Land oder Leben. Claudia Heuermann
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»Huh-hu-hu-huuarrr«, klang es wieder, viel näher als vorher.
Ich versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, schaute in die Richtung, aus der das Heulen gekommen war. Nichts. Nur die Schatten der Bäume konnte ich ausmachen, wie eine schwarze Wand ragte der Wald in einiger Entfernung auf. Ich hatte plötzlich genug vom Draußensein.
»Lass uns reingehen, okay?« Ich stand auf und sammelte unruhig meine Sachen ein.
Da war es wieder. Eindringlich und laut. Diesmal kam es von oben.
»Ich hab’s doch gesagt, es ist ein Geist«, rief Tom halb erschreckt und halb amüsiert, als ein großer schwarzer Schatten über uns hinwegsegelte.
Wir vernahmen hier viele nie gehörte Geräusche, furchterregend zuerst, dann aber immer vertrauter. Wie diesen gruseligen Schrei des Streifenkauzes. Und das noch unheimlichere Heulen der Kojoten, die manchmal bis zum Haus kamen. Wenn sie mit ihrem Rudel, mit ihren Familien kommunizierten, dann schallte es wie ein hohes Jammern, manchmal wie ein gespenstisches Lachen oder auch wie menschliches Schreien durch die Nacht. Und dann war da dieses lang gezogene, laute und klägliche Pfeifen, von dem wir erst später lernten, dass es von winzigen Baumfröschen, den spring peepers, herrührte, die so ihre Weibchen anlockten.
Manche der nächtlichen Rufe und klagenden Schreie haben wir nie identifizieren können, aber wir wussten, dass es hier Luchse, Füchse, Bären und angeblich sogar Berglöwen gab.
Ich warte noch immer, eine Ewigkeit scheint vergangen. Leila steht unverändert, nun schon seit über einer Stunde, nur ihr Stöhnen und Wimmern ist zu hören. Ab und an stampft sie auf den Boden. Dann geht ein Ruck durch ihren Körper. Ich bemerke, dass ein schleimiger Faden aus ihrem Hinterteil heraushängt, auch Blut ist zu sehen. Es geht los.
Im Kopf gehe ich alles durch, was ich zuvor in meinem Ratgeber gelesen habe. Ich kann mir plötzlich überhaupt nicht vorstellen, im Fall einer Komplikation in die Vagina zu greifen, um das Baby umzudrehen oder dessen Beine zu ordnen. Was, wenn irgendetwas schiefgeht? Bitte, lass alles gut gehen, schicke ich ein Stoßgebet zum Himmel, während ich nervös und voller Spannung erwarte, was als Nächstes passieren wird.
Schon kurz nach unserem Einzug hatten wir festgestellt, dass es im Haus Schlangen gab. Anders als die Luchse, Füchse, Bären und Berglöwen schienen sie die menschliche Nähe und besonders unseren Keller zu mögen, und es dauerte nicht lange, bis Tom dort eines Abends die erste Begegnung machte. Er wollte Werkzeuge hochholen und trat fast auf das eingerollte Reptil, das in einer dunklen Ecke lag. Wir waren nicht schlangenkundig genug, um auf Anhieb zu erkennen, ob es sich um eine Giftschlange oder eine harmlose Gartennatter handelte, aber nach genauerer Betrachtung und einigem Blättern in unserem Tierführer beschlossen wir, uns lieber nicht zu nähern. Im Buch stand nämlich, dass es giftige Vipern in dieser Gegend gab, copperheads, die auch oft in der Umgebung von Menschen zu finden waren, da sie deren Holzhaufen und Steinmauern gern als Unterschlupf nutzten. Wir lasen, dass der Biss dieser weit verbreiteten nordamerikanischen Giftschlange zu den schmerzhaftesten Schlangenbissen überhaupt gehört, mit Nervenstörungen, Schwellungen, Übelkeit und Erbrechen einhergeht, zum Glück aber selten tödlich ist. Das war tröstlich.
Im trüben Licht der Kellerlampe glaubte ich, den dreieckigen Kopf erkennen zu können, ebenso wie die charakteristische ockerbraune Färbung mit den kupferroten Streifen. Was, wenn dieses Tier nach oben in die Wohnräume gelangte? Wenn es in die Spielkisten der Kinder kroch oder in die Küchenschränke? Oder gar in die Betten, da war es doch am wärmsten! Was sollten wir denn jetzt machen?
Verscheuchen? Bloß nicht! Es einfangen! Oder? Aber wie? Jemanden anrufen! Nein, einen Sack finden! Bloß keinen Sack, einen Eimer. Nein, eine Axt! Schnell!
Die Schlange lag friedlich zusammengerollt auf dem steinigen Boden, während wir hektisch und ohne festen Plan die Kellertreppe hinauf und hinunter liefen. Schließlich ging ich nach oben, um nach den Kindern zu sehen, während Tom draußen nach der Axt suchte, doch als wir uns kurz darauf wieder im Keller trafen, fehlte von der Schlange jede Spur.
Die Geburt hat begonnen. Leila schnauft laut, läuft nun herum, dreht sich, und hinten ist bereits ein Teil der Fruchtblase sichtbar. Ich sehe zwei kleine Hufe darin und bin erleichtert. So soll es sein, das Baby liegt richtig herum, die Vorderbeine kommen zuerst. Jetzt kann ich auch einen winzigen Ziegenkopf erkennen, eingezwängt zwischen den kleinen Beinchen, und dann geht alles ganz schnell. Das Junge gleitet heraus, fällt ins frische Stroh, die Fruchtblase platzt. Alles ist voll Fruchtwasser und Blut, aber Leila dreht sich um und beginnt, das Kleine abzulecken. Gut so. Ich helfe ihr mit Handtüchern, tauche das Ende der abgerissenen Nabelschnur in einen Becher mit Jod, desinfiziere den ganzen Babybauch und schaue dabei auch nach dem Geschlecht des Zickleins. Männlich. Und da eine kleine Ziege selten allein kommt, geht es gleich weiter: Die nächste Fruchtblase erscheint, wieder sehe ich kleine Hufe, wieder atme ich auf. Leila legt sich während des gesamten Geburtsvorgangs nicht einmal hin, erledigt alles im Stehen und Gehen, und bald ist auch die zweite kleine Ziege da, weiblich diesmal. Ich trockne und desinfiziere auch sie und helfe beiden kleinen Tieren, das pralle Euter der Mutter zu finden. Das Euter mit dem lebensnotwendigen Kolostrum und der nahrhaften Milch, die sie zum Start ins Leben brauchen. Blutverkrustet ist es noch, alles ist schleimig und klebrig, doch schon bald werde auch ich die weiße Flüssigkeit aus diesem beutelartigen Organ quetschen, werde sie trinken und zu Käse, Butter und Joghurt verarbeiten.
Ich packe die inzwischen ausgeschiedene Nachgeburt – einen Klumpen bläuliches, glitschiges Fleisch – in eine Plastiktüte und entsorge sie im Müll, obwohl mir das irgendwie falsch vorkommt. Manche Tierbesitzer lassen ihre Ziegen die eigene Plazenta fressen, was diese aus Instinkt tun, da in freier Wildbahn das blutige Fleisch hungrige Raubtiere anlocken würde. Das kommt mir in dieser Situation aber noch falscher vor, also weg damit. Ich räume auf, wische mit dem Handtuch alle Tiere noch einmal ab, gebe Leila Futter und verteile einen halben Ballen Heu – dann ist die Arbeit hier für heute getan, und es dauert nur wenige Stunden, bis die flauschigen weißen Zicklein munter durch den Stall springen.
3. KAPITEL
EIN TIERISCHES ABENTEUER
Drei Monate nach unserer Ankunft hatten wir die Renovierung des Hofes weitestgehend abgeschlossen und konnten auf eine schmucke kleine Farm schauen: ein Haus wie aus dem Bilderbuch, in frischem Weiß, mit dunkelgrünen Fensterläden, umringt von Ahorn und Magnolien, Buchsbaum- und Rosenhecken. Auf den umliegenden Wiesen standen unsere Obstbäume voller saftiger Äpfel und Pfirsiche, und der große Garten war mit Tigerlilien, Schafgarben und wilden Kräutern übersät. Auch Gemüse sollte dort bald wachsen.
In der Zwischenzeit hatte Tom einen Job als art handler im dreißig Kilometer entfernten Woodstock angenommen, der uns finanziell über die Runden half und ihm trotzdem noch genug Zeit zum Schreiben ließ, während ich mich ganz der Farmarbeit und den Kindern widmen wollte.
Für Paul und Phillip war dies hier natürlich das Paradies. Sie lebten in einem Abenteuerurlaub ohne Ende, alles war aufregend und spannend, es gab so viel zu sehen, zu erforschen und zu erobern. Alte Bäume, Bäche, Felsen und Höhlen. Pfade im gründämmrigen Dickicht, von denen man nur ahnen konnte, wer sie ausgetreten hatte. Versteckte Lichtungen, steinige Buchten am nahen Fluss. Die Kinder konnten endlich all die Dinge tun, die