Philosophisches Taschenwörterbuch. Voltaire
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CATÉCHISME CHINOIS – Chinesischer Katechismus
oder
Gespräche zwischen Zisi, einem Schüler des Konfuzius, mit dem Fürsten Gu, Sohn des Königs von Lu, Tributpflichtiger des chinesischen Kaisers Gnenvan, 417 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Ins Lateinische übersetzt von Pater Fouquet, ehemals Jesuit. Das Manuskript befindet sich in der Vatikanischen Bibliothek, Nummer 42759.
GU
Was muss ich darunter verstehen, wenn man mir sagt, ich solle den Himmel (Shangdi) anbeten?
ZISI
Das ist nicht der materielle Himmel, den wir sehen; denn dieser Himmel ist nichts anderes als Luft, und diese Luft wiederum setzt sich aus sämtlichen Ausdünstungen der Erde zusammen. Es wäre heller Wahnsinn, Dämpfe anzubeten.
GU
Es würde mich jedoch nicht überraschen. Mir scheint, die Menschen haben noch viel größere Torheiten begangen.
ZISI
Das ist wahr: Doch Sie sind dazu bestimmt, zu regieren, Sie müssen Bescheid wissen.
GU
Es gibt so viele Völker, die den Himmel und die Planeten anbeten!
ZISI
Die Planeten sind nur Erdkugeln wie die unsrige. Der Mond zum Beispiel täte genauso gut daran, unseren Sand und unseren Dreck anzubeten, wie wir vor dem Sand und dem Dreck auf dem Mond auf die Knie gehen.
GU
Was soll es dann heißen, wenn man sagt: Himmel und Erde, zum Himmel aufsteigen, des Himmels würdig sein?
ZISI
Man gibt enormen Unsinn von sich.* Es gibt keinen Himmel. Jeder Planet ist von seiner Atmosphäre wie von einer Schale umgeben und beschreibt im Raum eine Bahn um seine Sonne. Jede Sonne ist das Zentrum mehrerer Planeten, die beständig um sie kreisen. Es gibt keine Höhen und Tiefen, noch ein Aufsteigen oder Absteigen. Sie sehen sicher ein, dass es eine überspannte Äußerung wäre, wenn die Bewohner des Mondes sagen würden, dass sie zur Erde aufsteigen, dass sie sich der Erde würdig erweisen müssen. Wir äußern gleichfalls etwas Sinnloses, wenn wir sagen, dass man sich des Himmels würdig erweisen muss, das ist, wie wenn man sagte: »Man muss sich der Luft würdig erweisen, des Sternbilds Drache, des Weltraums.«
GU
Ich glaube, ich verstehe Sie. Man soll nur den Gott anbeten, der Himmel und Erde gemacht hat.
ZISI
Gewiss, man soll nur Gott anbeten. Doch wenn wir sagen, dass er Himmel und Erde geschaffen habe, sagen wir gottesfürchtig etwas sehr Dürftiges. Wenn wir unter dem Himmel den gewaltigen Raum verstehen, in dem Gott so viele Sonnen entzündete und so viele Planeten kreisen ließ, ist es sehr viel lächerlicher, vom Himmel und der Erde zu reden, als von den Bergen und einem Sandkorn. Unsere Erdkugel ist unendlich weniger als ein Sandkorn im Vergleich zu diesen Millionen von Milliarden von Welten, unter denen wir verschwinden. Alles, was wir tun können, ist, hier unsere schwache Stimme der Stimme der unzähligen Wesen in der grenzenlosen Weite hinzuzufügen.
GU
Man hat uns also ordentlich hinters Licht geführt, als man uns erzählte, dass Fo* vom vierten Himmel zu uns herabgestiegen und als weißer Elefant erschienen ist.
ZISI
Das sind Märchen, die die Bonzen den Kindern und den alten Weibern erzählen; wir sollen nur den ewigen Schöpfer aller Wesen anbeten.
GU
Doch wie hat ein Wesen die anderen erschaffen können?
ZISI
Betrachten Sie diesen Stern, er ist fünfzehnhunderttausend Millionen Li* von unserem kleinen Erdball entfernt. Es gehen davon Strahlen aus, die von Ihren Augen bis zum Scheitelpunkt zwei gleiche Winkel bilden. Sie bilden mit den Augen aller Tiere ebensolche Winkel. Ist da nicht eine deutliche Absicht bemerkbar? Ist das nicht eine bewundernswerte Gesetzmäßigkeit? Wer erschafft denn nun aber ein solches Werk, wenn nicht ein Schöpfer? Wer macht die Gesetze, wenn nicht ein Gesetzgeber? Es gibt also einen Schöpfer, einen ewigen Gesetzgeber?
GU
Aber wer hat diesen Schöpfer geschaffen? Und wie ist er beschaffen?
ZISI
Mein Fürst, ich bin gestern bei dem ausgedehnten Palast spazieren gegangen, den Ihr Vater, der König, erbaut hat. Ich hörte zwei Grillen, von denen die eine zur anderen sagte: »Das ist ein erstaunliches Bauwerk.« »Ja«, sagte die andere, »so ruhmreich ich auch bin, ich gebe zu, dass derjenige, der dieses Wunderwerk errichtet hat, mächtiger ist als die Grillen; doch ich habe überhaupt keine Ahnung von diesem Wesen. Ich sehe, dass es existiert, aber ich weiß nicht, was es ist.«
GU
Ich sage Ihnen, dass Sie eine weit gebildetere Grille sind als ich, und was mir an Ihnen gefällt, ist, dass Sie nicht vorgeben, etwas zu wissen, wovon Sie keine Ahnung haben.
Zweites Gespräch
ZISI
Sie stimmen also zu, dass es ein allmächtiges Wesen gibt, das aus sich selbst heraus existiert und der über Allem stehende Schöpfer der gesamten Natur ist?
GU
Ja, aber wenn er aus sich selbst heraus existiert, kann ihn also nichts einschränken, er ist demnach überall? Er ist also in der gesamten Materie vorhanden, in allen Teilen meiner selbst?
ZISI
Warum nicht?
GU
Ich wäre demnach selbst ein Teil der Gottheit?
ZISI
Das folgt vielleicht nicht daraus. Dieses Stück Glas wird ganz und gar vom Licht durchdrungen, ist es deshalb selbst Licht? Es ist nur Sand, und weiter nichts. Alles ist zweifellos in Gott, denn was allem Leben verleiht, muss überall sein. Gott ist nicht wie der Kaiser von China, der in seinem Palast wohnt und seine Befehle durch seine Kolaos* übermitteln lässt. Sobald er existiert, erfüllt seine Existenz notwendigerweise den ganzen Raum und alle seine Werke, und da er in Ihnen ist, ist das eine beständige Mahnung, nichts zu tun, für das Sie vor ihm erröten müssten.
GU
Was muss man tun, um es noch wagen zu können, sich ohne Abscheu vor sich selbst und ohne Scham vor dem höchsten Wesen anzusehen?
ZISI
Gerecht sein.
GU
Und