Die Abenteuer des Sherlock Holmes. Arthur Conan Doyle

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Die Abenteuer des Sherlock Holmes - Arthur Conan Doyle

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war sicher, daß ich mich auf Sie würde verlassen können.«

      »Aber was haben Sie denn vor?«

      »Ich werde es Ihnen erklären, wenn Mrs. Turner das Tablett gebracht hat. – So«, sagte er, als er sich hungrig auf die einfache Mahlzeit stürzte, die unsere Wirtin beschafft hatte, »wir müssen das besprechen, während ich esse, ich habe nämlich nicht viel Zeit. Es ist jetzt fast fünf. In zwei Stunden müssen wir auf dem Schauplatz sein. Miss Irene, oder genauer Madame, kommt um sieben Uhr von ihrer Ausfahrt zurück. Wir müssen in Briony Lodge sein, um sie zu treffen.«

      »Und was dann?«

      »Das müssen Sie mir überlassen. Ich habe schon für alles Vorkehrungen getroffen. Es gibt nur einen Punkt, auf dem ich bestehen muß. Sie dürfen sich nicht einmischen, ganz gleich, was geschieht. Haben Sie das verstanden?«

      »Ich soll unbeteiligt bleiben?«

      »Sie sollen gar nichts tun. Vermutlich werden sich einige kleine Unfreundlichkeiten ereignen. Halten Sie sich heraus. Es wird damit enden, daß man mich ins Haus schleppt. Vier oder fünf Minuten später wird sich das Fenster des Wohnraums öffnen. Sie sollen sich nahe bei diesem offenen Fenster aufhalten.«

      »Ja.«

      »Und Sie sollten mich im Auge behalten, denn Sie werden mich sehen können.«

      »Ja.«

      »Und wenn ich meine Hand hebe – so –, werden Sie etwas in den Raum werfen, was ich Ihnen gebe, und gleichzeitig werden Sie ›Feuer‹ rufen. Können Sie mir folgen?«

      »Ich kann.«

      »Es ist nichts besonders Großartiges«, sagte er; er nahm eine längliche, zigarrenförmige Walze aus der Tasche. »Das ist eine gewöhnliche Rauchpatrone, wie Klempner sie zum Aufspüren von Rohrbrüchen benutzen, auf jeder Seite eine Kappe zur Selbstzündung. Das ist alles, was Sie zu tun haben. Wenn Sie ›Feuer‹ rufen, wird eine ganze Menge Leute in den Schrei einstimmen. Danach können Sie zum Ende der Straße gehen, und ich werde innerhalb von zehn Minuten zu Ihnen stoßen. Ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt?«

      »Ich soll unbeteiligt bleiben, in die Nähe des Fensters kommen, Sie im Auge behalten und auf Ihr Zeichen hin diesen Gegenstand in den Raum werfen, dann ›Feuer‹ schreien und an der Straßenecke auf Sie warten.«

      »Ganz genau.«

      »Wenn das alles ist, können Sie sich voll und ganz auf mich verlassen.«

      »Ausgezeichnet. Ich glaube, es ist fast an der Zeit, mich auf meine neue Rolle vorzubereiten.«

      Er verschwand in seinem Schlafgemach und kam einige Minuten später als freundlicher und einfältig dreinblickender nonkonformistischer Geistlicher8 zurück. Sein breiter schwarzer Hut, die ausgebeulten Hosen, das weiße Beffchen, das sympathische Lächeln und der allgemeine Ausdruck spähender und wohlwollender Neugier ließen ihn wie die Bilderbuchausgabe eines betulichen Priesters erscheinen. Nicht, daß Holmes nur seine Kleidung gewechselt hätte. Sein Ausdruck, seine Haltung, ja seine Seele schien sich mit jeder neuen Rolle, in die er schlüpfte, zu verändern. Die Bühne verlor einen prächtigen Schauspieler und die Wissenschaft verlor einen scharfen Denker, als er zum Verbrechensexperten wurde.

      Es war Viertel nach sechs, als wir aus dem Haus in der Baker Street gingen, und zehn vor sieben, als wir Serpentine Avenue erreicht hatten. Die Abenddämmerung war bereits gefallen und man zündete gerade die Lampen an, während wir vor Briony Lodge auf und ab wanderten und auf die Heimkehr der Bewohnerin warteten. Das Haus war genau so, wie ich es mir nach Sherlock Holmes' bündiger Beschreibung vorgestellt, doch schien die Lage weniger abgeschieden zu sein, als ich erwartet hatte. Im Gegenteil: Für eine kleine Straße in ruhiger Gegend war sie auffallend lebhaft. Eine Gruppe schäbig gekleideter Männer rauchte und lachte an einer Ecke, da war ein Scherenschleifer mit seinem Schleifstein, zwei Gardisten schäkerten mit einem Kindermädchen, und mehrere gutgekleidete junge Männer mit Zigarren schlenderten hin und her.

      »Sie sehen«, bemerkte Holmes, während wir vor dem Haus auf und ab gingen, »diese Eheschließung vereinfacht die Sache entschieden. Damit wird die Photographie zu einer zweischneidigen Waffe. Es besteht die Möglichkeit, daß die Dame ebenso dagegen ist, daß Mr. Godfrey Norton das Bild sieht, wie unser Klient dagegen ist, daß es seiner Prinzessin zu Augen kommt. Nun ist allerdings die Frage: Wo können wir die Photographie finden?«

      »Ja, das stimmt. Wo?«

      »Es ist nicht wahrscheinlich, daß sie sie bei sich trägt. Sie ist fast so groß wie eine Postkarte. Zu groß, um irgendwo in der Kleidung einer Frau versteckt zu werden. Sie weiß, daß der König imstande ist, ihr auflauern und sie durchsuchen zu lassen. Zwei derartige Versuche sind schon unternommen worden. Wir können also wohl davon ausgehen, daß sie sie nicht bei sich trägt.«

      »Wo hat sie sie denn dann?«

      »Bei ihrem Bankier oder ihrem Anwalt. Diese doppelte Möglichkeit gibt es. Ich glaube aber eher, daß keine von beiden zutrifft. Frauen sind von Natur aus Geheimniskrämer, und sie möchten ihre Geheimnisse für sich behalten. Warum sollte sie das Bild jemandem übergeben? Sich selbst kann sie vertrauen, aber sie könnte niemals sicher sein, daß nicht indirekt oder politisch Einfluß auf einen Geschäftsmann ausgeübt wird. Und denken Sie außerdem daran, daß sie sich entschlossen hat, das Bild innerhalb der nächsten Tage zu verwenden. Es muß an einer Stelle sein, an der sie es sofort findet. Es muß in ihrem eigenen Haus sein.«

      »Aber da ist doch zweimal eingebrochen worden.«

      »Pah! Die wissen nicht, wie man gründlich sucht.«

      »Und wie wollen Sie suchen.«

      »Ich werde nicht suchen.«

      »Was denn?«

      »Ich werde sie dazu bringen, es mir zu zeigen.«

      »Sie wird sich bestimmt weigern.«

      »Das wird sie gar nicht können. Aber ich höre Räder rattern. Das ist ihr Wagen. Führen Sie nun bitte meine Anweisungen buchstabengetreu aus.«

      Noch während er sprach, kam das Leuchten der Seitenlampen einer Kutsche um die Biegung der Avenue. Es war ein ansehnlicher kleiner Landauer, und er ratterte bis zur Tür von Briony Lodge. Als der Wagen zum Stehen kam, stürzte einer der herumlungernden Männer von der Ecke vor, um die Tür zu öffnen, in der Hoffnung, eine Kupfermünze zu verdienen; er wurde jedoch von einem anderen Faulenzer beiseitegestoßen, der in der gleichen Absicht zum Wagen gerannt war. Ein heftiger Streit brach aus, der noch größere Ausmaße annahm, weil die beiden Gardisten sich auf die Seite eines der Lungerer schlugen und der Scherenschleifer sich mit gleicher Hitzigkeit auf die andere stellte. Schläge wurden ausgeteilt, und innerhalb eines Augenblicks war die Dame, die aus der Kutsche gestiegen war, der Mittelpunkt eines Knäuels zornroter, kämpfender Männer, die einander wild mit Fäusten und Stöcken bearbeiteten. Holmes stürzte sich in die Menge, um die Dame zu schützen; genau in dem Moment jedoch, da er sie erreichte, stieß er einen Schrei aus und stürzte zu Boden, und Blut strömte über sein Gesicht. Bei seinem Sturz zahlten die Gardisten Fersengeld nach der einen, die Lungerer nach der anderen Seite, wogegen eine Anzahl besser gekleideter Leute, die dem Handgemenge zugesehen hatten, ohne sich zu beteiligen, sich nun herandrängten, um der Dame zu helfen und sich um den verletzten Mann zu kümmern. Irene Adler, wie ich sie immer noch nennen will, war die Stufen hinaufgeeilt; nun jedoch stand sie oben auf der Treppe und blickte zurück zur Straße, und ihre herrliche

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