Maigret und die Schleuse Nr. 1. Georges Simenon

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Maigret und die Schleuse Nr. 1 - Georges  Simenon Georges Simenon

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füllte den Sessel ganz aus, und weil er die Füße auf ein besticktes Kissen hochgelegt hatte, wirkten die Beine kürzer, als sie waren.

      »Also, was hat man Ihnen erzählt?«

      Er hatte die Gewohnheit, beim Sprechen schnelle Blicke durchs Fenster auf die Schleuse zu werfen, und plötzlich brummte er:

      »Meine Güte! Die lassen tatsächlich einen von Poliet et Chausson überholen!«

      Maigret sah, wie ein beladener Kahn mit gelbem Anstrich langsam in die Schleusenkammer einfuhr. Ihm folgte ein weiterer Lastkahn, der mit einem blauen Dreieck gekennzeichnet war. Drei oder vier Leute gestikulierten wild und schienen sich gegenseitig zu beschimpfen.

      »Alle Schiffe mit blauen Dreiecken gehören mir«, erklärte Ducrau. Dem Mädchen, das wieder hereinkam, zeigte er einen Stuhl.

      »Stellen Sie Flasche und Gläser da drauf. Hier geht es ungezwungen zu, Herr Kommissar. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Ich wüsste gerne, was man sich über den Fall erzählt.«

      Hinter seiner scheinbaren Gutmütigkeit versteckte sich eine gewisse Bosheit, die immer deutlicher wurde, je länger er Maigret ansah, vielleicht, weil der Kommissar ebenso breit und schwer war wie er, allerdings größer, und weil sein Schweigen in dieser Wohnung wirkte wie ein mächtiger, unverrückbarer Steinblock.

      »Der Bericht ist mir heute Morgen vorgelegt worden«, sagte er.

      »Und haben Sie ihn gelesen?«

      Die Eingangstür öffnete sich, jemand kam durch den Vorraum und betrat das Zimmer. Es war eine magere, trübselig aussehende Frau um die fünfzig. Sie hatte ein Einkaufsnetz in der Hand und entschuldigte sich:

      »Pardon, ich wusste nicht …«

      Maigret hatte sich schon erhoben.

      »Madame Ducrau, nehme ich an? Es freut mich, Sie kennenzulernen.«

      Sie begrüßte ihn verlegen und zog sich rasch wieder zurück. Man hörte sie mit dem Dienstmädchen sprechen, und Maigret lächelte erneut, denn er stellte sich die Einzelheiten der morgendlichen Szene nun noch deutlicher vor.

      »Meine Frau hat es nie geschafft, sich den Haushalt abzugewöhnen«, murmelte Ducrau. »Sie könnte sich zehn Hausangestellte leisten, wenn sie wollte, aber sie geht lieber selbst zum Markt.«

      »Sie haben, nehme ich an, als Führer eines Schleppkahns angefangen?«

      »Ich habe so angefangen, wie jeder hier anfängt: im Kesselraum. Die Kiste hieß L’Aigle. Sie wurde mir übergeben, als ich die Tochter des Besitzers geheiratet habe. Sie haben sie eben gesehen. Inzwischen ist die Aigle-Serie auf vierundzwanzig Stück angewachsen. Allein hier im Hafenbecken liegen zwei, die heute nach Dizy rauffahren, und fünf sind von dort zu uns unterwegs. Alle Lotsen in den beiden Bistros da unten arbeiten für mich. Ich habe schon achtzehn Kähne dazugekauft, Fleutschiffe und zwei Schwimmbagger.«

      Seine Augen verengten sich, bis sie nur noch Maigrets Augen im Blick hatten.

      »Ist es das, was Sie wissen wollten?«

      Und Richtung Tür brüllte er:

      »Ruhe da drüben!«

      Es galt den beiden Frauen, deren Gemurmel ins Zimmer drang.

      »Auf Ihr Wohl! Man hat Ihnen sicher gesagt, dass ich eine Belohnung von zwanzigtausend Franc ausgesetzt habe, wenn die Polizei meinen Angreifer findet. Ich nehme an, dass man mir darum einen besonders guten Mann geschickt hat. Was beobachten Sie da?«

      »Nichts Besonderes. Den Kanal, die Schleuse, die Schiffe …«

      Der leuchtend helle Fensterausschnitt zeigte eine ungeheure Lebendigkeit. Von oben wirkten die Kähne besonders schwer, als steckten sie in zu dickem Wasser fest. Ein Mann stand in einer Barke und teerte den grauen, zwei Meter aus dem Wasser ragenden Rumpf seines Schiffs. Hunde liefen umher, in einem Drahtkäfig flatterten Hühner, und die blonde junge Frau putzte die Messingbeschläge auf Deck. Leute kamen und gingen über die Tore der Schleuse, und die Schiffe, die stromabwärts fuhren, schienen einen Moment zu zögern, bevor sie sich der Strömung der Seine überließen.

      »Kurz und gut, das alles gehört sozusagen Ihnen?«

      »Nicht alles, das wäre übertrieben. Aber jeder, den Sie dort sehen, hängt in gewisser Weise von mir ab, vor allem seit ich die Kalksteinbrüche oben in der Champagne aufgekauft habe.«

      Die Möbel der Wohnung ähnelten denen, die in Auktionshäusern aufgehäuft werden, um sie samstags an die kleinen Leute zu verramschen, die günstig einen gebrauchten Tisch oder eine Waschschüssel erstehen wollen. Aus der Küche drang der Geruch gebratener Zwiebeln und das Zischen heißer Butter herein.

      »Eine Frage, wenn Sie erlauben. Im Bericht steht, dass Sie sich bis zu dem Moment, als man Sie aus dem Wasser gefischt hat, an nichts erinnern können.«

      Ducrau schnitt bedächtig die Spitze einer Zigarre ab.

      »Wann genau bricht Ihre Erinnerung ab? Können Sie mir zum Beispiel sagen, was Sie vorgestern Abend gemacht haben?«

      »Meine Tochter und ihr Mann waren zum Abendessen da. Er ist Infanteriehauptmann in Versailles. Sie kommen jeden Mittwoch.«

      »Sie haben auch einen Sohn?«

      »Ja, er studiert an der École des Chartes. Er ist selten hier, denn ich habe ihm ein Zimmer im 5. Arrondissement besorgt.«

      »Sie haben ihn also an dem Abend nicht gesehen?«

      Ducrau ließ sich Zeit mit der Antwort. Er behielt Maigret im Blick, und während er an seiner Zigarre zog, bedachte er jede Frage, die ihm gestellt wurde, und jedes Wort, das er aussprach.

      »Hören Sie, Herr Kommissar, ich will Ihnen etwas Wichtiges sagen, und ich rate Ihnen, es zu berücksichtigen, wenn Sie wollen, dass wir uns verstehen. Mimile lässt sich nicht so leicht für dumm verkaufen! Mimile, das bin ich. So hat man mich genannt, als ich erst einen einzigen Schlepper hatte, und manche Schleusenwärter in der Haute-Marne kennen mich bis heute nur unter diesem Namen. Verstehen Sie mich? Ich bin genauso schlau wie Sie. Und in dieser Geschichte bin ich es, der zahlt! Ich bin es, der angegriffen wurde! Und ich bin es, der Sie hat kommen lassen!«

      Maigret zuckte mit keiner Wimper, aber innerlich freute er sich: Zum ersten Mal seit Langem saß er jemandem gegenüber, dessen Bekanntschaft zu machen sich wirklich lohnte.

      »Trinken Sie. Nehmen Sie eine Zigarre. Stecken Sie sich auch ein paar in die Tasche. Ich bitte darum! Machen Sie Ihre Arbeit, aber keine fiesen Tricks. Als die Leute von der Staatsanwaltschaft gestern bei mir waren, spazierte auch ein Gockel von Untersuchungsrichter hier herum, mit seinen cremefarbenen Handschuhen, als hätte er Angst, sich zu beschmutzen. Bitte sehr! Da habe ich ihm gesagt, dass er den Hut abnehmen und das Rauchen unterlassen soll, während ich ihm meinen Rauch ins Gesicht gepustet habe. Verstehen Sie? So – und nun höre ich Ihnen zu.«

      »Jetzt habe ich eine Frage an Sie. Bleiben Sie bei Ihrer Anzeige? Ja? Und liegt Ihnen wirklich etwas daran, dass ich den Schuldigen finde?«

      Über Ducraus Lippen huschte ein Lächeln. Statt die Frage zu beantworten, murmelte er:

      »Und weiter?«

      »Das

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