Land oder Leben. Claudia Heuermann
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Es herrschte stickige, muffige Stille. Die Dunkelheit war undurchdringlich, kompakt und fühlte sich fast an wie ein Wesen, ein Untier, das mich zu bedrängen schien. Selbst für jemanden, der nicht klaustrophobisch ist, war dies ein extremer Ort. Ich klemmte mir eine der Lampen zwischen die Zähne, schaltete sie ein und begann langsam und auf allen vieren vorwärts zu kriechen. Dabei musste ich mich unter Balken und durch Zwischenräume zwängen, die kaum größer waren als ich selbst. Dennoch schaffte der Lichtkegel es selten, die hintersten Ecken auszuleuchten, die mit Schleiern von Spinnenweben und Staub verhangen waren.
Ich kroch weiter. Immer tiefer hinein in die dichte Dunkelheit. Unter meiner Hand spürte ich einen Widerstand, etwas zersplitterte. Ich richtete die Taschenlampe nach unten. Knochen, ein kleiner Schädel, wahrscheinlich von einer Maus. Weiter ging es, ganz langsam, und mit der Zeit verlor ich die Orientierung.
Dann hörte ich von irgendwoher ein Geräusch. Ich konnte nicht sagen, woher es kam. War es nah oder weit weg? War es überhaupt im selben Raum? Oder kam es von draußen? Ich wusste es nicht. Ich wusste aber, dass ich mich weit vom Eingang entfernt hatte, von der Luke und damit der Sicherheit.
Da war das Geräusch wieder, und jetzt erkannte ich es: Popp. Popp. Popp. Die Schritte, die Sprünge. Ich konnte immer noch nicht sagen, aus welcher Richtung sie kamen, aber sie klangen näher, als mir lieb war. Ich verharrte unbeweglich, und mir wurde auf einmal klar, was für eine schlechte Idee diese Unternehmung doch war. Ich hatte nichts mitgenommen, um mich zu schützen oder zu verteidigen, nicht einmal feste Handschuhe oder Ähnliches angezogen. Was, wenn das Wesen, das hier herumsprang, mich angreifen würde? Wenn es Junge hatte, die es zu beschützen galt, oder wenn es krank war?
Jetzt stand mir der kalte Schweiß auf der Stirn, und ich bemerkte, dass ich keinen schnellen Rückzug antreten konnte. Ich begann, mich auf den Knien rutschend umzudrehen, doch es war schon zu spät. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Gestalt vorbeihuschen, am Deckenbalken krabbelnd, ein wendiges Wesen, wie ein Schatten, seltsam und flink. Kopfüber verschwand es aus meinem Blickfeld, dem Lichtkegel – wohin, ich wusste es nicht.
Panik überkam mich. Kleine schwarze Gestalten, kopfüber an der Decke, so was kannte ich nur aus Horrorfilmen – wie der Babadook sah das Ding aus! Alle rationalen Inhalte verschwanden aus meinem Kopf, es gab nur noch einen Gedanken: Flucht! Bloß schnell raus hier, nur weg! Ich kroch, so schnell ich konnte, zurück Richtung Luke. Da versperrte es mir plötzlich den Weg. Klein, dunkel, teuflisch, mit riesigen Augen, die das Licht der Taschenlampe reflektierten.
Ich schrie auf, die Lampe fiel mir aus dem Mund, und das Wesen verschwand in der Dunkelheit. Ich weiß nicht mehr, wie ich die letzten Meter zurücklegte, aber ich schaffte es bis zur Luke, öffnete sie, fiel, mehr als dass ich kletterte, in die darunterliegende Kammer und wischte mir Schweiß und Spinnweben aus dem Gesicht.
Ich schloss die Luke über mir, und bei Licht betrachtet, konnte ich nicht glauben, dass ich mich so erschrocken hatte. Ich hatte die Gestalt erkannt. Wusste nun, wer im Dunkeln auf dem Dachboden hauste. Ich war da oben einem flying squirrel begegnet, einem Flughörnchen!
Es war eindeutig wieder einer dieser Fälle, die einen Fachmann erforderten. Sofort rief ich bei Pestmaster Services in Woodstock an, und schon am nächsten Tag kam Bradley vorbei, der seltsamste Mensch, der mir je begegnet war. Creepy war das Wort, das ihn am besten beschrieb. Er sah ein bisschen aus wie Tom Selleck von der Serie Magnum, benahm sich jedoch weit weniger charmant. Er bewegte sich wie eine Schlange, verrenkte seinen Kopf, schlich hin und her und fuhr ständig herum, als würde er sich erschrecken. Dann wieder stand er einfach nur da, schien auf etwas zu lauschen, was niemand sonst hören konnte, und ich fragte mich, was ihm wohl schon alles in seiner Berufslaufbahn widerfahren war. Wenn Bradley sprach, krochen näselnd-singende, fragende Sätze aus seinem Mund.
»Das wird nicht einfach, hmm?«
»Okay, erklären Sie mir mehr.«
»Das sind viele da oben, zu viele, nehme ich an?«
»Deswegen habe ich Sie ja angerufen.«
»Die kommen da nicht einfach raus, nicht alle, verstehst du?«
»Ich weiß nicht, Sie sind der Experte, Sie sollen das Problem lösen.«
»Sie haben da ihre Nester, für ihre Familien?«
»Keine Ahnung.«
»Mütter mit Jungen?«
»Ach so.«
»Kot und Urin, siehst du die Flecken an der Decke?«
»Verstehe.«
»Die Löcher müssen wir finden, willst du sehen, was ich im Auto habe?«
Das wurde mir jetzt irgendwie unheimlich. Tom war in Woodstock, sonst hätte er das regeln können, aber so ging ich eben mit Bradley zum Auto, wo er ein ausgestopftes Flughörnchen aus seiner Werkzeugtasche holte. Er begann, es leidenschaftlich zu streicheln.
»Ich habe sie zu Hause, meine Schmusetiere, siehst du?«
Genug davon. Ich wollte gar nicht mehr wissen. Ich ließ mir einen Kostenvoranschlag geben, verabschiedete mich und beschloss, dass Tom bei Bradleys nächstem Termin zu Hause sein würde.
Bradley kam noch zweimal, schlängelte herum, stopfte das eine oder andere Loch in der Außenfassade und unterm Dach, doch an den nächtlichen Geräuschen änderte das nichts. So nahmen wir letztendlich auch dieses Problem selbst in die Hand, und von nun an waren unsere Abende und Nächte gefüllt mit dem Einfangen der kleinen, nachtaktiven Nager, die übrigens mit den Eichhörnchen verwandt sind. Mit Käfigfallen und Erdnussbutter fingen wir jede Nacht mindestens zwei der niedlichen squirrels, um sie dann viele Kilometer entfernt, auf der anderen Seite des Ashokan Reservoirs, wieder freizulassen. Dabei war es jedes Mal spektakulär, zu sehen, wie die Tiere den nächstbesten Baum erklommen, in Sekundenschnelle zur Spitze kletterten und von dort aus losglitten. Die Beine gespreizt, die Flughäute gespannt, segelten sie graziös durch die Luft und schnell außer Sichtweite. Ich glaubte fest, dass sie um diese Jahreszeit keine Babys auf unserem Dachboden zurückließen.
Neben Bradley mussten wir in diesen Tagen noch einen weiteren Fachmann konsultieren, und zwar Hank, den Schornsteinfeger. Obwohl wir Holzofen und Kamin auf Vordermann gebracht hatten, stimmte etwas mit dem Abzug nicht, und wir wollten keinen Kaminbrand und schon gar keine Kohlenmonoxidvergiftung riskieren. Ich vermutete, dass die Flughörnchen irgendwo dort ihre Nester gebaut hatten, aber nur Hank konnte das klären. Hank war riesig, passte kaum durch die Tür und konnte Leitern und Werkzeuge mit einem Finger tragen. Er inspizierte den Ofen und den Kamin, konnte jedoch das Problem nicht gleich finden und bat um Zugang zum Dachboden, damit er den Schornstein auf Beschädigungen untersuchen konnte. Ich warnte ihn, aber er stieg hinauf.
Es dauerte keine zehn Minuten, bis ich ein ohrenbetäubendes Getöse und Gepolter vernahm. Es hörte sich an, als würde ein Teil des Hauses einstürzen, und so ähnlich war es auch, wie ich kurz darauf mit eigenen Augen sah. Das ganze Schlafzimmer lag voller Schutt und Staub, Holzteile und Mörtelbrocken bedeckten Boden und Möbel, und in der Decke klaffte ein großes Loch.
Hank, der Riese, stand auf dem Bett, mitten im Chaos. »Sie haben mich angegriffen«, stieß er fassungslos