Land oder Leben. Claudia Heuermann
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Am Anfang meiner Recherchen plante ich, eine Kuh in die Scheune zu stellen. Ich kam von dieser Idee jedoch schnell wieder ab, nachdem ich verschiedenen Erfahrungsberichten entnahm, wie schwer es ist, eine Kuh artgerecht zu halten, wie viel Arbeit und wie viel Milch – viel zu viel für eine Familie – eine Kuh mit sich bringt. Klimaschonend sind Kühe ja auch nicht gerade, und wenn ich wirklich konsequent und umweltbewusst sein wollte, konnte ich von meinem Grundstück aus keine methangeladenen Kuhfürze in die Atmosphäre schicken, fand ich.
Nein, der Ratschlag aller erfahrenen Kleinbauern in der näheren und weiteren Umgebung lautete: Ziegen. Die seien viel ökonomischer, einfacher zu halten und zu versorgen, und man könne unter den verschiedenen Rassen eine auswählen, die in Sachen Milchgeschmack und -menge genau die persönlichen Bedürfnisse befriedigte. Die allgemeine Auffassung, dass Ziegenmilch nach Ziege schmeckt, sei ein Gerücht, ließ ich mich belehren, und gesünder sei sie allemal. Ganz zu schweigen von den köstlichen Käsen, die man daraus machen konnte.
Also begab ich mich auf die Suche. Ich schaute mir Nubier mit Schlappohren und hohem Butterfettgehalt an und Oberhaslis mit Stehohren und mittlerem Fettgehalt. Es gab auch Lamanchaziegen ganz ohne Ohren, aber mit besonders schmackhafter Milch, oder winzige Pygmäenziegen, die immer noch leicht eine ganze Familie mit Milch versorgen konnten.
Schließlich fiel meine Wahl auf zwei Saanenziegen. Diese alpine Rasse, benannt nach einer Schweizer Gemeinde, ist bekannt für ihre Freundlichkeit, für schneeweißes Fell, Stehohren und einen relativ niedrigen Fettgehalt in der Milch. Sehr schön sahen unsere beiden Exemplare außerdem aus, fast wie wilde Bergziegen. Sie hießen Leila und Nelly, und ich fand sie in einem orthodoxen Kloster in Otego, einem kleinen Ort im Norden des Bundesstaates New York. Dort lebte eine Gruppe Nonnen abgeschieden mit ihren Tieren, züchtete, pflegte, molk und gewann Nahrungsmittel.
Sie taten genau das, was ich nun auch vorhatte, und bei meinem ersten Besuch lernte ich bereits, wie man Hufe beschnitt, den unvermeidlichen Wurmbefall mithilfe der FAMACHA-Karte überwachte, was in der Ziegennotfallapotheke alles vorhanden sein musste und wie wichtig es war, auf ein frisch ausgestelltes CAE-Zertifikat zu achten, um sich auf keinen Fall ein Tier mit ansteckender Capriner Arthritis-Enzephalitis in den Stall zu holen.
Zugegeben, das hatte ich mir irgendwie einfacher vorgestellt, doch Sister Pamela zeigte und erklärte mir alles geduldig. Sie war eine herzliche und sehr resolute Nonne, mit rotem, rundem Gesicht und Jeanskutte unter dem weißen Schleier, und meine anfängliche Befangenheit verflog schnell. Das Kloster sah auch nicht aus wie eine heilige Stätte, sondern eher wie ein Bauernhof, mit vielen Weiden, Ställen und Feldern. Frauen in schwarzen Habits arbeiteten in den großen Gärten, grüßten, lachten, und überall liefen Ziegen, Schafe und Hühner umher. Es war eine kleine, idyllische Oase, und außer der Tracht erinnerte kaum etwas an die strenge Religiosität der Bewohner. Lediglich einige Kreuze und Marienstatuen, dezent auf schmalen Anrichten platziert, sowie religiöse Bilder an den Wänden zeigten mir, wo ich war, als ich das Zimmer der Mutter Oberin betrat.
Mother Katherine empfing mich mit offenen Armen und einem Glas Ziegenmilch, das übrigens ganz hervorragend süß und frisch und kein bisschen ziegig schmeckte. Sie entschied schließlich nach einem langen Gespräch, dass ich würdig war, zwei ihrer geliebten Ziegen zu besitzen. Für je zweihundert Dollar – und das war ein guter Preis, denn die reinrassigen Tiere kosteten eigentlich doppelt so viel. Leila und Nelly hatten einige Lücken im Stammbaum, weswegen ich sie zum halben Preis bekam.
»Jetzt gucken wir uns mal die Jungs an«, sagte Sister Pamela, als wir wieder im Stall waren, »die sind nämlich gerade heiß.« Sie erzählte mir, dass sich die beiden Böcke in der Brunst befanden und jetzt die Zeit zum Decken am besten sei. »So kommen die Jungen im Frühjahr zur Welt, das ist natürlich, so funktioniert es in der Natur.«
Also statteten wir D’Arcy und Doodle einen Besuch ab, und oh, ihr Gestank und Benehmen passten wirklich überhaupt nicht in ein Kloster. Die beiden sahen zwar prächtig aus mit ihrem langen weißen Fell und den geschwungenen Hörnern, doch die Ausdünstungen, die sie verströmten, waren so intensiv, dass ich es kaum aushalten konnte. Ich musste an die frische Luft!
»Wir müssen die beiden getrennt halten, denn sie sind verrückt nach den Mädels. Und du riechst es ja, sie stinken gen Himmel. Das wäre nicht gut für die Milch, wenn sie da in die Nähe kämen.«
Doodle und D’Arcey rumorten in ihren Ställen herum, gaben interessante Grunzlaute von sich und schienen wie elektrisiert zu sein.
»Ja, sie lieben die Paarungszeit«, klärte mich Sister Pamela auf. »Meist müssen sie auch mehrmals am Tag ran. Gleich ist es wieder soweit, das ahnen sie schon. Zwei der Mädchen sind bereit.« Sie grinste verschmitzt. »Sex ohne Ende, und dann noch all die Kunden, die ihre Mädels zum Bedecken bringen – da geht’s oft richtig rund, in unserem Liebesnest der ewigen Lust«, tönte es aus dem Mund der enthaltsamen Ordensfrau.
Ich verabschiedete mich etwas überstürzt und verließ den Stall in einer Wolke aus Ziegenbockaroma, das mir garantiert noch Tage anhängen würde. Es wurde ja schon dunkel, und ich hatte noch einen weiten Weg vor mir. Außerdem hatte Leila ihr Abenteuer mit Doodle bereits hinter sich, als ich sie ins Auto springen ließ – ohne Nachwuchs würde sie schließlich keine Milch produzieren, hierin sind sich alle Säugetiere gleich. Nelly, die Jüngere, hatte noch ein Jahr Zeit bis zu ihrem Liebesurlaub und kam vorerst lediglich zur Gesellschaft mit.
5. KAPITEL
DAS WESEN HINTER DER WAND
Die Ziegenschwangerschaft dauerte fünf Monate, während der wir die kalte Seite des Landlebens kennenlernten. Der farbenfrohe Indian Summer ging zu Ende, es wurde kühl und grau, und die Pflanzen um uns herum verdorrten. Die Landschaft sah mit jedem Tag brauner und farbloser aus, und die Wildgänse begannen, gen Süden zu ziehen. Ihre keilförmigen Formationen am Himmel, die sich schon vor ihrem Auftauchen durch die lauten, klagenden Rufe ankündigten, erfüllten mich mit Wehmut.
Als die Tage kürzer wurden, schrumpfte auch die Begeisterung für unser neues Leben merklich. Aber natürlich mussten Farmarbeit und Tierpflege bei Dunkelheit und Minusgraden trotzdem erledigt werden. Zum ersten Mal in meinem Leben bekam ich Frostbeulen an den Füßen, weil der Boden so kalt und das Haus so schlecht isoliert war.
Etwa um diese Zeit hörten wir die Geräusche zum ersten Mal. Die Schritte hinter der Wand. Immer nachts zur selben Zeit, wie ein huschendes Laufen, aber lauter. Die Wand hinauf, dann über uns in der Zimmerdecke. Popp, popp, popp – fast wie ein Hopsen, als würde jemand über unseren Köpfen Seilspringen. Irgendetwas war mit uns im Haus. Ein Tier, glaubten wir. Aber welches? Ein Waschbär oder ein Wiesel vielleicht? Ein Opossum oder Ratten? Gab es eigentlich Ratten hier in der Wildnis? Ich wusste es nicht, und unsere Upstate N.Y. Wildlife Encyclopedia sagte nichts dazu. Ich musste es selbst herausfinden.
Hinten im Kinderzimmer gab es eine kleine Kammer, von der aus eine hölzerne Luke in den Dachboden des alten Hauses führte. Es war wie der Eingang in eine unheimliche, verbotene Welt. Wir hatten einmal mit Schaudern hineingeguckt und die Luke schnell wieder verschlossen. Stockdunkel war es da oben, es roch nach jahrhundertealtem Staub, Schimmel und Mäusedreck, und man konnte sich nur kriechend auf dünnen Holzplanken ins Innere des niedrigen Raumes begeben.