Schreiben und Lesen im Altisländischen. Kevin Müller

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Schreiben und Lesen im Altisländischen - Kevin Müller Beiträge zur nordischen Philologie

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im Besonderen ‚mit lateinischen Buchstaben auf Pergament auf- und abschreiben‘ bedeuten, rísta hingegen auf das epigraphische, möglicherweise runische Schreiben bezogen sein konnte. Ins Wortfeld schwierig einzuordnen sind die vereinzelt belegten Verben skrásetja und gera. Ersteres ist wohl ein Hyponym zu rita/ríta, da es ‚auflisten‘ bedeutet, letzteres umfasst als Hyperonym die Akte Schreiben und Verfassen. Die vielen Belege von rita zeigen, dass die Bedeutung von der Valenz abhängt, so dass eine Dichotomie von Verfassen und Aufschreiben zu kurz greift und der Polysemie des Verbs nicht gerecht wird.

      Die hier vorgestellte Untersuchung in einem Textkorpus zeigt, dass die meisten der bisher erforschten Lexeme darin vorkommen und dass sie mit der Wortfeldtheorie systematisch verglichen werden können. Jedoch kommt auch eine grosse Kompilation wie die Sturlunga saga an ihre Grenzen. Dies äussert sich darin, dass gewisse Lexeme nur vereinzelt belegt sind, was deren Analyse erschwert. Das Lexikon muss also in einem noch umfassenderen Korpus analysiert werden. Ausserdem ist ein anderer theoretischer Ansatz nötig, weil die Wortfeldtheorie und Komponentialsemantik an ihre wohlbekannten Grenzen stossen. Die Bedeutung ist zu komplex, als dass sie in binäre Komponenten zerlegt und in ein zweidimensionales Gefüge eingeordnet werden könnte. Von diesem Entweder-oder ist auch die bisher diskutierte Forschung geprägt, deren Dichotomie von Schreiben und Verfassen vor allem vom Medienwandel von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit geprägt begründet ist.

      Neuere Arbeiten haben diese Perspektive allerdings geöffnet. Glauser (2010) beispielsweise bezieht in seiner Untersuchung des Schrift- und Medienbewusstseins in den Prologen verschiedener altisländischer Werke Aspekte der mittelalterlichen Schriftlichkeit mit ein, welche über die Dichotomie von Mündlichkeit und Schriftlichkeit hinausgehen. Einige dieser Aspekte nennt schon Porzig (1973/1934: 83) in seiner Definition von schreiben wie z.B. den Körper (Hand), die Materialität (Schreibmaterial, Schreibwerkzeug), Zeichen oder die Sprache (s.a. Kap. I.3.). Den Körper thematisiert bei Glauser (2010: 313, 326) beispielsweise ein Schreiber in seinem Kommentar, in dem er über die Anstrengung der Augen (augu), Zunge (tunga) und der Hand (hǫnd) klagt. Er nennt im selben Kommentar auch Feder (penni), Tinte (blek) und Pergament (bókfell), welche in den Bereich der Materialität gehören. In den Prologen werden hingegen wesentlich öfter Schriftträger wie bók ‚Buch/Kodex‘, bœklingr ‚Büchlein‘ skrá ‚Pergament, Schriftstück, Dokument‘ erwähnt und auch mit Verben wie gera ‚machen‘, sýna ‚zeigen‘ oder sjá ‚sehen‘ auf sie verwiesen, welche neben der Materialität auch die Visualität des Schriftträgers hervorheben (vgl. Glauser 2010: 313f., 319). Hier ist allerdings einzuwenden, dass gera nicht unbedingt so wörtlich verstanden werden darf, dass dabei der Schriftträger bók gemacht wird, denn bók kann metonymisch für Skript und Text stehen. Auf das Skript oder den Text wird auch mit dem Lexem letr ‚Schrift, Buchstabe, Text, Brief‘ verwiesen. Es spielen also auch immaterielle Aspekte eine Rolle. So gibt es eine Reihe von Bezeichnungen für Textsorten wie saga ‚Saga, Geschichte‘, lǫg ‚Gesetz‘, mannfrœði ‚Biographie‘, þáttr ‚Saga, Erzählung‘ (vgl. Glauser 2010: 315, 317). Mit den Textsorten sind wiederum verschiedene Termini für das Verfassen verbunden wie setja saman ‚zusammensetzen, verfassen‘, láta rita/skrifa ‚(auf)schreiben lassen‘, gera sǫgur ‚Geschichten machen‘ (Glauser 2010: 319). Beim Verfassen werden bestimmte Inhalte bzw. Stoffe (efni) verarbeitet, was schon das Verb setja saman ‚zusammensetzen‘ demonstriert, wobei diese qualitativ und quantivativ verändert werden können, wie die Verben auka ‚vergrössern‘, fegra um ‚verschönern‘, bœta um ‚verbessern‘ zeigen. Die Stoffe stammen aus dem eigenen Gedächtnis (minni), aus Erzählungen (frásagnir) oder aus mündlichen und schriftlichen Quellen, bei denen die Autorität eine wichtige Rolle spielt (vgl. Glauser 2010: 313, 315, 322, 324). Viele Texte wie die Rittersagas sind übersetzt worden, wofür es eine Reihe von Verben des Übersetzens (snara, snúa, venda) gibt, und dazu auch häufig die Sprachen Französisch (franzeiska, valska), Englisch (enska), Latein (latína), Nordisch (norrœna), selten Griechisch (girzka) erwähnt werden (vgl. Glauser 2010: 320f.). In den Prologen wird auch der Zweck des Schreibens thematisiert. Ein wichtiger Zweck ist das Erinnern (minni), denn Stoffe werden aufgeschrieben, damit sie nicht vergessen werden. Daneben werden Texte auch zur Bildung und Unterhaltung geschrieben (vgl. Glauser 2010: 332). Glausers Aspekte erinnern in vielen Fällen an mögliche Attribute eines Schreibframes, jedoch wird nicht deutlich, ob sie jeweils alle zu Lexemen wie rita, skrifa, dikta, setja saman gehören. Sie müssen aber in einer semantischen Analyse unbedingt berücksichtigt werden.

      Die bisherige nordistische Forschung war vor allem an zwei Themen interessiert, dem Schreiben von Runen und dem Schreiben der Autoren. Die Runologen haben mit einem grösseren Korpus gearbeitet, jedoch keine syntagmatischen Relationen einbezogen. Trotzdem haben sich zwei stereotype Konzepte herauskristallisiert, das Schreiben von Runen in Volkssprache auf harten Materialien und das Schreiben lateinischer Buchstaben auf Latein auf weichen Materialien, in denen Attribute wie SCHRIFTSYSTEM, SPRACHE, SCHREIBWERKZEUG, BESCHREIBSTOFFE und SCHRIFTTRÄGER im Vordergrund stehen. Beim Schreiben der Autoren hingegen wurden fast immer Einzelbelege herangezogen, bei denen nicht sicher ist, ob die postulierte Bedeutung konventionell ist. Syntagmatische Relationen spielen auch hier nur eine marginale Rolle. Mein erster Versuch an der Sturlunga saga (vgl. Müller 2018) ist nicht nur wegen der geringen Grösse des Korpus, sondern auch wegen der Wortfeldtheorie an seine Grenzen gestossen. Deshalb ist mit dem neuen theoretischen Ansatz der Framesemantik, dem Einbezug der syntagmatischen Relationen und einem grösseren Korpus eine präzisere Analyse der Konzepte dieser Lexeme zu erhoffen. Die Resultate der bisherigen Forschung sollen dabei berücksichtigt werden, wie im Folgenden dargelegt wird.

      Die bisherige Forschung liefert zum einen ein umfangreiches Lexikon. Die oben erwähnten Verben des Schreibens – d.h. im Sinne von Schreiben und Verfassen – lassen sich in drei Gruppen Teilen: 1. in das Schreiben von Runen mit den Lexemen berja, , gera, hǫggva, marka, penta, rista, rísta, ríta und skrifa, 2. das Schreiben von lateinischen Buchstaben mit den Lexemen gera, rita, ríta, skrásetja und skrifa, sowie 3. das Verfassen von Texten mit den Lexemen dikta, gera, segja fyrir, semja, setja saman, smíða, yrkja. Setja saman hat möglicherweise eine verengte Bedeutung ‚kompilieren‘ und dikta ‚in lateinischer Sprache verfassen oder formulieren‘. Beim Schreiben von Runen und lateinischen Buchstaben gibt es einige Schnittmengen wie gera, ríta und skrifa, wobei gera auch in die dritte Gruppe gehören oder ein Hyperonym darstellen kann. Es liessen sich im hier untersuchten Korpus nicht alle dieser Lexeme bezeugen. Diverse runische Termini wie berja, , hǫggva, marka, penta, rista wie auch einzelne Termini für das Verfassen wie semja, smíða und yrkja fehlen.

      Die zahlreichen in der bisherigen Forschung diskutierten Aspekte der Schriftlichkeit geben Anhaltspunkte für mögliche Attribute eines Frames. Am Schreiben sind diverse Personen beteiligt, wobei mehrere Aufgaben von einer Person ausgeführt werden können: SCHREIBER, KOMPILATOR, KOMMENTATOR, AUTOR und AUFTRAGGEBER. Zu diesen Menschen gehören die Körperteile HAND, AUGE, OHR, ZUNGE und Hirn, als Organ für das GEDÄCHTNIS. Zum Schreiben werden diverse materielle Objekte benötigt wie SCHREIBWERKZEUG, SCHREIBMATERIAL, SCHRIFTTRÄGER, mit denen der Schreiber das SKRIPT produziert. Beim Abschreiben, Kompilieren, Kommentieren, Verfassen und Übersetzen dürfen auch QUELLE, der darin überlieferte STOFF und der zu schreibende INHALT nicht vergessen werden. Zwischen QUELLE und TEXT bzw. SKRIPT steht das GEDÄCHTNIS, in dem Elemente der Vorlage, des Diktats, des Exzerpts, der mündlichen und schriftlichen Quellen abgespeichert werden. Der TEXT besteht aus einem INHALT, einer Form, der TEXTSORTE, und manifestiert sich visuell im SKRIPT, ist aber primär als immateriell einzuordnen, ebenso die SPRACHE und das SCHRIFTSYSTEM. Der AUFTRAGGEBER gibt nicht nur die Arbeit in Auftrag, sondern hat auch Einfluss auf die QUELLE und den INHALT.

      Das

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