Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов

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Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов Forum Modernes Theater

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      Nur wenn man allerdings den Text bereits als Inszenierung, als Theater begreift – und die zitierten Theoretiker wie eine ganze Reihe weiterer legen dies nahe – können umgekehrt die Inszenierung oder Aufführung auch neuerlich mit einem Text verglichen werden – ohne dass dies die Theaterwissenschaft unmittelbar zurückwirft auf die lange Zeit vorherrschende Auffassung, Theater sei nur die Fortsetzung oder Umsetzung von Literatur auf einer Bühne und insofern mit den Mitteln literaturwissenschaftlicher Interpretationstechniken, letztlich als Teil von Literaturwissenschaft erforschbar. Übertragen auf die Inszenierungs-, Aufführungs- und Dispositivanalyse oder auch nur auf die Analyse und Deutung einzelner Elemente aus diesen – etwa einer schauspielerischen Geste, des bestimmten Verhaltens in einer Szene, einer Sequenz von aufeinanderfolgenden szenischen Anordnungen oder einer räumlichen Einrichtung – ergibt sich aus der Einsicht in die Aporien des Lesens eine doppelte Grundannahme: Jedes theatrale Ereignis ist prinzipiell unendlich ausdeutbar. Jede Lektüre ist prinzipiell unabschließbar. Beide Annahmen ergeben sich, noch einmal anders ausgedrückt, daraus, dass Arbeiten im Theater wie Texte, mit einer von Walter Benjamin geprägten Formulierung, kaum anders denn als „von Spannungen gesättigte Konstellationen“4 zu begreifen sind. Wo ihrer doppelten Unendlichkeit und Unabschließbarkeit zum Trotz eine Beschreibung unternommen, eine Deutung versucht wird, da ist diese unweigerlich an ein Moment gebunden, das man – vielleicht missverständlich – als subjektiv oder – mit Foucault und Butler als kritisch5, in jedem Fall aber als nicht weiter legitimierbar, als nicht länger anders denn im Zusammenhang einer Politik der Lektüre halt- und begründbar bezeichnen müsste.

      Es könnte nun so scheinen, als sollte damit einer willkürlichen, letztlich relativistischen Deutungspraxis das Wort geredet werden: Tatsächlich geht es aber ganz im Gegenteil darum, die Voraussetzung gängiger Deutungspraxis – und damit einer Archi-Methodologie, einer allen weiteren Praktiken der Theaterwissenschaft zugrundeliegenden Methode vor aller Methodenvielfalt – offenzulegen und dadurch auf die Verankerung der Analyse, Interpretation, Lektüre und Kritik in einem Bereich hinzuweisen, den man in den klassischen Kategorien der Ethik zuweisen müsste. Die „mikrologischen“ Lektüren Adornos6, die sich in ihrer Vertiefung ins Detail Maß und Takt von ihrem Gegenstand diktieren lassen, oder die Lektüre der „Spur des Anderen“ bei Lévinas und vor allem Derrida können als exemplarische Formen solcher Praxis gelten7: Eben weil der Andere mir immer schon vorausgegangen sein wird im Moment meiner Auseinandersetzung, bzw. meiner Deutungspraxis, gibt er mir zugleich eine unendliche Aufgabe wie auch das unausweichliche Scheitern an dieser vor – gemessen am Anspruch eines das Ganze umfassenden Verständnisses. Dem korrespondierend folgt aus dem Lesen von Spuren (und nicht von Zeichen oder Botschaften) des Anderen einerseits ein Imperativ des Verstehens und daraus resultierend ein mit allen Mitteln traditioneller Hermeneutik vorgehender Deutungsprozess, andererseits aber notwendig zugleich dessen Umschlag in einen Imperativ des Nicht-Verstehens. Dieser Umschlag resultiert aus der Grenze des Verstehens in der schon aufgrund der Differenz von Zeit, Ort und Lebensgeschichte niemals restlos erschließbaren Andersheit des Anderen. ‚Der Andere‘ als Denkfigur der Alterität unterliegt allerdings mit einiger Berechtigung einer Kritik, die der mit ‚ihm‘ häufig verbundenen Homogenisierung gilt. Weist Derrida in seiner Auseinandersetzung mit Levinas auf dessen tendentielle Unterschlagung der sexuellen Differenz in der unifizierenden Rede vom Anderen im – vermutlich generisch intendierten, jedoch darauf nicht reduzierbaren – Maskulinum hin, so kritisiert Spivak mit Blick auf Foucault und Deleuze die Rede vom homogenen Anderen als eine „unser Wohlwollen […] verriegeln[de]“ Form der Ersetzung einer auf keine Weise auf ein Gemeinsames reduzierbaren Vielheit unterschiedlicher ‚Subalterner‘ durch ein ‚alter ego‘.8 Die Aporien und immer neuen und je anderen Folgen aus der jeden Grund erschütternden Grundfigur der Alterität nicht zu vergessen, vielmehr für sie die Verantwortung zu übernehmen, könnte als (an-)archi-methodologischer Imperativ bezeichnet werden, der eine Allgemeine Theaterwissenschaft wenn nicht zu begründen und zu fundieren, so doch von jeder anderen Form des Umgangs mit Theater zu unterscheiden vermag.

      3. Absehen vom Ganzen

      Mit Bezug auf den Status quo der deutschsprachigen Theaterwissenschaft stellt die bis hier in groben Zügen skizzierte Position einen Einspruch dar, der im Rahmen eines in seinem Umfang begrenzten Aufsatzes in seinem Ausmaß wie seinen Grenzen lediglich angedeutet werden kann: Unstrittig erscheint mir im Einklang mit der von Christopher Balme gegebenen Beschreibung des Faches, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit Theater über eine geschichtliche, eine theoretische und eine analytische Dimension verfügt.1 Alle drei Dimensionen und die aus ihnen folgende Verknüpfung theaterwissenschaftlicher Forschung und Lehre mit Fragestellungen, Methoden und Forschungsansätzen der Nachbardisziplinen – der Geschichtswissenschaft, der Philosophie, der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, der Soziologie, Psychologie, Kunstgeschichte etc. – wären jedoch kritisch daraufhin zu untersuchen, was sich unter der Voraussetzung der beschriebenen Erfahrung, in einer Art von „Archi-Theater“2 bzw. einem Medium zu sein, das wir nicht restlos zu überblicken vermögen, ändert. Die erste Konsequenz wäre in jedem Fall die Einsicht in die Unmöglichkeit, jemals das Ganze oder die Gesamtheit zu erfassen: Unter dem Vorzeichen einer Allgemeinen Theaterwissenschaft wäre also paradoxerweise genau die Grenze jeder Allgemeinheit und jedes Ganzen sowie die notwendig unbegründbar bleibende Überschreitung zu bedenken, die mit jedem Verfahren der Deutung verbunden ist. Mit ihr verbunden wäre also nicht eine allumfassende Metatheorie des Gegenwartstheaters oder gar der theatralen Formen als solcher, sondern genau die irreduzible Grenze aller Bemühungen in diese Richtung. Das Wissenschaftliche der Allgemeinen und Vergleichenden Theaterwissenschaft, ihr Forschen, ist von daher nicht kategorisch von der ihren künstlerischen Gegenständen inhärenten Erkenntnis trennbar: Kann Theater in allen seinen Erscheinungsformen zwar auch selbst bereits als Forschungsarbeit oder mit Derrida gar als Form des Denkens3 begriffen werden, so unterscheidet es sich doch andererseits von wissenschaftlicher Forschung und philosophischem Denken durch die Flüchtigkeit seiner Resultate. Eine Theaterwissenschaft, die nicht zur Normalisierungsinstanz dessen werden soll, was an Theater als Abweichendes, Anstößiges oder, um bei der gewählten Begrifflichkeit zu bleiben: Singuläres mit den Traditionslinien der Entwicklung bricht, hätte dem Flüchtigen, Widerständigen, dem stummen Einspruch der theatralen Formen in ihrer Vielfalt, ein Vetorecht gegen ihre Vereinnahmung durch zu grobschlächtige Oberbegriffe oder Unifikationen einzuräumen. Anders verfehlte sie eben das, was Theater als Einspruchsinstanz gegen jede Totalisierung auszeichnet, die Begrenzung des Ganzen. Sie wäre dann in letzter Instanz keine Theaterwissenschaft mehr.

      Damit soll allerdings nicht der berechtigte Anspruch aufgegeben werden, der im Willen zur Großtheorie im besten Fall enthalten ist und den die Formulierung einer „Allgemeinen“ Theaterwissenschaft in Erinnerung hält: Dieser Anspruch könnte mit Benjamin als der bezeichnet werden, dass man ein Kunstwerkes als nicht weniger als „einen integralen, nach keiner Seite gebietsmäßig einzuschränkenden Ausdruck der religiösen, metaphysischen, politischen, wirtschaftlichen Tendenzen einer Epoche“4 begreifen muss. Problematisch wird dieser Anspruch allerdings, wo die inkommensurable einzelne Arbeit einem allgemeinen Begriff unterworfen wird, der Singularität auf das Besondere eines Allgemeinen reduziert. Plastisch führt Benjamin dagegen, was er mit diesem „integralen“ Ausdruck meinen könnte, in seinem Moskauer Tagebuch aus, wo er eine Diskussion zum Thema „Theater und Materialismus“ referiert, die er mit Bernhard Reich geführt hat:

      Ich suchte ihm zu entwickeln, welcher Gegensatz zwischen materialistischer und universalistischer Darstellungsweise besteht. Die universalistische sei immer idealistisch, weil undialektisch. Die Dialektik nämlich dringe notwendig in der Richtung vor, daß sie jede Thesis und Antithesis, auf die sie stoße, wieder als Synthese triadischer Struktur darstelle, sie komme auf diesem Wege immer tiefer ins Innere des Gegenstandes hinein und stelle ein Universum nur in ihm selber dar.5

      Hier wie im zitierten Anspruch wird mit Blick auf das Kunstwerk ein gewissermaßen monadologisches Verständnis von diesem entworfen: Als „Ausdruck der religiösen, metaphysischen, politischen, wirtschaftlichen Tendenzen einer Epoche“ scheint es genau dort lesbar zu werden, wo nicht danach gefragt wird, wie es sich

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