Der Ethikunterricht in Österreich. Anton A. Bucher

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Der Ethikunterricht in Österreich - Anton A. Bucher

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      Das „katholische“ Bayern prescht vor

      1972 kann als Geburtsjahr von Ethikunterricht gelten, allerdings nicht in Österreich, sondern in Bayern. Auch im Freistaat mit den vielen Wegkreuzen und Wallfahrtsorten kehrten mehr und mehr SchülerInnen dem Religionsunterricht den Rücken, im Schuljahr 1969/70 um die dreißigtausend. Empirische Studien wiesen ihn als „unbeliebt“ aus, nicht nur weniger „modern“ als Geschichte, sondern „bedrückender“ als Mathematik, darüber hinaus „unbeweisbar“, „weltfremd“, „unklar“.21 Die Religionspädagogik reagierte, indem sie, an den Universitäten personell aufgestockt, die Ausbildung angehender ReligionslehrerInnen intensivierte: Nicht nur zwei Stunden Katechetik, sondern auch Lernpsychologie, Fachdidaktik, Medienpädagogik etc. Zusehends verschwand der Katechismus aus den Klassen, der für viele ChristInnen Inbegriff von Langeweile war, auch für den Dichter Gottfried Keller, der dessen Sätze „in ewigem Wiederkäuen“ habe auswendig lernen müssen.22 Religionsunterricht gab sich fortan als „problemorientiert“. Erörtert wurde seltener der Unterschied zwischen „lässlichen“ und „schweren Sünden“, sondern bspw. die Folgen gesellschaftsbedingter Frustrationen.

      Nachhaltig gestoppt wurde die Abmeldungsflut vom Religionsunterricht erst durch die Einführung von Ethikunterricht, zunächst in Bayern, dessen Verfassung vom 2. Dezember 1946 für die von Religion Abgemeldeten einen „Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze des natürlichen Sittengesetzes“ vorsah, sodann in Rheinland-Pfalz und sukzessive in allen Bundesländern, zuletzt in Nordrhein-Westfalen im Schuljahr 1997/98.23 Die Implementierung geschah „überstürzt“, zunächst an den Gymnasien, schließlich bis hinunter zur Grundschule. Und warum? Um zu gewährleisten, dass alle SchülerInnen die Goldene Regel oder den Kategorischen Imperativ verinnerlichen? Mitnichten. Kultusminister Hans Maier räumte ein: „Angesichts der leerwerdenden Klassen und um der guten Ordnung halber sollten diejenigen, die sich vom Fach Religion abgemeldet hatten, nicht einfach in den Cafés herumsitzen, zum Ärger der anderen Schüler, die noch bei der Stange geblieben waren.“24

      Ethik, um die Teilnahme an Religion zu stabilisieren? „Ziviler Ersatzdienst für die Gottlosen“, wie am 29. Dezember 1977 im „Stern“ zu lesen war? Der Nimbus, funktionalistisch den Religionsunterricht zu stützen bzw. die Abmeldungen zu reduzieren, haftet dem Ethikunterricht bis heute an, auch in Österreich. Dies wurde geradezu amtlich in der Presseaussendung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 15. November 2001, als die wesentlichen Ergebnisse der Evaluation (Abschnitt 3) präsentiert wurden: „Es gibt vielmehr Anlass zu der Annahme, dass durch den am Standort verpflichtenden Ethikunterricht die Jugendlichen sich eher weniger vom Religionsunterricht abmelden, das heißt, durch dieses Ethikunterrichtsangebot wird der Religionsunterricht eher gefestigt.“25 Verständlich, dass Religionsfreie dermaßen funktionalisierten Ethikunterricht kritisieren, aber auch EthikschülerInnen: „So wie Ethik zur Zeit in einigen Schulen betrieben wird, ist es meiner Meinung nach nur ein Mittel zum Zweck. Es wird versucht, die Schüler wieder dazu zu bringen, den Religionsunterricht zu besuchen.“26

      Die zaghafte Aufnahme der Diskussion in Österreich

      Zurück nach Österreich unter Bruno Kreisky und Kardinal Franz König. Ihnen gelang es, Sozialdemokratie und Kirche auszusöhnen, nachdem sie über Jahrzehnte mehr als distanziert waren. 1976, als die Pkws aufgrund des Erdölschocks ein Pickerl mit dem fahrtenfreien Tag vorweisen mussten, die Hochkonjunktur einbrach und die alleinregierende SPÖ alles daransetzte, die sozialen Errungenschaften zu bewahren (bspw. Heiratsgeld), sprach der Kanzler in der Frage des Religionsunterrichts ein Machtwort, nachdem Jungsozialisten mehrfach dessen Abschaffung gefordert hatten. Am 12. Oktober 1976 stellte er sich mit der Parteispitze hinter die Konkordatsverträge mit der Kirche und damit auch hinter das Bundesgesetz zum Religionsunterricht. Kardinal König erfüllte dies mit „Genugtuung“. Bei der nächsten Nationalratswahl, am 6. Mai 1979, erzielte die SPÖ mit 51 Prozent ihr bestes Ergebnis, sicherlich auch, weil sie viele Stimmen von Kirchennahen erhalten hatte.

      In der Folge wurde es um den Religionsunterricht ruhiger. Seine didaktische und methodische Qualität stieg an, die Unterrichtsbücher wurden bunter, die Inhalte lebensnaher, die Lektionen sinnlicher (Gitarre, African-American Spirituals, Farbstifte, Dias). Eine 1995 durchgeführte Befragung von 2700 SchülerInnen wies ihn als drittliebstes Fach aus.27 Die Abmeldungszahlen blieben, vor allem an den Pflichtschulen, im einstelligen Prozentbereich. Weiterhin wurden, zumal an ländlichen Schulen, vor Ostern Schulklassen geschlossen zum Beichtstuhl geführt, obschon Otto Glöckel mit seinem Erlass vom 10. April 1919 die Pflicht zur Teilnahme an religiösen Übungen aufgehoben hatte. Dennoch setzte sich die Säkularisierung fort und musste die Kirche Niederlagen einstecken, die bitterste im Jahre 1975, als die Fristenlösung in Kraft trat. Auch begann die Quote der KatholikInnen kontinuierlich zu sinken, auf mittlerweile 63 Prozent.28 Die sozioreligiöse Landschaft ändert sich aufgrund von Migrationsbewegungen und Kirchenaustritten weiterhin: deutlich steigende Quoten von Muslimen und Konfessionsfreien.

      Kontrovers wurde Ethikunterricht wieder zu Beginn der Neunzigerjahre. Ulrich Hemel, Religionspädagoge in Regensburg, schlug in der führenden österreichischen religionspädagogischen Zeitschrift „Christlich-Pädagogische Blätter“ auch für die Alpenrepublik vor, Ethikunterricht einzuführen.29 In der Bundesrepublik habe sich dieser bewährt, den Religionsunterricht nicht gefährdet und er trage dazu bei, dass sich alle Schüler grundlegende Werte aneignen können. Darauf antwortete – „nüchtern beruhigend“ – die Wiener Religionspädagogin Christine Mann: In Österreich würden die Uhren anders laufen, bei so hohen Teilnahmequoten sei Bedarf nicht gegeben, auch hätten die deutschen (!) Bischöfe gegenüber dem Ethikunterricht Zurückhaltung signalisiert.30

      Aber an der Basis intensivierten sich die Anstrengungen für Ethikunterricht. Der Wiener Religionslehrer Alfred Racek stellte im Namen des Wiener Katholischen Familienverbandes die Forderung: „Ethikunterricht statt Orientierungslosigkeit“31, insbesondere aufgrund der hohen Abmeldungsraten an höheren Schulen. Pater Albert Gabriel erarbeitete ein Konzept für einen solchen Unterricht, das an den Menschenrechten orientiert war – und wurde dafür von der kirchlichen Obrigkeit gerügt.32

      Kirche: Ja zu Ethikunterricht, aber nur als Ersatz

      Kirche und Politik konnten sich dieser Entwicklung auf Dauer nicht verschließen. Denkwürdig wurde das Treffen der katholischen Schulamtsleiter und einiger Bischöfe im Stift Aigen-Schlägl vom 14. bis 16. Juni 1993, an dem eine oft zitierte Erklärung beschlossen wurde. Es sei zwar nicht die primäre Aufgabe der Schulamtsleiter, „einen solchen Ersatzunterricht einzufordern“, der aber „im Interesse einer humanen Gesellschaft gelegen sein muss“, sodass „kirchlicherseits … die Bereitschaft zu einem konstruktiven Dialog in dieser Frage jederzeit gegeben (ist).“

      Ausdrücklich beharrten Kirchenvertreter darauf, Ethikunterricht nur als „Ersatzfach“ gelten zu lassen. Als der Wiener Stadtschulpräsident Kurt Scholz im Jahre 1996 diesen Unterricht als „Alternative“ andachte, handelte er sich Unmut ein, speziell vonseiten des Erzbischöflichen Amtes für Erziehung und Unterricht: „Uns ist wichtig, dass es Ersatzfach genannt wird. Dann sind wir dafür, dass jene Schüler, die sich vom katholischen Religionsunterricht abmelden, dieses andere Pflichtfach besuchen müssen.“33 Die Bezeichnung „Ersatzfach“ ist symptomatisch für den Hegemonialanspruch der Kirche in ethischer Bildung. Wer spielt schon gern Ersatz? Dieser Anspruch ist umso problematischer, als viele ethische Standards der Moderne – etwa Gewissensfreiheit – der Kirche abgetrotzt werden mussten. Und „Ersatzfach“ – worauf die der Kirche nahestehende ÖVP bis heute drängt – ist insofern problematisch, als Ethik Religion weder ersetzen kann noch will. Und: Ethikunterricht kann für jene Schüler unmöglich ein Ersatz sein, die bekenntnisfrei

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