Schreiben und Lesen im Altisländischen. Kevin Müller

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Schreiben und Lesen im Altisländischen - Kevin Müller Beiträge zur nordischen Philologie

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lat. scribere. Die beiden Verben werden hier zusammengefasst, weil sie nicht in allen Konjugationsformen unterschieden werden können und in den Handschriften die Länge des Stammvokals nicht immer durch einen Akzent markiert ist. Zudem ist ein Teil der Formen ohnehin homophon.1 Die beiden Verben sind laut Baetke (2002: 503) synonym, mit der Bedeutung ‚schreiben, aufzeichnen, berichten‘, „rita/ríta til e-s“ bedeutet ‚an jdn. schreiben‘. Etwas differenzierter ist allerdings Fritzner (1886–96: III, 118f.): Beide Verben teilen bei ihm die Bedeutung ‚schreiben‘ („skrive“). Er führt viele unübersetzte Zitate an, gibt aber keine Anhaltspunkte zu den syntagmatischen Relationen. Abgesehen von „klerkr“ ‚Geistlicher‘ und „ritari“ ‚Schreiber‘ sind nur Personennamen und Pronomina zu finden. Als Thema gibt es „bók“ ‚Buch‘, „bréf“ und „rit“ ‚Brief‘ als Schriftträger, „stafr“ ‚Buchstabe‘ und „orð“ ‚Wort‘ als sprachliche Zeichen, sowie „saga“ ‚Geschichte‘ „þáttr“ ‚Erzählung‘ als Textsorten, sowie „æfi“ und „líf“ ‚Leben‘ als Inhalt. Schriftträger und Texte kommen auch als Ort vor wie „á bók“ ‚auf dem Buch‘, „í sögu“ ‚in der Geschichte‘, „í guðspjöllum“ ‚in den Evangelien‘ und „undir sínum innsiglum“ ‚unter seinen Siegeln‘. Zwei instrumentale Dative verweisen auf den Körper „höndum“ ‚mit den Händen‘ und sprachliche Zeichen „gullstöfum“ ‚mit Goldbuchstaben‘. Die Kausativkonstruktion „láta ríta“ enthält einen König („konungr“) im Subjekt als Auftraggeber.

      Das Lemma ríta hat zusätzlich die Bedeutung ‚ritzen‘ („ridse“) mit dem Beispiel „borgarveggi […], er stafsbroddrinn hafði á ritit“ ‚die Stadtmauern […], auf welche die Speerspitze geritzt hatte‘ (Übers. KM). Das Subjekt stafsbroddr ‚Stabspitze‘ ist hier ein Schreibwerkzeug und borgarveggir ‚Stadtmauern‘ in einem Präpositionalobjekt mit á ‚auf‘ der Schriftträger. Das Lemma rita hat dafür die zusätzliche Bedeutung ‚aufschreiben, zählen, rechnen‘ („opskrive, tælle, regne“), welche sich anhand der syntagmatischen Relationen nicht deutlich von ‚schreiben‘ abgrenzen lässt. Entscheidend für die Wahl dieser Bedeutung scheinen die Substantive „fé“ ‚Vieh, Besitz‘ und „tal“ ‚Zahl‘ gewesen zu sein. Verschiedene bekannte Aspekte des Schreibens kommen als Attribute bei rita bzw. ríta in verschiedenen Ergänzungen vor: SCHREIBER als Agens, TEXT und SCHRIFTTRÄGER als Thema oder Ort, SPRACHZEICHEN als Thema oder Instrument, KÖRPER und SCHREIBWERKZEUG als Instrument und AUFTRAGGEBER als Causer. Die zusätzlichen Bedeutungen ‚ritzen‘ und ‚aufzählen‘ sind vom SCHREIBWERKZEUG und SCHRIFTTRÄGER bzw. vom INHALT abhängig, d.h. diese Bedeutungsverengung erfolgt aus den Werten der jeweiligen Attribute. Da Fritzners Zitate nur eine Auswahl darstellen ist es nicht möglich, diese verschiedenen syntagmatischen Relationen, Attribute und Werte zu verallgemeinern, sie geben aber interessante Anhaltspunkte für die weitere Analyse.

      Das starke Verb ríta geht etymologisch auf das urnord. *wrītan zurück, das wichtigste verbum scribendi in den Runeninschriften des älteren Fuþarks (vgl. Schulte 2002: 661). Die Verwendung des anord. ríta für das lateinische Alphabet ist wahrscheinlich vom Kognaten aengl. wrītan beeinflusst (vgl. Spurkland 1994: 4–7). Das Verb ist gemeingermanisch und hat neben dem Altenglischen auch die Kognaten as. wrītan und ahd. rīzan (vgl. Blöndal 2008: 767). Das Verb ríta ist seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts handschriftlich belegt. Jedoch sind die meisten dieser Handschriften nur noch in Abschriften erhalten. Der einzige Beleg vor 1200 stammt aus der Handschrift GKS 1812 4to von ca. 1192 (vgl. ONP ríta). Das schwache Verb rita ist erst seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts handschriftlich belegt (vgl. ONP rita) und ist ebenfalls gemeingermanisch mit den Kognaten aengl. writian (vgl. Blöndal 2008: 767) und ahd. rizzōn ‚(an-, ein-)ritzen‘ (vgl. Schützeichel 2004: VII, 454). Alle drei gehen auf urgerm. *writōn zurück. Es handelt sich entweder um eine deverbale Intensitivbildung zu urgerm. *wrītanan oder um eine denominale Ableitung zu urgerm. *writiz (vgl. Orel 2003: 473).

      Es lässt sich soweit festhalten, dass die beiden Verben weitgehend synonym sind und sich morphologisch und graphisch nicht immer differenzieren lassen, so dass mit einer Reihe ambiger Belege zu rechnen ist. Ausserdem ist das unterschiedliche Alter der Verben in Betracht zu ziehen. Für die Analyse im Korpus stellen sich folgende Fragen: Wird ríta im Laufe der Zeit von rita abgelöst und kann eine nähere Betrachtung der syntagmatischen und semantischen Relationen die Frage nach der Synonymie beantworten?

      3.1. Jóns saga helga

      Die Jóns saga helga ist in zwei unterschiedlichen Redaktionen überliefert, die sich im Alter, stilistisch und inhaltlich unterscheiden (s. Kap. I.3.2.). Deshalb werden sie getrennt behandelt. Das Vorkommen gleicher Inhalte erlaubt einen Vergleich, bei dem aber berücksichtigt werden muss, dass die Lexeme unter Umständen nicht die gleichen Konzepte enthalten.

      3.1.1. S-Redaktion

      In der S-Redaktion ist rita siebenmal belegt, wobei in zwei Belegen auch ríta in Frage kommt. Es gibt jedoch keinen eindeutigen Beleg von ríta, so dass es sich auch bei diesen ambigen Fällen um rita handeln dürfte. Im Folgenden wird in der Analyse eindeutiger Fälle rita bzw. ríta und bei den ambigen rita/ríta geschrieben.

      Als erstes soll hier eine ausführlichere Szene betrachtet werden, in der rita zweimal belegt ist: Ein ehemaliger Schüler Bischof Jóns kommt als Priester („prestr“) und guter Schreiber („ritari góðr“) ohne Namen zu ihm: a) „hann hafði með ser bok er hann hafði ritað. ok giorfva presti einvm þeim er þaðan var langtt ibrvt“ (JSH 27). ‚Er hatte ein Buch bei sich, das er geschrieben und für einen Priester gemacht hatte, der weit weg war‘ (Übers. KM). Das aktive Verb rita hat ebendiesen Priester und Schreiber als Subjekt und als Akkusativobjekt bók ‚Buch‘, vertreten durch die Relativpartikel er. Es ist nicht sicher zu entscheiden, ob das Dativobjekt presti einum allein zum Verb gera ‚machen‘ gehört oder auch zu rita. Aus der Erzählung ergibt sich, dass das Buch auf jeden Fall einen Käufer hat, in dessen Auftrag der Schreiber es geschrieben hat. Für den Preis braucht der Schreiber, wie er es mit dem Käufer vereinbart hat, eine Bewertung Bischof Jóns. Das Verb rita rekurriert im folgenden Satz im Passiv: b) „Enn byskvp hyggR at bokinni ok lofvaði miok ok mællti siðan. Goð er þessi bok ok vel ritvð“ (JSH 27f.). ‚Aber der Bischof betrachtete das Buch und lobte es sehr und sprach: „Gut ist dieses Buch und gut geschrieben“‘ (Übers. KM). Das Lexem bók ist nun Subjekt, aber das Verb hat hier noch eine weitere Ergänzung, das Adverb vel ‚gut‘, welches den Modus des Schreibens beschreibt.

      Das Verb rita hat in diesen beiden Belegen zusammen vier Ergänzungen, im ersten sind es drei: Subjekt, Akkusativ- und Dativobjekt, welche für die thematischen Rollen Agens, Thema und Dativ stehen, und im zweiten sind es zwei: Subjekt und Adverb, welche für die thematischen Rollen Thema und Modus stehen. Das Thema ist in beiden Belegen identisch. Zu den thematischen Rollen passen vier Attribute im Frame: Der im Kontext als ritari bezeichnete SCHREIBER zum Agens mit einem Wert prestr, der SCHRIFTTRÄGER zum Thema mit dem Wert bók, der AUFTRAGGEBER zum Dativ mit dem Wert prestr und die QUALITÄT zum Modus mit dem Wert vel. Hier lässt sich auch ein erster Constraint feststellen, denn sowohl der SCHREIBER (ritari) als auch der SCHRIFTTRÄGER (bók) haben im Kontext das Adjektiv góðr ‚gut‘ als Attribut, welches als Wert für ein Attribut FÄHIGKEIT im Attributframe des SCHREIBERS und für die QUALITÄT im Attributframe des SCHRIFTTRÄGERS betrachtet werden kann und den gleichen Wert hat wie die QUALITÄT im Frame von rita, denn vel ist das Adverb zum Adjektiv góðr.

      Im nächsten Beleg hat rita andere Ergänzungen und die thematischen Rollen sind teilweise verschoben:

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