Land oder Leben. Claudia Heuermann
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Diese Geschichte erzählt von unseren Erlebnissen und Abenteuern in den nordamerikanischen Catskill Mountains, die von Juli 2011 bis Juni 2018 unser Zuhause waren – wenngleich die Chronologie im Buch zugunsten der Dramaturgie hier und da ein wenig abweicht. Auch sind dem Erzählfluss und der Spannung zuliebe manchmal zwei Ereignisse zu einem geworden, während ich Geschehnisse, die für den Verlauf der Geschichte unwichtig schienen, ausgespart habe. Alle Orte und Institutionen sind real, die Namen der Hauptpersonen jedoch habe ich zum Schutz ihrer Privatsphäre geändert.
PROLOG
Da ist es wieder, dieses Geräusch. Ein kratzendes, schabendes Quietschen, als würde Metall zerrissen. Ich schaue auf den Wecker und sehe, dass es zwei Uhr morgens ist. Absolute Dunkelheit liegt über dem Land, dichte Wolken verdecken Mond und Sterne vollkommen.
Plötzlich herrscht Grabesstille. Jetzt rascheln nicht einmal mehr die Blätter an den Bäumen. Die Kojoten in der Ferne sind verstummt, keine Eule ist zu hören. Doch dann kehrt das unheimliche Geräusch zurück, lauter diesmal und ausdauernder.
Ich steige aus dem Bett. Es ist kühl im Schlafzimmer des alten Bauernhauses, der raue Holzboden knarrt unter meinen Füßen. Ich halte den Atem an und lausche.
Jemand macht sich am Haus zu schaffen. Am Haus, das einsam im Wald in den Bergen liegt, fast einen Kilometer vom nächsten Nachbarn entfernt. Irgendetwas wird aufgerissen und zerstört, so hört es sich an. Ich bin hellwach, und während ich spüre, wie mein Herz bis zum Hals schlägt, schließe und verriegele ich alle Fenster in meiner Nähe. Ich suche nach dem Lichtschalter – da höre ich es! Ein lang gezogenes Kreischen, das von draußen kommt, ohrenbetäubend hoch, laut und markerschütternd, selbst durch die geschlossenen Fenster.
Ein Todesschrei. Dann ein dumpfer Schlag, als würde Holz zerbrechen, Metall stößt gegen Metall, etwas Großes kippt um. Dazwischen mehr Gekreische, und schlagartig wird mir alles klar. Ich laufe auf den Flur und schreie: »Ein Bär! EIN BÄR!! Da draußen ist ein Bär! Hilfe! Hilfe, die Tiere, schnell!!«
In der dunklen Küche greife ich nach Töpfen und Pfannen, und auf der anliegenden Terrasse schlage ich die stählernen Kochutensilien mit solch einer Wucht zusammen, dass es in meinen Ohren klingelt. Ganz in der Nähe ist ein Scheppern zu hören. Splittern von Holz. Ein lautes Krachen wie von umfallenden Bäumen. Dann nichts mehr.
Inzwischen ist auch Tom aufgestanden. Er schaltet das Küchenlicht an und reibt sich verschlafen die Augen.
»Was ist los, was machst du da? Was soll denn dieser Lärm mitten in der Nacht?«, fragt er müde und desorientiert.
Mein Herz rast, mir ist schlecht vor Angst und Sorge.
»Ich glaube, er ist riesig!« Mit stockender Stimme erkläre ich, was ich gehört habe, was ich vermute und dass ich das Schlimmste befürchte. Ich kann meine Tränen nicht zurückhalten und bitte Tom, nach draußen zu gehen, um nachzuschauen. Was ist passiert am Waldrand, beim Stall, an der Scheune? Ich würde ja selbst gehen, fürchte mich nicht vor dem Bären. Doch ich habe Angst vor dem grausigen Anblick, der dort draußen bestimmt auf mich wartet. »Bitte, bitte geh und guck«, flehe ich.
Tom schaut mich unschlüssig und etwas besorgt an, knöpft dann aber seinen Schlafanzug zu und greift nach einer kleinen Taschenlampe. Barfüßig tritt er durch die Seitentür auf die Wiese neben dem Haus. Sekunden später ist er verschwunden, die Dunkelheit scheint ihn verschluckt zu haben.
Es ist totenstill. So still, dass ich mein hämmerndes Herz wahrnehme, sonst ist absolut kein Mucks zu hören. Ich stehe auf der Terrasse und starre in die Finsternis.
»Tom?«
Dann höre ich ein Knacken. Rascheln. Schnaufen. Es klingt ganz nah. Ich schrecke herum. War das Tom?
Die Hecke rechts neben der Terrasse bewegt sich. Sicherheitshalber lasse ich Topf und Pfanne noch einmal aufeinanderkrachen, der Lärm hallt durch die Nacht. Nun sehe ich etwas weiter links den Lichtkegel von Toms Lampe.
»Hast du ihn gesehen?«, rufe ich nervös.
»Nein.«
»Geh näher zum Wald«, dränge ich.
Doch nach einigen weiteren Schlenkern mit der Lampe kommt er zurück. »Da ist nichts, alles ist ruhig. Vielleicht hattest du nur wieder einen deiner schlechten Träume. Komm, ich glaube, du solltest zurück ins Bett gehen.« Er verschwindet in Richtung Schlafzimmer, die Füße voller Gras und Erde.
Ich bleibe in der Küche stehen, immer noch mit Topf und Pfanne in der Hand. Meine Wangen sind feucht, das Adrenalin pulsiert durch meinen Körper. Ich bin durcheinander und weiß nicht, was ich denken soll. Was, wenn es tatsächlich nur ein Traum war, wie letztes Mal? Aber die Geräusche schienen doch so echt zu sein! Plötzlich komme ich mir albern vor und stelle das Kochgeschirr zurück auf den Herd. Bestimmt hat Tom recht – sonst hätte er ja irgendwas gehört und gesehen, oder? Ich möchte es glauben und will auf keinen Fall raus, um selbst nachzusehen. Für eine Weile schaue ich nach draußen in die stille Dunkelheit, dann gehe ich langsam zurück ins Bett und spüre, wie mein Puls sich beruhigt. Erschöpft schlafe ich ein.
Am nächsten Morgen werde ich von den aufgeregten Stimmen meiner Söhne geweckt: »Mama, komm schnell! Der Hühnerstall ist total kaputt, eine ganze Wand ist weg«, ruft Phillip.
»Und überall sind Federn – ich glaub, da ist was Schlimmes passiert«, fügt Paul atemlos hinzu.
Kein Traum.
Schweren Herzens ziehe ich mich an, und als ich draußen bin, sehe ich schon von Weitem das Ausmaß der Verwüstung. Der Hühnerstall, der in einiger Entfernung am Waldrand steht, ist halb eingerissen, dicke Holzplanken liegen verstreut, die stabilen Tür- und Fenstergitter sind zerfetzt, zerdrückt und gefaltet, als wären sie aus Papier.
Ich möchte nicht näher kommen und laufe trotzdem weiter, an Federhaufen vorbei, blutigen Fleischfetzen, aufgerissenen Tierkörpern. Mindestens neun Hühner wurden getötet, manche komplett verspeist, zu identifizieren nur noch an den zurückgebliebenen Federn, einige übel zugerichtet, von zweien fehlt jede Spur. Henni und Blacky. Goldie und Hedwig, Hedwig mit den prächtigen weißen Federn. Nichts Weißes ist mehr da, nur noch etwas rot-braun Verklebtes.
In mehreren der Federhaufen befindet sich ein Eigelb, und mir fällt eine Zeile aus einem Kinderbuch vergangener Tage ein: ›Jedes legt noch schnell ein Ei, und dann kommt der Tod herbei.‹ Unfertige Eier in diesem Fall, in Panik, im letzten Kampf ausgeschieden.
Ich kann nicht verhindern, dass mir die Qual und Pein der Tiere, ihr Schrecken durch den Kopf geht, und gleich darauf folgt das Schuldgefühl. Hätte ich sie nicht retten können, retten müssen? Hätte ich nicht mehr tun müssen, um sie zu beschützen? Wenn ich nur die Geräusche richtig gedeutet hätte, früher auf der Terrasse gewesen wäre, einen Stall aus Stein gebaut hätte …
Die toten Körper meiner geliebten und einst so lebendigen Tiere lassen mich an die Endlichkeit des Lebens denken. Obwohl es nur Hühner sind, stelle ich mir vor, wie das Leben aus ihnen gewichen ist. Wie aus dem Lebendigen eine leere Hülle wurde, etwas Totes, ein Klumpen Fleisch.
Ich spüre, dass an diesem Morgen ein Wendepunkt in meinem Leben und in unserem Abenteuer in der Wildnis erreicht ist.