu profitieren glauben: Mehr als erwartet!

      8.Abgeschlossen wird das Buch mit der Vision eines allgemein verpflichtenden Unterrichtsgegenstandes „Ethik und Religionen“, der idealiter in Kooperation zwischen Religionsgemeinschaften und Staat zu entwickeln wäre – eine gewaltige Herausforderung für Ökumene sowie dafür, ideologische Fixierungen in Richtung einer zukunftstauglichen ethischen Bildung aller jungen ÖsterreicherInnen zu transzendieren, wofür auch eine Neugestaltung des Konkordats in Kauf genommen werden könnte.

      1.Die Vorgeschichte des Ethikunterrichts

      Schule vermittelte „Ethik“ schon immer

      Wann ist mit dieser Geschichte zu beginnen? Letztlich im Jahre 1774, als Maria Theresia die allgemeine Schulpflicht einführte. Seitdem stellt sich das Problem, welches Ethos die Schule vermitteln soll, was aber nur selten auf dem Niveau philosophischer Ethik reflektiert wurde. Gemäß dem ersten Methodenbuch für Landschulmeister von 1777 sollen Schüler „fleißig, fromm, sittsam, vorzüglich gehorsam und ehrerbietig sein“.14 Ein weiteres wichtiges Jahr ist 1934, als in düsteren Zeiten das bis heute geltende Konkordat in Kraft trat,15 ohne Parlamentsbeschluss, unterzeichnet von Kardinal Pacelli, der als Papst Pius XII. schon bald das aus dem alten Persien stammende Machtsymbol der Tiara tragen sollte, und Bundeskanzler Dollfuß, der wenige Monate später von den Nazi-Putschisten ermordet wurde. Das Konkordat ist die Basis für das Religionsunterrichtsgesetz vom 13. Juli 1949 (RelUG), gemäß dem konfessioneller Religionsunterricht „Pflichtgegenstand“ ist, von dem Eltern ihr Kind abmelden können (von Bildnerischer Erziehung nicht), ab dem vollendeten vierzehnten Lebensjahr die SchülerInnen sich selber.16 Dieser Unterricht wird inhaltlich und personell von den Religionsgemeinschaften verantwortet, aber vom Staat bezahlt. In Ermangelung rechtlicher Grundlagen orientieren sich die Ethikschulversuche bis auf den heutigen Tag an diesem Bundesgesetz.

      Als Anfangsjahr wäre auch 1962 in Betracht zu ziehen. Während die USA und UdSSR um ein Haar in einen Atomkrieg taumelten, beschloss das österreichische Parlament jenen Satz, der redundant für die Rechtfertigung der Ethikschulversuche herangezogen wurde und wird: „Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen … mitzuwirken“ (§ 2, Abs. 1, SchOG)17. Damals, als ein Puch 500 und Urlaub in Jesolo erschwinglich wurden, gehörten 95 Prozent der ÖsterreicherInnen der katholischen Kirche an, knapp die Hälfte besuchte sonntäglich die Eucharistie und schaute kniend auf den Rücken des lateinisch zelebrierenden Priesters. Die meisten Kinder saßen im Religionsunterricht, dem Garanten nicht nur für religiöse Unterweisung, sondern auch für sittliche Bildung. In den Lektionen, oft von Kaplänen gehalten, erst vereinzelt von Laien, lasen die SchülerInnen im weit verbreiteten „Katholischen Religionsbüchlein“ von Wilhelm Pichler auch Sätze wie: „Doch wehe, wenn du eine schwere Sünde nicht bekennen wolltest! Denke ans Sterben, denke ans Gericht!“18

      Schon ein Jahrzehnt später, vier Jahre nach den in Österreich zahmen Studentenrevolten, präsentierte sich die Situation anders. Zu Schuljahresbeginn verteilten Jungsozialisten vor den Gymnasien Flugblätter an die religionsmündigen SchülerInnen: „Beginnt damit, den Religionsunterricht auszutrocknen. Massenhaft. Dann wird der Weg frei für einen kritischen Unterricht.“ Die Kärntner Jungsozialisten beschlossen am 18. September 1976 einstimmig die Forderung, „dass der Religionsunterricht an allen Schultypen verboten und abgeschafft wird“.19 Die Wiener Jungsozialisten forderten

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