Philosophisches Taschenwörterbuch. Voltaire

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Philosophisches Taschenwörterbuch - Voltaire

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stattdessen einfach zu Philonous sagen sollen: »Wir wissen nichts über das Wesen dieses Dinges, dieser ausgedehnten, festen, teilbaren, beweglichen, geformten usw. Substanz. Ich kenne sie genauso wenig wie das denkende, empfindende und wollende Subjekt; aber dieses Subjekt existiert deshalb nicht weniger, da es wesentliche Eigenschaften besitzt, die man ihm nicht nehmen kann.«

      Uns allen geht es dabei wie den meisten Pariserinnen: Sie essen gerne gut, ohne zu wissen, woraus die Gerichte bestehen. Ebenso erfreuen wir uns an den Körpern, ohne zu wissen, woraus sie sich zusammensetzen. Woraus besteht denn ein Körper? Aus Teilen, und diese Teile teilen sich wiederum in andere Teile auf. Und was sind dann diese letzteren Teile? Immer noch Körper. Wir teilen unaufhörlich und kommen doch nie voran.

      Schließlich entdeckte ein scharfsinniger Philosoph, dass ein Gemälde aus Bestandteilen besteht, von denen keiner ein Gemälde ist, und ein Haus aus Materialien, von denen keines ein Haus ist, und stellte sich (auf eine etwas andere Weise) vor, dass die Körper aus unendlich vielen kleinen Wesen bestehen, die keine Körper sind; diese nennt man Monaden.* Dieses System hat manches für sich, und wenn es geoffenbart wäre, würde ich wahrscheinlich daran glauben. Alle diese kleinen Wesen wären mathematische Punkte, eine Art Seelen, die nur auf ein Gewand warteten, um hineinzuschlüpfen. Das wäre eine beständige Seelenwanderung, eine Monade schlüpfte bald in einen Walfisch, bald in einen Baum, dann wieder in einen Falschspieler. Dieses System ist nicht schlechter als andere; ich mag es ebenso gerne wie die Bewegungsabweichungen der Atome, die substantiellen Formen; die versatile Gnade und die Vampire von Dom Calmet.*

      DE LA CHINE – Über China

      Wir holen Erde aus China, als hätten wir keine, dazu Stoffe, als fehlten uns welche; ein winziges Kräutlein, um es dann mit Wasser aufzugießen, so, als ob wir in unseren Breitengraden keine Heilkräuter hätten.* Zum Lohn dafür wollen wir die Chinesen bekehren,* was zwar ein sehr löblicher Eifer ist, aber man sollte ihnen nicht ihr Altertum wegnehmen wollen und ihnen sagen, dass sie Götzendiener sind.* Fände man es tatsächlich gut, wenn ein Kapuziner, der in einem Schloss der Herzöge von Montmorency freundlich aufgenommen wurde, ihnen einreden wollte, dass sie, ebenso wie die Sekretäre des Königs, zum frischgebackenen Adel gehören, und er sie des Götzendienstes beschuldigte, bloß weil er in ihrem Schloss zwei oder drei Statuen der obersten Heerführer vorfand, denen man tiefen Respekt zollte?

      Der berühmte Wolff, Mathematikprofessor an der Universität von Halle, hielt einmal einen sehr guten Vortrag zum Lob der chinesischen Philosophie;* er lobte diese alte Menschenart, die sich von uns durch den Bart, die Augen, die Nase, die Ohren und die Argumentationsweise unterscheidet; er lobte, sage ich, die Chinesen dafür, dass sie einen höchsten Gott verehren und die Tugend lieben; er ließ den Kaisern Chinas Gerechtigkeit widerfahren, den Koalos*, den Gerichten, den Gebildeten. Die Gerechtigkeit, die man den Bonzen zukommen lässt, ist von anderer Art.

      Man muss wissen, dass dieser Wolff tausend Studenten aus allen Nationen nach Halle lockte. Es gab aber an der gleichen Universität einen Theologieprofessor namens Lange, der niemanden anlockte; dieser Mann wollte nun, aus Verzweiflung darüber, dass er in seinem Hörsaal alleingelassen vor Kälte erfrieren könnte, aus gutem Grund den Mathematikprofessor beseitigen; er versäumte also nicht, wie es bei Leuten seinesgleichen üblich war, ihn zu beschuldigen, dass er nicht an Gott glaube.

      Einige europäische Schriftsteller, die niemals in China gewesen waren, hatten nun behauptet, die Regierung in Peking sei atheistisch. Wolff hatte die Philosophen von Peking gelobt, also war Wolff ein Atheist; Neid und Hass führen niemals zu den besten logischen Schlüssen. Diese Argumentation von Lange, unterstützt von einer Intrige und einem Gönner, wurde vom König des Landes als überzeugend befunden, woraufhin er dem Mathematiker ein jedem philosophischen Dilemma genügendes Schreiben zusandte; dieses Dilemma ließ ihm die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, nämlich entweder Halle innerhalb von 24 Stunden zu verlassen oder aber gehängt zu werden. Und da Wolff sehr folgerichtig urteilte, verfehlte er nicht abzureisen; seine Amtsaufgabe kostete den König zwei- oder dreihundert Taler pro Jahr, die dieser Philosoph durch den Zustrom seiner Schüler dem Königreich eingebracht hatte.

      Dieses Beispiel soll den Herrschern deutlich machen, dass man nicht immer auf Verleumdungen hören und einen großen Mann der Wut eines Dummkopfes opfern sollte. Doch kommen wir zu China zurück.

      Was tun wir eigentlich, wenn wir, die wir am Rande des Abendlandes wohnen, uns mit Verbissenheit und Unmengen von Beschimpfungen darüber streiten, ob es vor dem chinesischen Kaiser Fo-hi vierzehn andere Herrscher gab oder nicht, und ob dieser Fo-hi dreitausend oder zweitausendneunhundert Jahre vor unserer gewöhnlichen Zeitrechnung lebte? Ich wünschte mir, dass in Dublin zwei Irländer darauf verfielen, sich darüber zu streiten, wer im 12. Jahrhundert wohl den Grund und Boden besessen hat, der heute mir gehört; ist es nicht einleuchtend, dass sie sich dann an mich wenden müssten, da ich derjenige bin, der die Urkunden in Händen hält? Meiner Meinung nach verhält es sich mit den ersten Kaisern Chinas ebenso, man muss sich an die Gerichte im Lande selbst wenden.

      Streitet euch doch so viel ihr wollt über die vierzehn Herrscher, die vor Fo-hi regierten, euer schöner Streit wird letztlich nur beweisen, dass China damals ein sehr volkreicher Staat war und dass dort die Gesetze herrschten. Nun frage ich euch, ob eine so wohlgefügte Nation, die Gesetze und Herrscher hat, nicht ein ungeheures Alter voraussetzt. Denkt einmal darüber nach, wie viel Zeit es braucht, bis das einzigartige Zusammentreffen von Umständen dafür sorgt, dass man die Lagerstätten des Eisens findet, es in der Landwirtschaft anwenden kann, das Weberschiffchen erfindet und alle die anderen Künste.

      Diejenigen, die Kinder auf dem Papier zeugen, haben eine sehr lustige Berechnung angestellt. Der Jesuit Petau schätzt die Erdbevölkerung 285 Jahre nach der Sintflut auf hundertmal mehr Bewohner, als man heute anzunehmen wagt. Cumberland und Whiston haben ähnlich seltsame Berechnungen angestellt;* diese guten Leute hätten nichts anderes tun müssen, als sich einmal die Personenstandsregister unserer Kolonien in Amerika anzusehen, sie wären sehr erstaunt gewesen und sie hätten gelernt, wie wenig sich die Menschheit doch vermehrt, und dass sie sehr oft abnimmt, anstatt sich zu vermehren.

      Lassen wir also, wir, die wir erst von gestern sind, wir Nachkommen der Kelten, die wir gerade die Wälder unserer wilden Gegend gerodet haben, lassen wir doch die Chinesen und Inder in Frieden ihr schönes Klima und ihr Altertum genießen. Hören wir vor allem auf, den Kaiser von China und den Suba von Dekkan Götzendiener zu nennen;* dazu muss man kein fanatischer Anhänger der Verdienste der Chinesen sein; denn die Verfassung ihres Kaiserreiches ist in Wahrheit die beste, die es auf der Welt gibt, die einzige, die vollständig auf der väterlichen Autorität beruht (was die Mandarine nicht daran hindert, ihren »Kindern« kräftige Stockschläge zu versetzen); es ist die einzige, nach der der Gouverneur einer Provinz bestraft wird, wenn er aus dem Amt scheidet und das Volk ihm nicht zujubelt; die einzige, die Preise für die Tugend ausgesetzt hat, während überall sonst die Gesetze sich damit begnügen, das Verbrechen zu bestrafen; und die einzige, welche ihre Bezwinger dazu brachte, ihre Gesetze zu übernehmen, während wir noch immer den Bräuchen der Burgunder, der Franken und der Goten anhängen, die uns bezwungen haben. Aber man muss zugeben, dass das einfache Volk, das von den Bonzen regiert wird, ebenso spitzbübisch wie bei uns ist, dass man dort den Fremden, genauso wie bei uns, alles so teuer wie möglich verkauft; dass sich die Chinesen in den Wissenschaften auf einem Stand befinden, wo wir vor zweihundert Jahren waren; dass sie wie wir tausend lächerliche Vorurteile haben, dass sie an Talismane und die Voraussagen der Astrologie glauben, wie wir das auch lange Zeit getan haben.

      Geben wir auch noch zu, dass sie über unser Thermometer erstaunt waren, über unsere Methode, Flüssigkeiten mit Salpeter zum Gefrieren zu bringen, und über alle Experimente von Torricelli und Otto von Guericke,* ganz so erstaunt, wie wir es waren, als wir zum ersten Mal diesen physikalischen Vorführungen beiwohnten; fügen wir noch hinzu, dass ihre Ärzte nicht mehr tödliche Krankheiten heilen als die unseren und dass in China ebenso wie bei uns die Natur die kleinen Wehwehchen ganz alleine heilt; aber all das ändert nichts an der

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