Schreiben und Lesen im Altisländischen. Kevin Müller

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Schreiben und Lesen im Altisländischen - Kevin Müller Beiträge zur nordischen Philologie

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dem Papst darlegen‘ (Übers. KM). Hier hat rita zwei Ergänzungen, das Subjekt vér ‚wir‘ für den Erzbischof und das Präpositionalobjekt meðr þér ‚mit dir‘, das sich an den Priester Jón, den Boten des Briefes, richtet. Die Attributkonstellation ist gleich wie in der S-Redaktion (s. Kap. II.3.1.1.e.) mit dem ABSENDER erkibiskup und dem BOTEN Jón. Der INHALT mál und der EMPFÄNGER páfi werden im selben Satz als Ergänzungen von tjá ‚darlegen‘ genannt, welche möglicherweise auch zu rita gehören könnten. Dass damit ein Brief (bréf) mit Siegeln (innsigli), welche in der S-Redaktion als Füllung belegt sind, gemeint ist, wird erst explizit genannt, als Jón vor dem Papst steht. Im Kontext lassen sich also dieselben Attribute finden, von denen aber nur zwei Ergänzungen von rita bilden.

      Der letzte Beleg von rita stammt aus einem Kommentar des Autors der Saga, der in der S-Redaktion fehlt:

      g) MEÐR þi at wer siaaum at gudligh miskunn auðsynir ok fagrliga birtir meðr berum jarteinum ok haaleitum taaknum. / dyrdar fulla uerdleika heilags Ions Hola byskups. er oss hardla naud synligt at rita ok saman setia. þa luti er honum eru til lofs ok dyrdar. eptir þi sem til vaar er komit af Roksamligri fra sogn margra skilrikra manna (JSH 98).

      Weil wir sehen, dass die göttliche Gnade mit deutlichen Zeichen und erhabenen Wundern die grossartigen Verdienste des heiligen Bischofs Jón von Hólar offenbart und schön kundtut, ist es nötig, dass wir die Teile schreiben und zusammensetzen, welche ihm zu Lob und Herrlichkeit gereichen, gemäss dem, was zu uns aus zuverlässigem Bericht vieler verständiger Leute gekommen ist (Übers. KM).

      Das Subjekt fehlt, denn rita/ríta ist Teil eines Infinitivsatzes und das finite Verb ist Teil einer unpersönlichen Konstruktion mit dem Personalpronomen oss ‚uns‘, welches auf den Autor referiert, der somit das Agens von rita ist. Die 1. Person Pl. ist laut Foote (2003: CCXL) typisch für alle Redaktionen der Jóns saga helga und hat ihr Vorbild in der lateinischen Schriftsprache. Der Plural könnte aber durchaus für eine Gruppe, bestehend aus Autor und Schreibern, stehen. Zu diesem Schluss kommt auch Lönnroth (1964: 85f.) beim Vergleich der Pronomina und im Prolog der Heimskringla, wo ek ‚ich‘ Subjekt von láta rita ‚schreiben lassen‘, aber vér ‚wir‘ Subjekt von rita ist. Dieses Teamwork wird möglicherweise dadurch bestätigt, dass vér nicht nur Agens von rita, sondern auch von setja saman ‚zusammensetzen, kompilieren, verfassen‘ ist.

      Im Akkusativobjekt ist hlutr ‚Stück (eines Ganzen), Teil‘ (vgl. Baetke 2002: 262) enthalten, das gleichzeitig auch Akkusativobjekt von setja saman ist, welches weiter unten (vgl. Kap. II.7.1.b.) genauer besprochen wird. Die Paarformel rita ok saman setja erinnert an die von Ludwig (2005: 129) zitierte lateinische Inschrift hic scribat et dictat über einer Darstellung Johannes von Buxtehude als Schreibenden aus dem 13. Jahrhundert. Verfassen und Schreiben werden auch da von einer Person ausgeführt, aber lexikalisch unterschieden. Der Singular im Lateinischen spräche wiederum gegen die obige Annahme, dass es sich um Teamwork handelte.

      Es sind also die Bestandteile der Erzählung, welche der Autor oder Kompilator zusammenfügt und entweder von ihm selbst niedergeschrieben wird oder von einem Schreiber. Es kann bei diesem Beleg wegen des Pronomens im Plural nicht sicher entschieden werden, welchen Wert das Attribut SCHREIBER hat. Es bleibt auch unklar, in welcher Form diese Teile an den Schreiber gelangen, als Diktat oder als Notiz auf einer Wachstafel, wenn der Autor nicht aus seinem Gedächtnis schreibt. Es kann sich um die Teile des INHALTES, welche aufgeschrieben werden, oder auch des SKRIPTES handeln, welche abgeschrieben werden. Der SCHRIFTTRÄGER ist zwar eine Leerstelle, ergibt sich aber aus der Situation, da das Skript der Saga in einem handschriftlichen Kodex vorliegt.

      Neben dem Akkusativobjekt hat rita noch eine weitere Ergänzung, welche bisher noch nicht vorgekommen ist, das Präpositionalobjekt eptir því mit einem Relativsatz. Die Präposition eptir ‚übereinstimmend mit, entsprechend, nach; nach dem Vorbild von, in Anlehnung an‘ (vgl. Baetke 2002: 113) weist daraufhin, nach welchem Vorbild die Bestandteile (hlutir) zusammengesetzt und aufgeschrieben wurden, nämlich dem Bericht verständiger Leute. Somit gibt es ein neues Attribut QUELLE, deren Wert nicht auf ein Lexem reduziert werden kann, weil hier diverse Attribute eines Attributframes vorkommen, die nur postuliert werden können, wie AUTORITÄT, auf welche die Adjektive rǫksamligr ‚zuverlässig‘ und skilríkr ‚verständig‘ referieren, TEXT mit dem Wert frásǫgn ‚Erzählung‘, wobei nicht entschieden kann, ob dieser schriftlich oder mündlich ist, und AUTOR oder ZEUGE mit dem Wert menn ‚Leute‘. Das Demonstrativpronomen því steht in Beziehung zur Relativpartikel sem, welche das Subjekt des Verbs koma ‚kommen‘ im Relativsatz besetzt. Dieses Verb hat zwei weitere Ergänzungen til vár ‚zu uns, d.h. zum Autor (und den Schreibern)‘ und af […] frásǫgn […] ‚von der […] Erzählung […]‘. Im Zentrum steht also das Lexem frásǫgn und wird deshalb an dieser Stelle als Wert zum Attribut QUELLE gerechnet.

      Das Attribut ZWECK lässt sich zwar in der Jóns saga helga nicht als Ergänzung nachweisen, aber ein Beleg aus dem ONP (rita) bestätigt, dass das im Kontext erwähnte til kenslu ‚zur Unterweisung‘ durchaus in den Frame von rita gehört. Wahrscheinlich besteht zwischen den Werten der Attribute ZWECK und TEXT ein Constraint, weil der Wert kensla die Werte für den TEXT auf im Unterricht verwendete Texte einschränkt.

      Es lässt sich anhand dieser Belege festhalten, dass die L-Redaktion in den meisten Punkten mit der S-Redaktion übereinstimmt. Es gibt wiederum zwei Frames: Den Schreibframe evozieren zwei Konstruktionen:

      1 rita e-t e-m með e-m hætti bestehend aus den Attributen SCHREIBER (skrifari) als Agens mit den Werten lærisveinn ‚Schüler‘ und menn til kenslu ‚Leute zur Unterweisung‘, dem SKRIPT mit dem Wert bók ‚Buch‘ als Thema, dem AUFTRAGGEBER mit dem Wert prestr ‚Priester‘ als Dativobjekt und der QUALITÄT, welche das Lexem háttr ‚Art und Weise‘ im Präpositionalobjekt með e-m bezeichnet. Hierzu kann auch das Attribut ZWECK gerechnet werden mit Präpositionalobjekt [til e-s].

      2 rita e-t á e-u bestehend aus dem SCHREIBER als Agens, dem INHALT als Thema mit den Werten atburðr und dem SCHRIFTTRÄGER als Ort mit dem Wert bók. Das Attribut QUELLE mit dem Wert frásǫgn im Präpositionalobjekt eptir e-u kann beiden Konstruktionen zugerechnet werden, da das Thema für den INHALT oder das SKRIPT mit dem Wert hlutr ‚Teil‘ stehen kann.

      Beim Korrespondenzframe ist der ABSENDER mit dem Wert erkibiskup das Agens. In der L-Redaktion ist nur der BOTE mit der Präposition með und dem Wert Jón als Füllung sicher belegt. Aus dem Kontext ergeben sich aber dieselben Attribute wie in der S-Redaktion: EMPFÄNGER, INHALT, SCHRIFTTRÄGER und SIEGEL (innsigli).

      Die Konstruktionen rita e-t e-m, rita e-t á e-u und rita e-t með e-m sind also synonym mit jenen in der S-Redaktion. Neu ist rita e-t eptir e-u mit dem Konzept ‚etw. nach Vorgabe/Vorbild von jdm. oder etw. auf- oder abschreiben‘.

      3.2. Sturlunga saga

      Die Sturlunga saga enthält insgesamt 47 Belege für rita/ríta, wovon nur 35 eindeutig rita, drei eindeutig ríta und neun nicht eindeutig sind. Die eindeutigen Belege von ríta kommen auschliesslich in den expliziten Textverknüpfungen und Kommentaren der älteren Handschrift Króksfjarðarbók vor. Da ríta eine Ausnahmeerscheinung ist, muss man davon ausgehen, dass wohl auch die nicht eindeutigen zum Verb rita gehören. Die Mehrheit der Belege von rita/ríta befinden sich im so genannten Prolog, den Kommentaren und expliziten Textverknüpfungen. In den Sagatexten selbst gibt es lediglich acht

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