Land oder Leben. Claudia Heuermann

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Land oder Leben - Claudia Heuermann

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verlor. Die Nächte verbrachten wir auf einsamen Campingplätzen im Wald, in der Wildnis, die genauso aussah wie die, von der ich immer geträumt hatte.

      Unterwegs hielten wir nach Häusern Ausschau, die zum Verkauf standen, zu erkennen an rot-weißen Plastiktafeln mit der Aufschrift ›FOR SALE‹. Die Schilder steckten an der Straße im Gras, hingen an Zäunen oder in Fenstern, und tatsächlich gab es erstaunlich viele davon. Wir notierten Telefonnummern, machten zahlreiche Anrufe und trafen uns mit verschiedenen Maklern, die uns eine ganze Reihe von Objekten in unserer bescheidenen Preisklasse präsentierten, darunter Abbruchhäuser, Geräteschuppen und ein Pferdestall.

      Letztendlich benötigten wir noch zwei weitere Jahre, mehrere Reisen in die Wildnis und ein zusätzliches Darlehen, um das Abenteuer beginnen zu können.

      Das Objekt unserer Wahl war ein heruntergekommenes Bauernhaus aus dem Jahr 1830, mit großer Scheune und einem Steinbrunnen, hoch gelegen in den Catskill Mountains, ein paar Autostunden nördlich von New York City. Ich konnte mir sofort vorstellen, wie hier vor zweihundert Jahren die Farmer ihren Acker bestellt und ihre Tiere versorgt hatten. Trotz blätternder Farbe, Sprüngen in den Scheiben und verwahrlostem Garten strahlte das Anwesen Magie aus – es kam mir vor wie ein Fenster in eine andere Zeit. Das Haus mit seinem klassischen Giebel, den verschachtelten Räumen, den vielen verstrebten Fenstern und hölzernen Läden liebte ich auf den ersten Blick. Von tiefem Wald umringt, von Bächen und Teichen gesäumt, erreichbar über einen verschlafenen, mit Apfelbäumen bestandenen Feldweg – es war perfekt!

      Zum Haus gehörte eine große Terrasse, von der aus man einen atemberaubenden Weitblick über die rollenden Berge der Catskills und über das Flusstal des Esopus hatte, der an dieser Stelle ins gewaltige Ashokan Reservoir mündete. Natur, so weit das Auge reichte, kein Zeichen von Zivilisation, wohin man auch schaute. Knapp zweihundert Kilometer nördlich von New York City, inmitten eines riesigen Naturschutzgebietes nahe dem legendären Woodstock, lag unser neues Zuhause – zwar nicht ganz in Kanada, aber fast!

      Preislich konnten wir es uns gerade so leisten, und doch waren die Kosten, verglichen mit den Immobilienpreisen in der Stadt, ein Witz. Peanuts, wie der Amerikaner sagen würde. Natürlich war das Haus renovierungsbedürftig, schlecht isoliert, ein paar Leitungen waren undicht, und das Dach musste erneuert werden. Aber all das sollte ja Teil des Abenteuers werden.

      Wir besiegelten den Kauf mit der eifrigen Unterstützung eines jungen Anwalts aus Woodstock, ohne den wir die unkonventionelle Prozedur nie durchschaut hätten. Doch Jeff, immer gut gelaunt und in seiner Freizeit Imker, wusste auf jede Frage eine Antwort und fand für jedes Problem eine Lösung. Mit seiner Hilfe waren alle nötigen Formalitäten letztendlich leichter und schneller erledigt als gedacht.

      Mit Urkunden und Papieren in der Tasche kehrten wir als stolze Hausbesitzer nun erst einmal zurück in die alte Heimat, um unsere Zelte abzubrechen. Wir kündigten unsere Wohnung, beauftragten eine Spedition mit dem Transport unserer bescheidenen Habseligkeiten und verabschiedeten uns von all unseren Freunden. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

      2. KAPITEL

      ANKUNFT UND NIEDERKUNFT

      Ich glaube, heute ist der Tag gekommen. Leila wollte schon am Morgen nicht raus. Jetzt steht sie mit gekrümmtem Rücken in der Ecke und gibt eigenartige Geräusche von sich. Es klingt wie ein Wimmern, und ich frage mich, ob sie Schmerzen hat. Sie dreht den Kopf, verdreht ihre schönen bernsteinfarbenen Augen und schaut mich flehend an. ›Tu was‹, scheint sie zu sagen. Ich bin nervös und weiß nicht, ob ich zu ihr gehen soll, ob sie meine Unterstützung oder lieber ihre Ruhe haben will. Ich bin mindestens so unruhig wie sie, es ist für uns beide das erste Mal. Hektisch beginne ich, die nötigen Sachen zusammenzusuchen. Plastikhandschuhe. Antibakterielle Flüssigseife. Saubere Handtücher. Jod. Auch einen Eimer mit warmem Wasser stelle ich bereit. Ich gebe Leila einen dicken braunen Vitamincocktail zur Stärkung – so steht es im Buch. Dann heißt es: warten.

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      Es ist nun fast ein Jahr her, dass wir unser Bauernhaus bezogen haben und mit Leidenschaft in das neue Leben eingetaucht sind. Dabei waren die ersten Wochen und Monate angefüllt mit Renovierungsarbeiten. Das undichte Dach des alten Hauses musste gedeckt, Kabel und Leitungen repariert werden. Auch die teils verrottete Außenfassade benötigte sofortige Aufmerksamkeit, in den Wänden schimmelte es bereits. Wir reparierten so viel wie möglich selbst, nur für einige wenige Spezialarbeiten ließen wir Experten kommen. Es gab nämlich nicht allzu viele Fachkräfte in der Gegend, und die wenigen, die es gab, kamen entweder immer zu spät, oder sie tauchten gar nicht erst auf. Wie Chuck, der langhaarige Dachdecker, der schon morgens nach Alkohol roch und eine Seite unseres Giebels mit Schindeln versah, doch dann nicht mehr gesehen ward. Sein Geld holte er auch nie ab (Rechnungen und Banküberweisungen stellten sich generell als unpopulär heraus), und wir konnten nur mutmaßen, was ihm wohl widerfahren war.

      »Vielleicht hat er einen besseren Job gefunden«, spekulierte der vierjährige Paul.

      »Oder er ist vom Dach gefallen«, argwöhnte Phillip.

      »Unsinn, sicher hat er so viel Arbeit, dass er nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht«, stellte Tom klar.

      Ich enthielt mich eines Kommentars. Wir nahmen die Dinge selbst in die Hand, und obwohl es anstrengend war, sich um alles zu kümmern und dabei auch noch die Kinder zu versorgen, erfüllte uns die Arbeit mit Freude und Glück. Hier angekommen zu sein, den eigenen Hof aufzubauen und die Zukunft zu gestalten fühlte sich großartig an. Wir hatten es gewagt, fühlten uns frei und stark – und konnten alles schaffen!

      Tom erneuerte neben dem Dach die hölzerne Fassade samt blätternder Außenfarbe, während ich Innenwände und Decken reparierte und sämtlichen Räumen einen neuen Anstrich verpasste. Die zerbrochenen Glasscheiben wurden ersetzt, und danach brachten wir Kamin, Terrasse und schließlich auch die Scheune auf Vordermann. Da in der Wildnis keine Wasserleitungen verlegt waren, hatten wir eine eigene Quelle und Sickergrube. Zum Glück stellte sich hier alles als einigermaßen intakt heraus, und die sanitären Anlagen waren benutzbar. Die Stromversorgung funktionierte zu Beginn zwar nicht, eine Überlandleitung musste repariert, die Verbindung zum Haus hergestellt werden, doch da wir im Sommer einzogen, ließ sich damit leben – der Elektriker war bestellt.

      Bis dahin kochten wir über dem Feuer im Garten, gingen bei Sonnenuntergang schlafen und lebten im Rhythmus der Natur. Ich freute mich auf jeden neuen Morgen, freute mich darauf, die von der aufgehenden Sonne rot angeleuchteten Berge zu bestaunen und den Tag mit Tom und einem Bad im Fluss zu beginnen. Das Wasser des Esopus war kalt und glasklar, man konnte die bemoosten Steine auf dem Grund genau erkennen, ebenso wie die kleinen Forellen, die pfeilschnell hin und her flitzten. Zu dieser frühen Stunde hingen noch Nebelfetzen über dem Wasser und zwischen den Bäumen, und die kleine Bucht, die wir gleich zu Anfang für uns entdeckt hatten, bekam etwas absolut Magisches. Nach der morgendlichen Erfrischung tranken wir bitteren Cowboykaffee und frühstückten Äpfel direkt vom Baum. Und dann hämmerten, pinselten, spachtelten und schliffen wir wieder, bis es dunkel wurde.

      Es waren aufregende, intensive und schöne Wochen, und an manch einem Abend sanken Tom und ich uns nach getaner Arbeit glücklich und erfüllt in die Arme, spürten die warme Erde unter unseren Körpern und waren uns und der Natur so nah wie nie zuvor.

      »Hörst du das?«, wollte ich an einem dieser Abende wissen.

      »Hmm. Klingt wie eine Banshee.«

      »Das war irgendein Tier.«

      Wir lagen eng umschlungen im Dunkeln auf der Wiese neben unserem Haus, die warme Luft roch nach Lagerfeuer und geschnittenem

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