Schreiben und Lesen im Altisländischen. Kevin Müller

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Schreiben und Lesen im Altisländischen - Kevin Müller Beiträge zur nordischen Philologie

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      Aber am nächsten Tag danach kamen jene Leute zu Bischof Jón, die eben gelandet waren, und brachten ihm ein Buch. Auf diesem Buch war jenes Ereignis aufgeschrieben, welches in diesem Land sehr unbekannt war (Übers. KM).

      Das Verb ist hier passiv und hat atburðr ‚Vorfall, Ereignis, Vorgang‘ (vgl. Baetke 2002: 30) als Subjekt. Das Präpositionalobjekt mit á þeiri bók ‚auf diesem Buch‘ enthält das Substantiv bók, das oben schon als Thema und Wert für den SCHRIFTTRÄGER vorgekommen ist. Das Thema nimmt bei diesem Beleg hingegen wegen des Passivs die Position des Subjekts. Zum Attribut SCHRIFTTRÄGER mit dem Wert bók kommt nun ein neues hinzu, nämlich der INHALT mit dem Wert atburðr. Der Schriftträger als Ort ergibt bei rita mehr Sinn, weil man ja nicht den Schriftträger schreibt, sondern das Skript. In den vorherigen beiden Belegen verhält es sich eher so, dass bók sich metonymisch vom Schriftträger zum Skript verschoben hat. Der Text wiederum hat einen Inhalt, der beim vorherigen Beleg nicht bekannt ist, aber hier ein Ereignis umfasst, so dass es sich wiederum um eine Metonymie handelt. Der Schreiber des Buches ist dagegen unbekannt, denn er bildet wegen des Passivs im Satz eine Leerstelle und ist auch nicht aus dem Kontext erschliessbar. Das gleiche gilt für die Qualität des Buches. Weil das Buch Jón übergeben worden ist, hat es folglich einen Empfänger bzw. Besitzer, der aber nicht Auftraggeber ist.

      Im nächsten Beleg ist das Lexem atburðr wiederum eine Ergänzung von rita/ríta, wobei es sich nicht um dasselbe Ereignis handelt. Wegen des Infinitivs käme hier auch ríta in Frage:

      d) þaa heitR diakniN avðrv sinni aa hinn h(eilaga) J(on) byskvp. at syngia hatiðar d(ag) hans allan psalltara ok rita nv atbvrðinn ef heit hans væri heyrtt (JSH 44).

      Dann ruft der Diakon ein andermal den heiligen Bischof Jón an, dass er an seinem Festtag den ganzen Psalter singe und das Ereignis aufschreibe, wenn sein Versprechen erhört werde (Übers. KM).

      Hier ist rita/ríta Teil eines Infinitivsatzes, dessen Agens identisch mit dem Hauptsatz ist, d.h. der Diakon (djákninn). Das Ereignis (atburðinn) ist Akkusativobjekt und hier wie oben Thema. Das Attribut SCHREIBER bekommt bei diesem Beleg einen neuen Wert djákni, ebenfalls ein Rang eines Geistlichen, während das Attribut INHALT den gleichen Wert atburðr hat. Die Attribute SCHRIFTTRÄGER, AUFTRAGGEBER und QUALITÄT bilden hier Leerstellen, die sich auch nicht mithilfe des Kontextes füllen lassen.

      Die beiden nächsten Belege haben die Ergänzung með innsigli ‚mit einem Siegel‘ gemeinsam und stammen aus demselben Kapitel VII, das von Jóns Weihe zum Bischof handelt. Weil sich herausstellt, dass Jón schon einmal verheiratet war, braucht er einen Dispens des Papstes, um zum Bischof geweiht werden zu können. Der Erzbischof von Lund sagt zu Jón: e) „ok ver mvnvm rita með þer með vorv innsigli oc tia pafvanvm þitt mal“ (JSH 14f.). ‚Und wir werden dir ein Schreiben mit unserem Siegel mitgeben und dem Papst deine Angelegenheit darlegen‘ (Übers. KM). Subjekt und Agens ist der Erzbischof von Lund. Dieser wäre folglich der SCHREIBER, allerdings hatten Erzbischöfe Sekretäre, welche die Aufgabe des Schreibens übernahmen (vgl. Ludwig 2005: 150–52), so dass das Agens eher für ein Attribut AUFTRAGGEBER oder ABSENDER steht. Ein Akkusativobjekt fehlt. Im selben Satz ist das Verb tjá ‚darlegen‘ enthalten mit dem Substantiv mál ‚Angelegenheit‘ im Akkusativobjekt, das als Wert für den INHALT stehen könnte, und dem Lexem páfi ‚Papst‘ im Dativobjekt für den EMPFÄNGER. Rita/ríta hat bei diesem Beleg noch zwei weitere Ergänzungen, die Präpositionalobjekte með váru innsigli ‚mit unserem Siegel‘ und með þér ‚mit dir‘. Das Personalpronomen in letzterem verweist auf Jón, welcher den Brief dem Papst überbringt und damit Bote ist. Daraus erfolgt ein neues Attribut BOTE mit dem Wert Jón. Das Siegel ist ein Meronym des SCHRIFTTRÄGERS, der aber eine Leerstelle bildet. Bei innsigli handelt es sich nicht um einen Wert, sondern bezeichnet ein weiteres Attribut SIEGEL. Das Possessivpronomen várr ‚unser‘ determiniert dieses und verweist auf den ABSENDER zurück. Der Wert von SIEGEL ist demzufolge Siegel des Erzbischofs. Der SCHRIFTTRÄGER oder das SKRIPT rit ‚Schreiben, Schriftstück, Brief‘ (Baetke 2002: 503) wird erst bekannt gegeben, als Jón vor dem Papst steht, wo rita bereits ein weiteres Mal eindeutig belegt ist:

      f) Ok er *pafvi hafði seeð ritið. þaa veitir hann þat þeckiliga er hann var litillatliga beðin […] ok ritar til hans með sinv innsigli ok gefR honvm leyfvi aa at vigia hinn helga Ion til byskvps (JSH 15).

      Und als der Papst das Schreiben gesehen hatte, gewährt er es nachsichtig, worum er demütig gebeten wurde […] und schreibt an ihn [= Erzbischof] mit seinem Siegel und gibt ihm die Erlaubnis, den heiligen Jón zum Bischof zu weihen (Übers. KM).

      Subjekt ist der Papst (páfi) und aus den gleichen Gründen wie oben eher ABSENDER als SCHREIBER. Das Akkusativobjekt bleibt wiederum leer, hinzukommt aber das Präpositionalobjekt til hans ‚zu ihm‘, welches wieder auf den EMPFÄNGER des Schreibens, den Erzbischof von Lund referiert. Der INHALT des Schreibens wird wiederum im nachfolgenden Satz paraphrasiert. Das SIEGEL ist ebenfalls in einem Präpositionalobjekt mit með enthalten, determiniert durch das reflexive Possessivpronomen sinn, welches auch bei diesem Beleg auf den ABSENDER páfi zurückverweist, so dass der Wert Siegel des Papstes lautet. Der SCHRIFTTRÄGER bzw. das SKRIPT bréf wird wiederum erst erwähnt, als der BOTE Jón in Lund ankommt (vgl. JSH 15). Die Rollenverteilung unterscheidet sich in diesem Kapitel deutlich von den ersten drei Belegen: Das Agens steht für den ABSENDER. Der geistliche Rang der Person stellt einen Constraint dar, weil ranghohe Geistliche zwar schreiben können, aber über Sekretäre verfügen, welche diese Aufgabe übernehmen. Das leere Thema ist hier möglicherweise das Attribut BOTSCHAFT mit dem Wert mál. Es ist in der Korrespondenz besser von Botschaft zu sprechen als von Inhalt. Im Brieftext ist tatsächlich ein Inhalt festgehalten, jedoch geht es in der Korrespondenz primär um das Mitteilen einer Botschaft in schriftlicher Form. Der SCHRIFTTRÄGER bildet eine Leerstelle, ist aber aus dem Kontext bekannt, mit den Werten rit und bréf. Der EMPFÄNGER ist in der Ergänzung til e-s oder im Dativobjekt enthalten mit den Werten páfi und erkibiskup. Die Ergänzung til e-s erwähnt auch Baetke (2002: 503) für die Korrespondenz. Ausserdem gibt es die Attribute BOTE und SIEGEL im Objekt með e-m bzw. e-u. Die unterschiedliche Konstellation von Attributen hängt mit der Korrespondenz zusammen, worauf insbesondere die Attribute BOTE, EMPFÄNGER und SIEGEL hinweisen. Bei der Korrespondenz ist Schreiben nur eine von mehreren Handlungen. Darauf weisen auch Fillmore/Atkins (1992: 100f.) bei nengl. write to someone hin. Es handelt sich demzufolge um eine Synekdoche.

      Der letzte Beleg von rita ist etwas schwieriger zu analysieren, weil es nur eine Ergänzung hat: g) „þat var hinna ellri manna hattR at kenna hinvm yngrvm. En hinir yngri ritvðv þaa er nams varð imilli“ (JSH 21). ‚Es war die Art der Älteren, die Jüngeren zu unterrichten. Die Jüngeren schrieben neben dem Unterricht‘ (Übers. KM). Diese Ergänzung ist das Subjekt hinir yngri ‚die Jüngeren‘, hier wahrscheinlich wieder Wert des Attributs SCHREIBER. Das Adjektiv yngri bezieht sich auf das vorher genannte „menn til læringar“ (JSH 21) ‚Leute zum Unterrichten‘, wodurch ein neues Attribut, der ZWECK ins Spiel kommt, das aber keine Ergänzung von rita ist. Das Schreiben ist bei diesem Beleg Teil der Ausbildung. Darauf verweist auch das im abhängigen Temporalsatz enthaltene mit læring ‚(geistliche) Unterweisung, Unterricht‘ (vgl. Baetke 2002: 397) synonyme Lexem nám ‚Unterricht, Lehre‘ (vgl. Baetke 2002: 437). Die Attribute SCHRIFTTRÄGER und INHALT bleiben leer. Ihre Werte lassen sich jedoch über Constraints inferieren, weil im Rahmen des geistlichen Unterrichts bestimmte Texte abgeschrieben wurden. Der unerfahrene Schüler beschränkt wohl auch die Qualität des Skripts.

      Das Verb rita hat in der S-Redaktion folglich zwei Frames:

      1 Den Schreibframe evozieren die Konstruktionen rita

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