Sozialstaat Österreich (1945–2020). Emmerich Tálos

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Sozialstaat Österreich (1945–2020) - Emmerich Tálos

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dem Impfschadengesetz und zuletzt dem Heimopferrentengesetz aus 2017.

      Während die drei ersten Zielvorstellungen und Gestaltungsprinzipien dominant die Sozialversicherung, das Subsidiaritätsprinzip die Sozialhilfe und das Schutzprinzip den Komplex arbeitsrechtlicher Regelungen fundieren, prägt das Versorgungsprinzip die Palette der einzelnen Entschädigungssysteme.

      Mit diesem Profil an Zielsetzungen und Gestaltungsprinzipien zählt der österreichische Sozialstaat, vor allem dessen System der Sozialversicherung und der Familienpolitik, zu den konservativen Wohlfahrtsstaatsregimen (siehe Esping-Andersen 1990; Manow 2019): Die Leistungen sind in erster Linie an Erwerbsarbeit gebunden, sie sind berufsgruppenspezifisch organisiert und differenziert gestaltet. Sie dienen im Wesentlichen dem Statuserhalt bzw. der Kompensation des Erwerbseinkommens im Fall des Eintretens der Risiken Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit und Alter.

      Die Finanzierung der Leistungen des ASVG erfolgt überwiegend aus Beiträgen der Versicherten und ihrer Arbeitgeber, in der Pensionsversicherung seit der Zweiten Republik auch aus staatlichen Zuschüssen. Subsidiär zu den Leistungen der Sozialversicherung steht die Sozialhilfe. Die traditionelle Familienkonstellation mit ihrer geschlechterdifferierenden Arbeitsteilung spiegelt sich in der mittelbaren Einbindung von Familienmitgliedern in Teile des Systems sozialer Sicherung.

      1.4.1. Sozialversicherung

       Gesetzliche Normen

      Die Sozialversicherung regelt die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung. Der Sachverhalt, dass die Inklusion in sozialstaatliche Leistungssysteme entlang von Berufsgruppen erfolgte, spiegelt sich in den einschlägigen berufsgruppenspezifischen Gesetzen wider:

      – das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz ist bezogen auf die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung für Arbeiter/innen, Angestellte, freie Dienstnehmer/innen und Lehrlinge;

      – das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz enthält Regelungen betreffend diese beiden Risiken und galt für Dienstnehmer/innen in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis;

      – das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz regelte die Kranken- und Pensionsversicherung für selbständig Erwerbstätige und Neue Selbständige;

      – das Sozialversicherungsgesetz der freiberuflich selbständig Erwerbstätigen war auf deren Pensionsversicherung bezogen;

      – das Bauern-Sozialversicherungsgesetz normierte die Kranken-, Unfallund Pensionsversicherung der im land- und forstwirtschaftlichen Bereich Erwerbstätigen und

      – das Notar-Versicherungsgesetz die Pensionsversicherung dieser Erwerbsgruppe.

      Diese institutionelle Struktur wurde durch das Sozialversicherungsorganisationsgesetz aus 2018 geändert (siehe dazu unten 2.4.3.).

      Die soziale Sicherung im Fall der Arbeitslosigkeit ist traditionell durch ein eigenes Gesetz geregelt und wird durch das AMS vollzogen.

       Programme

      Die Krankenversicherung umfasst Sach- und Geldleistungen: Zu ersteren zählen Leistungen wie die Anstaltspflege/Krankenhausbehandlung, die ärztliche Behandlung (mit einem zwischen den Berufsgruppen unterschiedlichen System von Selbstbehalten), Arzneien, Heilbehelfe und Hilfsmittel (z.B. Brillen, Rollstühle), Zahnbehandlung und Zahnersatz sowie Kuren. Kernpunkt der Geldleistung ist der Ersatz des krankheitsbedingten Entfalls des Erwerbseinkommens (durch Entgeltfortzahlung/Krankengeld) – mit lange Zeit zwischen Arbeitern und Angestellten variierender Dauer. Weitere Geldleistungen sind das Wochengeld für Mütter (acht Wochen vor und nach der Geburt) sowie der Bestattungskosten-Beitrag (im Fall der Bedürftigkeit der Hinterbliebenen). Gesetzgebung und Vollziehung im Gesundheitssystem obliegt dem Bund, die Ausführungsgesetzgebung ist Aufgabe der einzelnen Bundesländer (siehe Tálos/Wörister 1994, 142 ff.; Gottweis/Braumadl 2006, 759 ff.).

      Die Unfallversicherung, deren Leistungen auf die Behandlung und Versorgung von Opfern eines Arbeitsunfalls oder einer Berufserkrankung ausgerichtet sind, gewährleistet ebenso Geldleistungen (Rente) wie Sachleistungen (Unfallheilbehandlung und Maßnahmen der Rehabilitation).

      Die Arbeitslosenversicherung stellt die zentrale, nicht die einzige Versorgungsinstitution bei Vorliegen dieses Risikos dar. Der Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe (als Anschlussleistung) ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Beim Arbeitslosengeld waren bis Ende der 1990er Jahre als Mindestanwartschaftszeit beim erstmaligen Bezug 52 Versicherungswochen in der Rahmenfrist von zwei Jahren, bei unter 25-Jährigen 26 Wochen innerhalb der letzten zwölf Monate vorgesehen. Dieses Erfordernis verringerte sich bei einer weiteren Inanspruchnahme. Die Dauer des Geldbezuges variierte je nach Versicherungszeit zwischen 20 bis 52 Wochen. Die Höhe des Arbeitslosengeldes erfuhr im gegenständlichen Zeitraum einige Veränderungen. Es betrug Ende der 1990er Jahre 58% des letzten Nettolohns. Für den Fall, dass das Arbeitslosengeld unter dem Sozialhilferichtsatz lag, wurde der Differenzbetrag von den Sozialhilfeträgern erstattet. Die Arbeitslosenversicherung kennt in Österreich keinen Mindeststandard, sehr wohl aber eine Anschlussleistung an das Arbeitslosengeld, die sog. Notstandshilfe. Diese ist bis heute an materielle Bedürftigkeit gebunden. Über das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe hinaus sind noch weitere Geldleistungen bei spezifischen Anlassfällen und Problemlagen vorgesehen. So gab es bei Teilnahme an Schulungsmaßnahmen der Arbeitsmarktverwaltung eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts. Die Sonderunterstützung stellt eine Art Vorruhestandsleistung dar. Zu den einschlägigen Sozialleistungen zählen zudem die Sozialhilfe (Länder/Gemeinden) und familienpolitische Leistungen (Familienlastenausgleichsfonds).

      Die Alterssicherung wird durch das System der Pensionsversicherung für annähernd alle Erwerbstätigen und das System der Beamtenversorgung gewährleistet. Dabei lassen sich verschiedene Formen unterscheiden: neben der normalen Alterspension gab es bis in die 2000er Jahre vorzeitige Alterspensionen nach verschiedenen Anlassfällen (wegen langer Versicherungsdauer, wegen Arbeitslosigkeit, wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, die Gleitpension). Das Alterssicherungssystem weist – vor allem bedingt durch die Berufsgruppenorientierung – eine beträchtliche Differenzierung hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen und der Leistungsgestaltung auf. Die Erwerbsarbeitsorientierung und das Äquivalenzprinzip spiegeln sich im Niveau der Leistungen: Dieses bemisst sich nach Versicherungsdauer (Zeiten der Pflichtversicherung, der freiwilligen Versicherung, Ersatzzeiten wie die Zeit des Bezugs von Arbeitslosengeld, des Präsenzdienstes, der Kindererziehung) und den Erwerbseinkommen im Bemessungszeitraum, nicht zuletzt auch nach dem Pensionsantrittsalter. Die Entwicklung des Systems der Alterssicherung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beinhaltete neben diversen Leistungsverbesserungen auch wiederholte Änderungen betreffend Leistungsdauer und Festlegung des Bemessungszeitraums. So wurde beispielsweise letzterer von 60 Beitragsmonaten (bis 1984) auf 180 Monate (1987) bzw. auf die so genannten besten 15 Jahre (1993) erweitert. Das Maximum von 80% der Bemessungsgrundlage konnte in den 1990er Jahren nach 40 Versicherungsjahren und bei einem Pensionsantritt mit 60 Jahren (Frauen) bzw. 65 Jahren (Männer) erreicht werden. Die letzte „Reform“ vor Antritt der ÖVP-FPÖ-Regierung, die Pensionsreform aus 1997, brachte neuerliche Änderungen: so erste Ansätze einer Harmonisierung der Bemessungszeiträume zwischen Pensionsversicherung und Beamtenversorgung sowie die Kürzung der Leistungen bei Inanspruchnahme einer „Frühpension“ (bis maximal 10 Prozentpunkte). Einen einschneidenden Umbau des Pensionssystems realisierte die erste Schwarz-Blaue-Regierung in den Jahren 2003/04 (siehe näher dazu Obinger/Tálos 2006, 89 ff.; Wöss 2020; 2.4.1. i.d.B.).

       Verwaltung durch Selbstverwaltung

      Die Durchführung der Sozialversicherung oblag den zuständigen Versicherungsträgern. Deren

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